Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Wiener Herzblut in der Peep-Show

Die bunte musikalische Subkulturszene in Wien hat zahlreiche spannende Gesichter, einige von ihnen sind bereits auch in Deutschland nicht mehr nur totalen Insidern zumindest ein bisschen bekannt. Doch die Dokumentation „Vienna Calling“ hat für jeden Kinobesucher viel Neues zu erzählen. Regisseur Philipp Jedicke zeigt was die Künstler antreibt, woher sie ihre Inspiration und die Spielfreude nehmen.

EsRap – ein HipHop-Duo aus Österreich bestehend aus den Geschwistern Esra Özmen und Enes Özmen

Wolfgang Ambros, der ohnedies nicht in der Bundeshauptstadt der Alpenrepublik sondern in Niederösterreich das Licht der Welt erblickte, aber für viele “Piefkes” Ü50 bei der Frage, welche Musiker erwarten Sie, wenn eine Dokumentation die Wiener Musikszene beleuchtet, sicher noch immer in den Top5 genannt würde, kommt in “Vienna Calling” nur am Rande, und auch da nur indirekt vor:indem wirkliche Protagonisten eines seiner Lieder anstimmen. Der Überwiener Falco – abgesehen vom Titel der kurzweiligen und doch tiefgehenden Kinoproduktion – überhaupt nicht. Wer irgendwelche Rückblicke, Fachgespräche zur Musikbranche oder gar eine Lobhudelei auf den seit Jahrzehnten kursierenden Begriff Austropop erwartet, ist hier definitiv falsch.

Aber wer wirklich eintauchen will, was abseits des Mainstreams in der kulturell sehr spannenden Metropole in Österreich passiert, wird ohne wenn und aber seinen Spaß haben: Der deutsche Regisseur und Kulturjournalist Philipp Jedicke hat sich einige Protagonisten der Szene herausgepickt. Es sind keine wirklichen Portraits, die er liefert, auch keine wirklichen Interviews, sondern vielschichtige, äußerst interessante Momentaufnahmen, Gesprächs- und Musikausschnitte, Bilder – alles spielerisch und lässig, wie die Wiener halt vermeintlich alle so sind. Selbstironie und der Spaß an der Inszenierung sind omnipräsent. Kurzum: Es ist ein mit viel Liebe gemachter Film mit Konzertaufnahmen an teils sehr ungewöhnlichen Orten wie einer Peep-Show, aber auch kurzen Sequenzen bei denen man den Künstlern beim Kauf neuer Outfits über die Schulter schaut oder sie zu einem für sich selbst nicht minder spannenden Kult-Frisör, in einen leeren Swimmingpool oder beim Teetrinken mit der Familie wirklich nahe kommt… “Vienna Calling” bietet somit nicht “nur” in musikalischer Hinsicht die Chance auf so manche Neuentdeckung von Wien.

Der Wanda-Hit 2015 „Bologna“ war für den Rheinländer Philipp Jedicke („Shut up and play the piano“, 2018) quasi die Initialzündung für sein Interesse das typisch wienerische „Düster-Verruchte, Morbide und Selbstzerstörerische“ auszuloten. Abgründiges, gar hedonistisches in seinem eigenen Heimatland zu finden, wäre wohl auch ein eher sinnfreies Unterfangen gewesen. Und so entdeckten er und sein Team in Österreich immer mehr neue Bands und Künstler, von denen “Der Nino aus Wien”,  Songwriter und Sänger Nino Mandl mit seiner wenig mainstreamtauglichen Mischung aus Folk, Lo-Fi-Pop und Rock in Deutschland wohl am bekanntesten ist.  Nicht minder empfehlenswert ist aus Sicht der kultzurkueche.de Redaktion derzeit EsRap: das Hiphop/Rap-Duo besteht aus den im alten Wiener Arbeiterbezirk aufgewachsenen Geschwistern Esra und Enes Özmen, neben ihrem viel street credibility versprühenden Ohrwurm „Freunde dabei“ singen sie mit deutsch-türkischen Texten über Identität, das Fremdsein im Geburtsland obwohl man bereits zur dritten Generation der „Gastarbeiter“ gehört. Auch das Frausein in der männerdominierten Hip-Hop-Welt ist natürlich Thema bei den Beiden.

Weitere Künstler die Jedicke behandelt sind etwa Lydia Haider – eigentlich Schriftstellerin ,spielt aber auch in der Band „gebenedeit“ – oder nennen sich Voodoo Jürgens – der Mann der eigentlich David Öllerer heißt, ist mit seinem Wiener Dialekt bis hoch hinauf in Hamburger Clubs gemeinhin ausverkauft. Eine besonders skurrile Kunstfigur in “Vienna Calling” stellt ein gewisser “Gutlauninger” dar: seine Markenzeichen sind ein goldglitzernder Anzug und Synthie-Pop. Kerosin95 (Kem Kolleritsch), eine nichtbinäre Person, hingegen wurde mit Rap, Gesang und Schlagzeugspiel bekannt. Samu Casata schließlich, der ständig in Wien ober- oder unterirdisch unterwegs ist, unter anderem um Raves und Veranstaltungen zu organisieren, scheint mit der Musik selbst noch nicht ausreichend zu verdienen, und so schert er Schafe oder arbeitet auch als Barkeeper. Denn auch das Ökonomische spielt in diesem Film über die Wiener Musik- und Kulturszene eine Rolle, wenngleich eher zwischen den Zeilen. Ebenso der viel zitierte Wiener Schmäh, Zigarettenqualm und jede Menge Bier.



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