Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Keine Freiheit am Hindukusch

“Das Land der Erleuchteten” will sowohl Doku als auch Spielfilm in einem sein. Und zuvörderst zeigen, wie nomadisch lebende Kinderbanden in Afghanistan etwas Geld mit den Überbleibseln der vielen Kriege, unter denen ihr Land seit geraumer Zeit zu leiden hatte, verdienen und wie sie sich insgeheim eine Zukunft vorstellen.

The Land of the EnlightenedDer Streifen beginnt mit einer von einer Off-Stimme getragenen Erzählung, wie sie in recht ähnlicher Form auch jeder Besucher Georgiens aufgetischt bekommt. Dort waren die Menschen zu faul sich in die Schlange zu stellen, als Gott der Menschheit die Länder vermachte; hier am Hindukusch war der, der ein Stück Erde für seine Kollegen sichern sollte, der Legende nach zu schmächtig um sich gegen die anderen Landsucher durchzusetzen: in beiden Fällen habe der Weltenschöpfer am Ende entweder herzlich gelacht über die Chuzpe oder Mitgefühl gehabt, jedenfalls den schönsten Flecken Erde, den er eigentlich für sich selber bewahren wollte, letztlich abgegeben. Wenn man die ersten Bilder des Films “Das Land der Erleuchteten” sieht, muss man diese Geschichte zumindest in Bezug auf Afghanistan für eine Farce halten. Denn anders als in der Kaukasusrepublik sieht es hier nominell erst mal überhaupt nicht so aus, als ob man hier freiwillig leben möchte. Erst recht nicht, wenn man daran denkt, was hier die vergangenen Jahrzehnte an Krieg und Gewalt von Außen und Innen herrschte und teils noch herrscht. Doch im Verlauf von rund 90 Minuten wird der Zuschauer Landschaftsaufnahmen sehen, die mitunter durchaus einen großen Charme ausstrahlen. Unter anderem wildeste Berglandschaften, Schluchten, Mohnfelder und sonderbarste Wüsteneien. Aber um all das geht es letztlich gar nicht. Und auch nicht wirklich um das – wenn man mal von wiederholten Schwenks auf Opiumpflanzen und dem Umgang mit deren “Gaben” absieht – was der Regisseur (der Belgier Pieter-Jan De Pue) rund um seinen Film als Basiswissen zu erzählen weiss:

Dreißig Jahre sowjetische Besatzung, Mujaheddin Bürgerkrieg und das Talibanregime versetzten Afghanistan zurück ins Mittelalter. Dies gilt vor allem für die immer trockenen und unfruchtbaren Gebirge liegenden Provinzen. Trotz der Wiederaufbaumaßnahmen der internationalen Gemeinschaft misstraut die Bevölkerung der fremden Hilfe und die afghanische Regierung bleibt unbeständig und korrupt. Die Taliban werden indirekt von Pakistan und dem amerikanischen Geheimdienst finanziert und die Opiumernte bricht alle Rekorde.Die Kluft zwischen arm und reich wird immer größer. Geländewagen fahren in den Straßen Kabuls auf und ab und drogenfinanzierte Villen sprießen wie Pilze aus dem Boden. Viele der aus dem Iran und Pakistan zurückkehrenden afghanischen Flüchtlinge sind heroinabhängig und hausen unter Brücken oder in Kriegsruinen. Die meisten der Menschen, die aus den Grenzlagern wieder zurückkehren, haben jeglichen Kontakt zu ihren Familien verloren…

Im Mittelpunkt seiner Produktion stehen aber weder die Drogenbarone noch Letztgenannte – sondern vielmehr Kinder, die teils Schmuggler auf der Handelsroute nach Pakistan überfallen, teils vorsichtig Landminen freilegen oder in Lapislazuli-Minen schuften, wirklich alles von einem selbst geschlachteten Schaf essen (Augen und Hirn inbegriffen) oder auch mal ansatzweise “Kind” sein können – beim Spielen auf alten, verrotteten Panzern. Aber man sieht auch mal einen vielleicht 14-jährigen, der einem puppengleichen, deutlich jüngeren Mädchen “verspricht”, dass die Beiden in nicht all zu ferner Zukunft heiraten würden…

Für Menschen die nicht bildlich gesprochen hinterm Berg leben, und davon soll es auch trotz täglicher, einlullender Berieselung von ARD-RTL-II selbst in Deutschland noch einige geben, liest sich ein anderes Statement der Produktion wie eine Binse. Aber doch ist dieser Passus eigentlich wichtig zum Verständnis der Herangehensweise des Regisseurs – insofern liegt unseres Erachtens schon einer der Grundfehler des Films darin, dass seine Worte nicht wenigstens irgendwann in der ersten halben Stunde eingeflochten sind, sich letztlich gar nicht auf der Leinwand sondern nur in den Begleitmaterilaien wiederfinden:

Es gibt eine große Abweichung zwischen der afghanischen Sichtweise auf die Zukunft ihres Landes und die der internationalen Gemeinschaft, die versucht, ein demokratisches System, basierend auf westlichen Werten, einzuführen. Ein amerikanischer Offizier erzählte mir einmal: „Wir müssen die Leute mit der materiellen Welt vertraut machen, damit sie etwas haben, für das sie kämpfen können. Also beschloss ich mich auf Kinder zu konzentrieren, die während des Krieges auf die Welt gekommen sind, mit dem Versuch zu verstehen, wie sie das Leben in Kriegszeiten erfahren und wahrnehmen. Ich habe Kinder kennengelernt, die unter ungreifbaren Bedingungen arbeiten und unglaubliche Jobs ausüben, um zu überleben und ihre Familien zu ernähren.“



Liest sich bis auf den leider fehlenden Umstand, dass die “internationale Gemeinschaft”, die angeblich versuche, ein (wenn auch , das bekundet ja auch De Pue twischen den Zeilen hier so ohnedies nicht passendes) “demokratisches System” aufzubauen, häufig offenbar alles andere als hehre Ziele verfolgt, durchaus anspruchsvoll und differnziert. Und so sieht es denn auf der Leinwand auch weitestgehend aus. Wenn nicht bei wachem Verstand nach und nach Zweifel kämen, wie dokumentarisch das Alles ist, was man hier dargeboten bekommt. Und wiederum im “Kleingedruckten”, den Presseheften zum Film und andenorts, machen die Verantwortlichen auch gar keinen Hehl daraus, dass das Meiste für die Leinwand absolut insziniert wurde! Wenngleich die Kinder keine Schauspieler im klassischen Sinn sind, es sich tatsächlich um ganz “normale” Kinder vor Ort handelt. Das Stichwort lautet Re-Enactment – der Produzent erläutert dazu:

Durch diverse Aufträge als Fotograf für verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen und Magazine kam Pieter-Jan erstmals in Kontakt mit den verschiedenen Kindergruppen in Afghanistan und lernte so über Jahre ihre Welt kennen. Für seinen Film wollte er ihre Geschichte kinematografisch erzählen, als Dokumentarfilm, weil es um diese Kinder geht und wie sie ihren Alltag mit der fortlaufenden Besatzung des Landes bewältigen. Während wir das Skript verfassten und die Vorbereitungen begannen, wurde uns klar, dass es produktionstechnisch fast unmöglich war, ihre Geschichte in einem rein dokumentarischen Stil zu erzählen. Die Kinder im Film sind nicht dieselben Kinder, die Pieter-Jan vor vielen Jahren traf. Trotzdem haben sie genau die gleichen Probleme, Träume und Ängste wie diejenigen, die seinen Weg damals kreuzten. Er begann damit Kinder zu suchen, die ihre eigene Realität als Re-Enactment wiederaufführen würden, schloss Deals mit Dorfoberhäuptern und Kriegsführern ab und führte bei den Aufnahmen die Regie.

“Diese Technik des Storytellings” habe man während des Drehs und vor allem im Schnitt “weiterentwickelt”. Mit dem Ziel, nicht nur die Lebensweise der Kinder zu zeigen, “sondern auch, ihre Träume und ihre Phantasie zu verbildlichen.” Schließlich seien alle Ereignisse, von denen auf der Leinwand erzählt wird, “tatsächlich geschehen, wobei ihre Träume ein Teil dieser Realität sind.”

Das kann man sich leider nur allzu gut vorstellen, aber der Film bleibt somit in seiner Gesamtheit meilenweit hinter seinen Möglichkeiten zurück. Nachfühlen zu lassen, das schafft der “Hybrid”-Streifen immerhin auf exzellente Weise: Die opulenten Bilder eines auch ohne Kriegseinflüsse für “unsere” Augen über weite Strecken unwirklich, um nicht zu sagen trostlos scheinenden Landes, ziehen einen unweigerlich in die Leinwand hinein. Und die platisch gemachte Vorstellung, dass Kinder bereits ab frühstem Alter förmlich gewzingen sind, sich komplett auf sich allein gestellt durchzuschlagen, zu ahnen, wie viele Heranwachsende in Afghanistan somit entschlossen sind, alle Probleme, die sich ihnen in den Weg stellen notfalls mit Improvisation und nicht selten unter höchster Lebensgefahr zu lösen und trotzdem ihre tatsächlich archaische und traditionelle Lebensweise, die enge Verbundenheit zur Natur nicht zu verraten, aber durchaus auch Gewaltphantasien neben dem Träumen nach besseren Zeiten, am Ende mit sich selbst als friedlichen König auf dem “Thron” zu entwickeln, kann eben nicht unberührt lassen. Erst recht, da Regisseur de Pue neben den Kindern und einigen Alten des Landes auch in Afghanistan stationierte amerikanische Soldaten zeigt: beim Abfeuern von tatsächlich verheerenden Waffen, beim Krafttraining und vor allem mit offenkundiger Empathielosigkeit und sonstiger Überheblichkeit.



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