Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Kein Sarg für ihn

Der schweizer-georgische Spielfilm „Wet Sand“ (Starttermin: 24.11.2022) erzählt über das so genannte Anderssein, was für eine Dorfgemeinschaft ein Affront ist. Als einer stirbt, kommt eine jahrzehntelang geheim gehaltene Liebe zum Vorschein – mit ungeahnten Folgen für alle Beteiligten.

Es ist ein kleines Dorf irgendwo an Meer. Eine Kneipe am Ufer, wo man zum Bier- oder Kaffeetrinken vorbeischaut, mit einem wortkargen Besitzer und einer eigensinnigen Mitarbeiterin. Die Touristensaison scheint vorbei zu sein, das Leben in dem Dorf plätschert so vor sich hin. Bis eines Tages ein älterer alleinstehender Mann erhängt in seinem Haus aufgefunden wird. Eliko hat niemanden, der das Begräbnis organisieren kann. Wohl oder übel muss die Dorfgemeinschaft sich darum kümmern. Viele mochten den alten Mann nicht, er stand wohl immer abseits der Gemeinde. Der Wirt Amnon (Gia Agumava) findet seine einzige Hinterbliebene, die Enkelin Moe (Bebe Sesitashvili), die seit ihrer Kindheit nicht mehr im Dorf gewesen ist. Sie kommt für das Begräbnis zurück – und mit ihr die Unruhe in den verschlafenen Ort.

„Wet Sand“ ist eine schweizer-georgische Koproduktion von Elene Naveriani. Der Film läuft im Kino in der georgischen Originalsprache mit deutschen Untertiteln. Es ist ihr zweiter Spielfilm, für den der Hauptdarsteller Gia Agumava in Locarno als “Bester Darsteller” ausgezeichnet wurde. Dabei ist der Mann eigentlich Lateinprofessor, unterrichtet angehende Mediziner, hat entsprechend kaum Erfahrung vor der Kamera. Auch Bebe Sesitashvili ist bisher Laie im Sujet Film. Was Beides kein Zufall ist! Die junge Regisseurin Naveriani hatte nämlich Schwierigkeiten, in ihrer kaukasischen Heimat namhafte Mimen für “diesen speziellen Stoff” zu carsten. Sie kassierte Absagen, was bezeichnend ist, denn es geht in ihrem Projekt explizit um Homosexualität, um das Anderssein und die Akzeptanz dieses Andersseins.

Menschen, die sich für das Themenfeld und internationale Entwicklungen gleichermaßen, oder auch “nur” für simpelste Menschenrechte interessieren, dürften noch lebhaft in Erinnerung haben, wie die ultranationale Rechtsbewegung „Georgischer Marsch“ zusammen mit mehrheitlich reaktionären Kirchenmännern den Mob gegen die Premiere von „Als wir tanzten“ (einem schwedisch-georgischen Film über die Liebe eines (fiktiven) Ensemblemitglieds beim traditionsreichen Staatsballett Sukhishvili zu einem anderen Mann) mobilisierte. Oder an beängstigende Bilder (bishin zum Tod eines Kameramannes namens Lashkarava) von der Pride 2021 aus der Hauptstadt Tiflis. In einem Land, in dem zahllose Lieschen Müllers und Hans Mustermanns einen Schauspieler nicht von seiner Rolle zu unterscheiden vermögen, kann alles, was von den so genannten traditionellen Rollen von Mann und Frau abweicht, tatsächlich schnell zum lebensbedrohlichen Verhängnis werden. Über den Verlust von Ansehen und Jobangeboten für einen Schauspieler der an der neutralen oder gar positiv konnotierten Behandlung des Themenfelds mitmischt ganz zu schweigen.

Die Ultrarechte in Georgien im Schulterschluss mit der dortigen orthodoxen Kirche, ihren Jüngern und Befürwortern aber auch einer breiten gesellschaftlichen Schicht die man hierzulande wohl schlicht als “konservativ” bezeichnen würde, sieht generell in allen Ausprägungen von Vielfalt einen Erzfeind der patriarchalisch geprägten Kultur und bekämpft somit auch jeden Verdacht auf Homosexualität mit aller Macht. Der Alltag von queeren Menschen in Georgien ist seit Jahrzehnten sehr hart, und wurde die letzten Jahre gar noch ärger. Der georgische Gesetzesapparat bietet im Grunde keinerlei Schutz. Und diejenigen, auch bisexuelle Männer mit Frau und Kindern, die ins Ausland flüchten, um dort nach Asyl zu fragen, werden von schweizer oder deutschen Beamten teilweise regelrecht verhöhnt und zurückgewiesen.

Im europäischen Kulturbereich hingegen ist vieles weltoffener: Ohne das anfängliche Schweizer Engagement hätte die Regisseurin von „Wet Sand“, die in Bern Film studiert hat, keine offizielle Finanzierung in Georgien erhalten. Zu provokant die Geschichte, zu der ihr Bruder Sandro Naveriani das Drehbuch schrieb. Sie versteht ihren Film als eine Form von Aktivismus gegen alte, erstarrte, religiöse und soziale Institutionen. Zur Seite stand ihr die Produzentin Ketie Danelia, die bereits „Als wir tanzten“ von Levan Akin mitproduziert hat.

Naveriani Film nun erzählt mit leisen Tönen, subtilen Andeutungen und unaufgeregten Andeutungen. „Wet Sand“ ist melancholisch, gibt aber nicht auf, es ist immer ein Hoffnungsschimmer zu sehen. Jeder der ein wenig Ahnung von der kleinen Kaukasusrepublik hat, erkennt, wie authentisch leider die in der Story eingewobenen gehässigen Anmerkungen der Dörfler über Menschen sind, die sie nicht verstehen oder die schlicht anders sind als sie selber sind. Und auch jeder Zuschauer, der sich bisher nicht mit queeren Themen auseinandersetzte, erhält dank dieses auch hinsichtlich seiner mehr als soliden Kameraleistung unbedingt sehenswerte Streifens, ein sehr gutes Gefühl, wie es ist, sich jahrzehntelang in Lügen zu hüllen, um sich durch einen Blick oder einer Geste nicht zu verraten.

Ohne zu sehr zu spoilern: Als die Filmfigur der Moe Stück für Stück dem Liebesleben ihres Großvaters, den ihr ihre Mutter schon lange für tot verkauft hatte, näher kommt und auch die Dorfbewohner langsam die Wahrheit erfahren – einen “gewissen Verdacht” hatten sie wohl schon immer, aber solange “es” nicht offiziell war, konnten sie es ignorieren, “dem Problem” sprichwörtlich aus dem Weg gehen – nimmt der Alltag nicht nur für diese Hinterbliebene eine unschöne Entwicklung. Dass die Enkelin im Dorf selbst nicht einmal einen Sarg verkauft bekommt, ist da noch das geringste Übel…

 

 



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