Ein tschechoslowakischer Bilderrausch aus dem Jahr 1967 (Marketa Lazarová) und ein schweizerisch-deutscher Science-Fiction-Film (Polder – Tokyo Heidi) stehen diese Woche in unserer “Neu im Kino” Rubrik im Mittelpunkt: Auf der einen Seite ein im Mittelalter angesiedeltes Epos von Verrat, Liebe, Gewalt und Tod; auf der anderen ein futuristischer Onlinegamer-Alptraum.Obwohl František Vláčils Film dereinst auch auf Festivals im “Westen” lief und obwohl “Marketa Lazarová” vor knapp zwanzig Jahren bei einer Umfrage unter Kritikern und Filmmenschen in seinem Produktionsland zum “besten tschechischen Film aller Zeiten” gekürt wurde, hat er es weder zu seiner Entstehung noch – und damit anders als Werke etwa von Miloš Forman oder Jiří Menzel – in der “Nachwendezeit” in deutsche Kinos geschafft. Es mag unter anderem auch an seiner nominellen Länge gelegen haben: Immerhin knapp drei Stunden nimmt einen das durchweg schwarz-weiß gehaltene und dank zahlreicher eingeflochtener Rückblenden und Zwischenvisionen keineswegs wirklich immer leicht zu folgende, recht gewalttätige Werk in Beschlag. Die Stunden vergehen zwar nicht wie im Flug, entlohnen – und daher darf man sich freuen, dass der Verleih “Bildstoerung” (der uns in diesem Jahr unter anderem den abgefahrenen Streifen “Der Bunker” präsentierte) nun tätig wurde – aber mit einem zeitlos wirkenden Ritt durch zahllose Spielarten der Filmkunst und damit einhergehend teils fulminanten Bilderwelten. Zu Grunde liegt dem Ganzen ein 1931 erschienenes Mock-Epos des avantgardistischen Autors Vladislav Vančura, das die wilde Fehde zweier rivalisierender Brigantenfamilien, den heidnischen Kozlíks und den nominell christlichen Lazaren im mittelalterlichen Böhmen darstellt. Zu Beginn im Film rauben die Söhne der einen Sippe einen Trupp “Edelleute” aus, ermorden dafür einige Bedienstete und nehmen zu allem Überfluss den jungen sächsischen Grafen Christian gefangen, während sein Vater entkommen kann.
Da man zu Recht ahnt, dass Letztgenannter auf Rache sinnen wird, versucht man die “Nachbarn” um Unterstützung zu bitten – doch da der Vater von Marketa Lazarová das Bitten in den Wind schlägt, schnappt sich der Kutschenausräuber alsbald dessen hübsches Töchterchen (Magda Vášáryová), das eigentlich ins Kloster sollte, und macht es kurzerhand recht brachial zu seiner Geliebten. Andernorts zieht ein Mönch mit seinem Lieblingsschaf umher und hört überirdische Stimmen; ein Inzest zwischen Geschwistern kostete einen anderen Mann einen Arm; zu diesen und anderen Eindrücken einer ver-rückten und teils blutrünstigen Menschheit gesellen sich als regelmäßiger Gegenschnitt Wolfsrudel und eine Erzählung über einen Werwolf. Man könnte auch sagen der Streifen ist in bester Tradition des russischen Formalismus gehalten, setzt stark auf visuelle Assoziationen – oder einfacher: wer Sitzfleisch und eine Vorliebe für (auch) aus (der Zeit) gefallene Kinogeschichten mitbringt, wird hier ganz gewiss nicht enttäuscht. Wenngleich an der einen oder anderen Stelle des atmosphärisch herausragenden Films auch am Ende mehr Fragen als Antworten bleiben werden.Wirklich leicht alle Drehungen und Wendungen zu verstehen, macht es einem auch die schweizerisch-deutsche Produktion “Polder – Tokyo Heidi” nicht. Auch hier werden Sehgewohnheiten bewusst unterlaufen, auch hier wird mit unterschiedlichsten Stilmitteln fröhlich herumgewerkelt. Es geht um nichts Geringeres als eine nie dagewesene Onlinewelt, in der die Engine die geheimsten Sehnsüchte der Gamer scannt und in phantastische Adventures verwandelt. Überdies verspricht der internationale Konzern Neuroo-X für sein in Spielerkreisen entsprechend hoch gehandeltes Produkt, bei dem ein “rotes Buch” eine große Rolle spielen soll: “Die subjektiv erlebte Zeit ist viel länger, als die objektiv verbrachte. Das Spiel fungiert als Verlängerer des Lebens.” Doch irgendetwas ist schief gelaufen – ausgerechnet kurz vor dem Release: Entwickler Marcus (Christoph Bach) ist tot! War es am Ende Mord? Seine Geliebte, Ryuko (Nina Fog), will jedenfalls herausfinden, wss während eines Testlaufs des Spiels in China Schreckliches passiert ist. Und auch ihren Sohn Walter (Pascal Roelofse) zieht es überkurz oder lang in die Scheinwelten. Und so gibt es auch für den Zuschauer einen steten Wechsel zwischen beschaulichen Bergwelten und Begegnungen mit Hexen, Rittern, Dämonen – und Attentätern …
Doch mit fortlaufender – im doppelten Wortsinn – Spieldauer wird das gezielte Konterkarieren von Heimatkitsch durch Cyberspace und Manga-Attitüde leider etwa ermüdend, der ganze Plot wirkt zu gewollt. Es ist trotzdem kein Film bei dem einem sein Eintrittsgeld reuen muss, aber auch keiner an den man in vier-fünf Monaten noch begeistert zurückdenken wird. Dafür lässt Regisseur Samuel Schwarz einfach zu viele Chancen liegen.
2 thoughts on “Hochgefährliche Spiele, folgenschwere Raubzüge”