Die Firma “Rügenwälder Mühle” ist eigentlich bekannt für Fleischwürste und andere tierische Produkte. Da neben den Menschen – Meinungsforschern und Statistikern zufolge immerhin in Deutschland bereits 10 Prozent -, die insbesondere aus gesundheitlichen und ethischen Gründen völlig auf Fleischkonsum verzichten, also zumindest als Vegetarier, wenn nicht gar als Veganer leben, auch der Anteil derer steigt, die unter dem Kunstwort Flexitarismus zu verorten sind – sie essen nur selten, nur ausgewähltes oder nur wenig Fleisch -, setzt eine der bekanntesten Wurstfabriken Deutschlands auf alternative Märkte. Neuerdings auch tiefgekühlt.
Mit fleischfreien Schnitzeln beispielsweise: “in nur 10 Minuten zubereitet und ideal zum bevorraten”, scheint wie die Faust aufs Auge zu passen für Menschen, die im Alltag zum einen immer weniger Zeit haben und zum anderen eine Esskultur bevorzugen, welche den Konsum von Fleisch zulässt, ihn jedoch nicht zum Ernährungsmittelpunkt macht. Neben den flexiblen, sollen sich auch die “echten” Vegetarier angesprochen werden, von den Varianten mit Hühnerei-Eiweiß, Rapsöl und Soja. Wir haben vier verschiedene TK-Produkte aus der Rügenwalder Linie getestet: Vegetarische Mühlen Nuggets klassisch, Chickenburger, Schnitzel und Cordon Bleu – alles fertig paniert.
Zunächst zu technischen Fragen. Das Unternehmen räumt unumwunden ein, beim Thema “getrennte Produktion” noch nicht “am Ziel” zu sein. Man plane für vegetarische und vegane Produkte einen eigenen Produktionsstandort: “Bis wir dort mit der Herstellung starten können, nutzen wir für die Herstellung unserer Veggie-Produkte derzeit noch teilweise dieselben Räume und Maschinen wie für unsere Fleischprodukte und arbeiten zusätzlich mit Partnerbetrieben.”Etwas weniger offensiv geht man in Bad Zwischenahn indes mit der Frage der Zusatzstoffe um. Denn wer in die bekannteste aller Suchmaschinen den Firmennamen und das Reizwort eingibt – oder wer auch direkt auf der Unternehmenswebseite ein wenig oberflächlich hin und herklickt – könnte den Eindruck gewinnen, dass es hier gar keiner Betrachtung bedarf. Schließlich steht Rügenwwalder ja seit vielen Jahren eigentlich für den Spruch “4 x ohne” – also Verzicht auf Gluten, Farbstoffe, Geschmacksverstärker oder Laktose. Doch irgendwo findet sich dann folgendes: “Unsere Vegetarische Mühlen Fleischwurst enthält kein Gluten. Bei allen anderen vegetarischen Produkten können wir noch nicht auf Gluten verzichten, wobei der Vegetarische Schinken Spicker und das Vegetarische Mühlen Hack lediglich Spuren von Gluten enthalten können. Je nach Produkt setzen wir auch Farbstoffe ein (Vegetarischer Schinken Spicker, Vegetarische Mühlen Fleischwurst und Vegetarische Mühlen Schnitzel Cordon Bleu). Schließlich sollen unsere vegetarischen Produkte nicht nur genauso schmecken wie Fleisch und Wurst, sondern auch genauso aussehen.”
Bevor wir zur zentralen Frage des Geschmackserlebnisses kommen, noch ein paar Worte zur Verpackung der Produkte: Während die Nuggets (neun Stück) in der Papschachtel noch zusätzlich in einer Folie verpackt sind, was praktisch ist, wenn man nicht alles auf einmal zubereiten möchte, verbleiben die jeweils im Duo ausgelieferten Chickenburger, Schnitzel (je 180 g Einlage) und Cordon Bleu (200 g), wenn man nur eine halbe Portion wählt, in einer aufgerissenen Papschachtel ohne Schutz.
Über die Namensgebung unseres ersten Testprodukts kann man indes geteilter Meinung sein. Sollen ode rmüssen vegetarische Produkte auf dem Papier tatsächlich noch nach Tier klingen, auf dass Flexitarier sich doppelt überlisten können? Da dies aber eine Frage ist, die viele Firmen beträfe, nunmehr wirklich zu den rein inneren Werten: Der sogenannte Chickenburger von Rügenwalder besteht aus 11% Sojaproteinkonzentrat, mit 212 kcal pro 100 Gramm und ist tatsächlich absolut mühelos und superschnell zuzubereiten. Wenn man neben dem TK-Produkt aus Niedersachsen auch noch zwei Brötchenteile, passende Soßen, Gemüse und Schmelzkäse besorgt hat. Denn derlei ist in dem unter drei Euro Endverbraucherpreis kalkulierten Karton mit zwei Petties nicht inkludiert. Man kann die Fladen unaufgetaut am besten zunächst in der Pfanne mit etwas Fett anbraten und dann mit den genannten Zutaten zum Burger “zusammengebaut” kurz den Backofen bemühen. Selbst hartgesottenste Fleischesser unserer Testrunden, insbesondere jene, die im Diner ihres Vertrauens bisher bereits auch gerne mal zu einer Geflügelvariante statt zum Beef-Produkt griffen, waren “weitgehend” bis gar “absolut” angetan, von dem in sich tatsächlich sehr stimmigen Geschmackserlebnis.
Das Urteil insbesondere der Flexitarier – weniger der eingeschworenen Vegatrier (Veganer haben wir hier im Team immer noch keine) – zu den drei anderen Tiefkühlprodukten mit dem Mühlenlogo, fällt hingegen deutlich durchwachsener aus. Vor allem hinsichtlich der Schnitzel – weil ja das tierische Fett fehlt, sind die Stücke überdurchschnittlich fest und tendenziell auch recht trocken, was sich bei den Nuggets mit entsprechenden Dips gut kaschieren lässt; beim Cordon Bleu sorgt ja noch der Käse für etwas Saftigkeit. Trotzdem ist das letztgenannte Produkt unseres Erachtens das Unattraktivste im Sortiment – der fleischlose Schinken im Cordon Bleu konnte niemanden von uns auch nur ansatzweise begeistern. Um es höflich zu sagen: geschmacklich kein Hit. Und diejenigen, die wenigstens zwei, drei Mal die Woche Fleisch oder Geflügel konsumieren, aber durchaus (!) bereits vegetarische und vegane Fleischersatzpprodukte anderer Hersteller zu genießen wussten, hatten auch bei den Nuggets und den Schnitzeln letztlich keine überschwänglichen Werturteile parat, wurden also nicht “angefixt”.
Und dann war es weiten Teilen unserer Testrunde tatsächlich neu, dass das Unternehmen, das sich seit vielen Jahren in TV-Kampagnen mit allerdings ohnedies nur pseudojorunalistischen Promis als Testimonial so traditionsbewusst, so authentisch darstellt, und eben das “die mit der Mühle” zum Claim erhoben hat, eine solche eigentlich nie besaß! Das Kapitel unter der Rügenwalder-URL “unsere-familiengeschichte” das von 1903 bis 1945 im übrigen viel Raum für weitere Fragen lässt, erzählt zum Firmenlogo mit den markanten Wurstflügeln: “Um Carl Müllers Wurst von allen anderen zu unterscheiden, kommt seine Frau Alwine auf die Idee, sie mit einer roten Mühle zu versehen.” – dass es aber weder in Pommern noch am folgenden (und bis heute bestehenden) Standort Niedersachsen traditionell eine Mühle zur Firma gab, wird an dieser Stelle geflissentlich verschwiegen. Eine Mühle wurde denn tatsächlich erst vor wenigen Jahren errichtet. Unsinnigerweise, wie dereinst die taz aufdeckte, wohl in einem Landschaftsschutzgebiet. Damit die vielen Fans der Marke, die bis 2012 vergeblich nach der “berühmten” Mühle fragten, endlich etwas präsentiert bekommen können. Wie beim Thema Umgang mit Zusatzstoffen: um nicht gleich von Etikettenschwindel zu sprechen, unseres Erachtens alles ein wenig aufgesetzt. Positiv zu erwähnen bleibt dennoch, ein so großes Unternehmen versucht viel um die Option vegetarische Ernährung in den Mainstream zu befördern. Und sei es nur, um mittelfristig sein eigenes Überleben zu sichern. Andere namhafte Unternehmen und Konzerne sind da jedenfalls noch weit hinterher.
Habe am letzten Wochenende bei Freunden beim Brunch “Vegetarische Mühlen Nuggets klassisch” aufgetischt bekommen und fand die Teile nicht nur (entschuldigen Sie das deftige Wort!) furztrocken, sondern wirklich richtig schlecht. Schön, dass die Kulturküche in Ihrer Kritik so etwas nicht über den grünen Klee lobt. Kritische Medien gerade zu Lifestyle-Themen sind ja leider sehr rar. Auch meine Gastgeber, zwei Vegetarier, waren bitter enttäuscht. Sie hatten zum ersten Mal zugegriffen gehabt. Werden es nie wieder tun.