Wieviel Demütigungen und Willkür – nicht nur gegen sich selbst, auch gegen Kollegen – erduldet man, um einen Job, den man nach langer Arbeitslosigkeit bekommen hat, nicht gleich wieder zu verlieren? Der französische Regisseur Stéphane Brizé und sein Hauptdarsteller Vincent Lindon zeichnen in “Der Wert des Menschen” ein schonungsloses Bild westeuropäischer Wirklichkeiten. Neben diesem Film, dessen Originaltitel eins zu eins übrigens durchaus treffend mit “Das Gesetz des Marktes” übersetzt gewesen wäre, beleuchten wir von den Kinoneustarts dieser Woche nachfolgend auch die Doku “Power to change – Die Energie-Rebellion”.
Thierry (Vincent Lindon, unter anderem bekannt aus “Der letzte Frühling” oder “Dreckskerle“) ist über 50, gelernter Maschinist und seit 20 Monaten auf der Suche nach einem neuen Job. Dass er den alten im Zuge von Protestaktionen gegen den Arbeitgeber verloren hat, wird durch Gespräche mit seinen früheren Kollegen klar, die gegen der tatsächlich willkürlich wirkende Kündigung vorgehen wollen. Thierry selbst will nicht mehr kämpfen, besser gesagt er hat offensichtlich keine Kraft mehr dafür, hat mit dem mehr schlecht als recht Überleben gegenwärtig genug zu tun: Die letzten Geldreserven aus besseren Tagen auf dem Konto gehen langsam aber sicher zu Ende – Rechnungen kommen davon natürlich unbeeindruckt weiterhin ins Haus. Neben den üblichen Lebenserhaltungskosten die jederman zu tragen hat, kommen in seiner Familie noch die Kosten für ein Internat, das seinen körperlich behinderten Sohn auf eine Hochschulausbildung vorbereiten soll. Und dann gibt auch noch das Auto den Geist auf. Immerhin muss die dreiköpfige Familie keine Miete zahlen, weil sie sich vor Jahren ein kleines Haus gekauft hat. Doch Banken und Jobcenter legen Thierry nahe, es zu verkaufen, um wieder flüssig zu werden, was für ihn nicht in Frage kommt. Aber in anderen Punkten “funktioniert” er wie es die Ämter gerne haben, lässt sich etwa von einer Fortbildung zur anderen schicken, die ihm und anderen Langzeitarbeitslosen in seinem Alter bekanntermaßen aber gemenhin nichts bringen, jedoch für irgendwelche findigen “Erwachsenenbildungswerke” und andere pseudosoziale “Vereine” wohl generell eine wahre Goldgrube sind.
Doch nun hat er endlich wieder einen Job gefunden – als Sicherheitsmann in einem Einkaufszentrum. Nicht nur, dass er auch die offensichtlich nur aus eigener Not und auch nur Kleinigkeiten stehlenden Menschen unterschiedlos wie passionierte Langfinger an die Justiz ausliefern muss, was die Betroffenen in einen weiteren Alptraum stürzen wird, nein: er wird letztlich gar gefordert Mitarbeiterinnen zu bespitzeln, weil diese ja vielleicht von Kunden liegengelassene, also bewusst frei (!) gegebene Rabattmarken (Stichwort Treueherzen, Paybackpunkte – dieses Themenfeld) als indirekte Aufbesserung ihrer kargen Löhne nutzen könnten…
Der begnadete Charakterdarsteller Vincent Lindon (für “Der Wert des Menschen” wurde er im Offiziellen Wettbewerb von Cannes 2015 mit dem Preis für die beste männliche Hauptrolle ausgezeichnet), diesmal mit Schnauzer, ist in diesem leisen und vielleicht gerade deshalb den Betrachter so aufwühlenden Sozialdrama, in dem zahlreiche Laiendarsteller für zusätzliche Authenzität sorgen, absolut sehenswert. Insbesondere wenn sein wortkarger Thierry Zeuge wird, mit welchen Methoden der Ladenbesitzer seinen Umsatz steigern will, wie wenig langjähige, bei Kunden beliebte Mitarbeiter ihm wert sind. Regisseur Stéphane Brizé zeigt ungeschönt, in welcher miserablen Lage sich der Arbeitsmarkt heute befindet – Bilder die nicht nur für Frankreich Gültigkeit besitzen: die Allmacht der Märkte, das Ausbeutesystem von Lohndumping, das nicht zuletzt dank der gehätschelten Zeitarbeitsfirmen auch in Deutschland seit Jahren immer schlimemr um sich greift. Man ist als Arbeitnehmer nurmehr austauschbar, also erst gar nicht aufmucken, besonders wenn man nicht mehr jung ist; das Jobcenter hält nur feigenblattmäßig den Deckel drauf, changiert zwischen “Kunden”schikane und Beschäftigungstherapien, über die offenkundig viel zu wenig Wissen vorhanden ist, wenn nicht gar sehenden Auges neben staatlichen Geldern Motivation von Arbeitssuchenden vernichtet wird. Trotz dieser schweren Themen schafft es “Der Wert des Menschen” ein wenig Hoffnung zu geben, zeigt, dass es im Leben wirklich Wichtigeres gibt, als für einen ohnedies geringen finanziellen Lohn alles mitzumachen. Ein leiser Appell nicht am Selbstekel zu ersticken. “Power to change – Die Energie-Rebellion”
Auch der zweite Neustarter, den wir diese Woche beleuchten wollen, kommt in seiner Eigenwerbung sozial engagiert daher. In “Power to change – Die Energie-Rebellion” geht es formal um Fragen der Energie. Vor allem um Alternativen zum Atom-, aber auch zum Kohlestrom, um moderne Autos – und auch hier letzlich um die Schattenseiten der bestehenden ökonomischen Verhältnisse, vor allem auch dem keineswegs nur in Deutschland schädlichen Einfluss von geldstarken Lobbyisten bis hin zu der Frage, wie oft unter diesem oder jenem Deckmäntelchen gar zahlose Menschen mordende Kriege geführt werden, obgleich es – wenn man genau hinschaut -, eben oftmals mehr um die Macht über Energieressourcen wie Öl denn um etwaige Menschenrechte geht. Sehr irritierend, dass dann aber im gesamten Filmverlauf kaum kritische Worte über Deutschland und die USA fallen, aber wie ein roter Faden insbesondere Iran, China und Russland – wo es natürlich per se durchaus viel Kritikwürdiges gibt, uns stört(e) jedoch die Einseitigkeit der Doku – vorgeführt werden.
Aber auch wenn sich Regisseur Carl A. Fechner unmittelbar mit eigentlich höchstspannenden alternativen Energieprojekten in Deutschland wie “Lageenergiespeicher” oder “Batteriekraftwerke” beschäftigt, herrscht in EnergieRebellion eine unangenehm künstliche Atmosphäre, als ob nahezu neun von zehn Interviewszenen und auch der gleiche Prozentsatz Interaktion zwischen von den Filmemachern eigentlich nur beobachteten Businessgesprächen wenigstens drei, vier mal geprobt worden wäre; zu allem Übel sinnfrei, keineswegs dramaturgisch entschuldbar, in Sachen Handlungsorte hin-und-her gesprungen wird und einer der Protagonisten den Ortswechsel dann noch aus dem Off qua anmoderiert, nach dem Motto “Mir ging dieses oder jenes nicht aus dem Kopf, drum bin ich da einige Wochen nochmal hingefahren”. Die sicher gut gemeinte und trotz wiederholter Erwähnung bekannter Firmen als Exempel, dass es auch bei großen Wirtschaftsunternehmen punktuell Umdenker gibt, immerhin nicht auch noch nach Schleichwerbung riechende Doku ist aber in jedem Fall auch aus filmästhetischer Sicht weder für die große Leinwand noch als Langfilm ein Gewinn. Obgleich erkennbar viel versucht wurde, richtrig “groß” daherzukommen. Das Ganze eingeschrumpft auf auch dramaturgisch gänzlich neu geschnittene vierzig bis fünfzig Minuten könnte durchaus mit dem wesentlichen Material ein für bisher nur oberflächlich mit den Fortschritten und vor allem zukunftsweisenden Ideen natürlicher bzw. alternativer Energieformen in Berührung gekommenen Menschen hier und da Aha-Erlebnisse bereiten. Hätte man beispielsweise auf “Die opulente Filmmusik”, sie stamme “vom 70- köpfigen Prager Symphonieorchester” verzichtet, welche über den gesamten Filmverlauf ohnedies nur extrem aufgesetzt, mitunter nervtötend wirkt, verzichtet – mit 1,7 Millionen Euro, die der vorgeblich auf Optimismus ausgelegte Streifen dann letztlich gekostet habe, hätte man durchaus punktuell mehr in die Tiefe gehen, Teilbereiche nicht nur oberflächlich anreißen können.
March 16, 2016
Wenn Rabattmarken Leben gefährden
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