Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Aus der Zeit gefallen

In seiner Komödie „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ (in der Hauptrolle: Sänger und Songwriter Voodoo Jürgens) widmet sich Adrian Goiginge letztlich auch der Wiener Mundart und dem, was mancher fälschlicherweise in die Schublade Austropop stecken würde. Im Grunde geht es aber ganz universell um’s Überleben, um eine zerbrochene Beziehung und zwei Väter, die sich jeder auf seine Art schwer tun, der Erwartung an diese Aufgabe gerecht zu werden. 

Rickerl heißt eigentlich Erich Bohacek. Der Chaot und Feingeist ist häufig “Gast” in der Wiener Arbeitsagentur. Denn mit seinen Gelegenheitsjobs, wie Totengräber oder Mitarbeiter in einem Sexshop, käme er zwar über die Runden, aber – keineswegs aus purer Faulheit – hat er irgendwie kein Glück. Er scheint tatsächlich keine Stelle länger behalten zu können. Aber am liebsten schreibt er ohnedies Lieder. In seiner Gitarrentasche fliegen zig höchst persönliche Liedtexte, voll gekritzelt auf allem, was Rickerl, immer wenn die Muse küsste, gerade unter die Finger kam. Der irgendwie verhauen und gleichzeitig gütig wirkende Kerl hat sogar einen Manager, stand wohl vor geraumer Zeit kurz davor, die ersten Lieder richtig professionell einzuspielen. Allerdings machte der Kettenraucher dann doch einen Rückzieher. Einerseits weil wohl die eine oder andere Beziehungsgeschichte nicht mehr so recht zu seinem eigenen Privatleben passen würde (die Frau seiner Träume und Mutter eines gemeinsamen Kindes hat ihn verlassen und lebt nun in einer besseren Gegend mit einem “Piefke”), aber vielleicht auch wegen der demontierenden Sprüche seines – wohl schon in seiner Kindheit kaum vorhandenen – Vaters. Jedenfalls ist offensichtlich, dass Rickerl, kaum noch an sich selbst glaubt, schwer davon zu überzeugen ist, es doch noch als Künstler zu schaffen. Aber auch wenn alles schwierig ist: sein besagtes Kind, ein sechsjähriger Junge, vergöttert ihn. Seine Ex, Vicki, hat zwar auch noch was für ihn übrig, denkt aber in den überwiegenden rationalen Momenten lieber an die bessere Zukunft.  Eine verrauchte Kneipe im Wiener Arbeiterviertel mit allabendlich den selben Stammgästen, die wohl auch schon die Freizeit mit ihm teilten, als er bessere Zeiten mit Vicki hatte, ist Rickerls wahres Zuhause – hier fühlt er sich augenscheinlich geborgen. Nur, als er durch eine Verkettung unglücklicher Umstände davor ist, endgültig alles, was ihm lieb ist, zu verlieren, traut er sich aus seiner Komfortzone heraus…

Der 32jährige Regisseur und Drehbuchschreiber Adrian Goiginger („Die beste aller Welten“, „Märzengrund“, „Der Fuchs“) hat mit „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ eine zutiefst melancholische, recht gefühlvolle Komödie geschaffen, mit wunderbaren Liedern des Sängers und Songwritters Voodoo Jürgens (mit bürgerlichem Namen David Öllerer), der auch die Hauptrolle spielt und im Film, wenn die Kasse mal wieder überhaupt nicht stimmt, sattsam bekannte Austro-Pop-Lieder als Coverversion bei betont bieder wirkenden Hochzeitsgesellschaften zum Besten gibt. Goigingers erster fiktionaler Film ist dabei auch eine Liebeserklärung an den Teil Wiens, der im Verschwinden begriffen ist – inklusive der besonderen Mundart oder den Kiezkneipen,  in der Alpenrepublik Tschocherln genannt. Nicht nur wenn bei einem Kinobesuch von Rickerl bei einem Familienfilm offenbar ungestört geraucht werden darf, denkt man sich – wenn nicht ab und an beispielsweise “WhatsApp” zum Gesprächs-Thema wird, ob das Ganze überhaupt auch nur ansatzweise in der Gegenwart spielt. Wien wirkt hier tatsächlich wie aus der Zeit gefallen. Jedenfalls musste,  weil die modernen Hauptstadtkinder kaum noch Mundart sprechen, für die Rolle des Sechsjährigen im Niederösterreichischen gesucht werden, was sich gelohnt hat: der Junge, Ben Winkler, steht dem Großen Voodoo im Schauspielerischen trotz seines Debüts vor einer Kamera in Nichts nach. Gut für das deutsche Publikum, es wurde nichts synchronisiert: der authentische Flair wird beibehalten, „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ kommt mit leicht konsumierbarer Untertitelhilfe in die Lichtspielhäuser. Und es ist somit ein absolut runder Kinogenuss, denn die Vater-Sohn-Geschichte(n) sind an sich schon durchaus mehrschichtig und spannend erzählt, dazu der feine, oft zynische Humor.

Für diejenigen, die Voodoo Jürgens sträflicherweise noch nicht kennen: auch wenn man es bei der formalen Verulkung eines sehr berühmten Sänger-Namens kaum erwartet: er liefert traumhaft schöne, tiefgründige, kurzgeschichtenartige Lieder. Kleiner Spoiler, er hat als abgebrannter Kneipensänger in diesem Film sinnigerweise eine aberwitzige Begegnung mit einem hier betont arrogant auftretenden “Nino aus Wien”, der in Deutschland in den vergangenen Jahren schon bekannter wurde. Beide zusammen waren erst vor einigen Wochen in einem anderen Film gemeinsam unterwegs – das war allerdings eine Doku. Aber ebenfalls eine äußerst sehenswerte.

 

 

 



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