Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Der eine sucht sich selbst, der andere soll Präsident werden

Zwei Filme aus dem deutschsprachigen Raum wie Sie formal kaum unterschiedlicher sein könnten, sind zwei der drei nominell interessantesten Neustarts dieser Woche*: Der “Wintergast” ist wie ein Dokumentarfilm erzählt und zeichnet in schwarz-weiß das Portrait eines nicht mehr jungen Mannes, der in einer Lebens- und Schaffenskrise steckt. “Der Bunker” (u.a. mit dem wunderbaren David Schiller) schwelgt hingegen in ganz besonderen Farb- und Bildkompositionen, ist mit einer gehörigen Portion Grauen versehen und zeigt auf betont skurrile Art und Weise zu hohe Ansprüche der Eltern an ihr Kind und einen Studenten, der doch eigentlich nur in Ruhe forschen wollte.

wintergast“Wintergast” von Matthias Günter und Andy Herzog: Der Züricher Filmemacher Stefan Keller ist knapp 40. Vor sieben Jahren hatte man ihm für einen Kurzfilm – sein Abschlusswerk an der Filmhochschule – groß gefeiert, er kam für seinen ersten geplanten abendfüllenden Film über zwei Reisende, die aus Versehen ihre Rollkoffer am Flughafen vertauschen, gleich bei einer renommierten Produzentin unter. Heute lebt Keller in einer winzigen Wohnung mit Gemeinschaftsbad, hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, seine Freundin hat sich von ihm getrennt, weil sie – auch nicht mehr die jüngste – ein Kind haben will, wozu er noch nicht bereit scheint und ohnedies ist er noch immer mit seinen schier unendlichen Notizen zu besagtem Spielfilmprojekt am Kämpfen: Außer dem Titel und einem ersten Teilabsatz steht da in der entsprechenden Drehbuchdatei seines Laptops seit Jahren nämlich nichts. Rein gar nichts. Als er sich in höchster finanzieller Not von seinem Vater auch noch eine Absage nach einer Finanzspritze einfährt, beginnt er sich als anonymer Jugendherbergs-Tester in der vorweihnachtlichen Schweiz zu verdingen.

Während der Fahrten von einem Ort zum anderen und vor allem während dem jeweiligen Aufenthalt versucht er nebenbei seine Schreibblockade zu lösen, die Freundin zurückzugewinnen, die Produzentin, die sein Projekt verständlicherweise nicht in ein weiteres neues Jahr mithineinnehmen will, vom Gegenteil zu überzeugen… Keller trifft dabei auf Leute mit verschiedensten Biographien und muss sich letztlich aber sicher der Frage nach dem Sinn seines eigenen Lebens stellen.

Der Schweizer Film “Wintergast” von Matthias Günter und Andy Herzog – Letzterer fungiert auch als Produzent, spielt die Hauptrolle und zeichnet für das Drehbuch verantwortlich – ist in schwarz-weiß gehalten und wie ein Dokumentarfilm erzählt. Mit seiner leisen Portion bitterer Ironie ist der Streifen dann am besten, wenn der Protagonist auf durchaus authentisch wirkende Laiendarsteller trifft, die seine eigene Lebens- und Schaffenskrise unfreiwillig spiegeln. In anderen Sequenzen, insbesondere den Gesprächen – bzw. den versuchten Kontakten – mit der “Produzentin” schrammt das Ganze aber auch am Prädikat “gewollt” nur haarscharf vorbei.

bunker_02“Der Bunker” von Nikias Chryssos: Dieser Streifen ist indes von der ersten bis zur letzten Sekunde ein mit wunderbar absurden, teils schaurigen Minimalismen gespickter Hochgenuss. Auch in puncto Ausstattung und Bildsprache ein unbedingt entdeckenswertes Gesamtkunstwerk: Mama (Oona von Maydell), Papa (der andernorts leider immer noch unterschätzte David Schiller) und Sohn Klaus (Daniel Fripan, dessen Figur einem Alptraum eines Kindes ohne Kindheit entsprungen zu sein scheint) leben in einem bunkerartigen Haus irgendwo im Wald. Klaus wurde – wie der Zuschauer nach und nach erfährt – bisher ausschließlich zu Haue von seinem irgendwie selbst nicht ganz so gebildet wirkenden Papa unterrichtet. Skurriler noch: der Junge hat das Elternhaus wohl noch nie in seinem Leben auch nur für eine einzige Minute verlassen. Die Erwachsenen sind gleichwohl schwer davon überzeugt, dass ihr Spross das Zeug hat in eingien Jahren Präsident der USA zu werden. Dafür kommt ihnen “der Student” (Pit Bukowski), der eigentlich nur in der Abgeschiedenheit ein kurzzeitiger Untermieter sein möchte, um mit seiner Forschungsarbeit zu Higgs-Partikeln voranzukommen, gerade recht. Da er kaum über Geldressourcen verfügt und obwohl das Zimmer, dass sie ihm vermieten, jedweder Beschreibung spottet, wird er kurzerhand zum Hauslehrer rekrutiert – da hilft kein Widerspruch!

Bald zeigen sich tatsächlich erste Lernerfolge bei Klaus, doch gleichzeitig nabelt sich der vermeintlich Achtjährige Stück für Stück von seiner Mama, die eine ganz besondere Beziehung mit einem ihrer Beine pflegt, ab. Das ganze, ohnedies absolut unwirkliche Gefüge im Haus wird so nach und nach auf den Kopf gestellt und das bereits von Anfang an hervorragende Schauspiel des Quartetts steigert sich noch einen Zacken und der Plot schwingt nunmehr nicht mehr nur zwischen alptraumhaft und aberwitzig, sondern erfährt auch noch die ein oder andere verstörende sexuelle Variante. Phasenweise fragt man sich, ob man in einem Science-Fiction-B-Movie gefangen ist, oder ob hier am Ende doch alles mit ganz normalen menschlichen Abgründen zu tun hat. Namentlich mit Eltern, die aufgrund ihrer eigenen unerfüllten Sehnsüchte, das Leben eines Kindes zum Alptraum werden lassen können.

* eine Kritik zu “The True Cost – Der Preis der Mode” – dem dritten Neustart, den wir in dieser Woche aufgrund seiner Thematik neben all den anderen Filmen, die aktuell ins Kino kommen, besonders beachtenwert fanden, veröffentlichen wir in Kürze separat.



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