NEU IM KINO – Mit “Gestrandet” startet innerhalb von nur sieben Tagen nach “Cafe Waldluft” eine zweite Doku mit Asylbewerbern in der deutschen Provinz: die Produktion über fünf Flüchtlinge aus Eritrea, die in Ostfriesland landen, ist abermals ein unbedingt sehenswerter Film. Das selbe gilt erfreulicheweise auch für die skandinavische Leinwandarbeit “Ein Mann namens Ove”, wo ein nur scheinbar grundlos griesgrämiger Rentner im Mittelpunkt steht.Auf den ersten Blick könnte man sagen Aman, Ali, Hassan, Osman und Mohammed haben es gut erwischt. Die Asylbewerber aus Eritrea scheinen im ostfriesischen Strackholt die Chance zu haben, eine neue Heimat zu finden. Vor allem zwei Menschen kümmern sich sehr um sie: er mit relativ wenig Geduld, sie indes checkt früh, wie insbesondere Migranten im deutschen Behördendschungel systematisch degradiert werden. Er meint Helmut – dieser versucht dem Quintett einerseits ehrenamtlich Deutschunterricht zu geben, sie auch zu sportlichen Aktivitäten zu vermitteln, aber auch in “körperlichen” Fragen vorsorglich zu beraten. Es ist eine sehr obskure Szene, als das Grüppchen Flüchtlinge mit Helmut vor einem Kondomautomaten steht und er ihnen anpreist, dass es hier zum Preis von vier Euro drei Mal “Protection” zu erwerben gebe, die wichtig wäre beim Kontakt mit Frauen: “wehen you love a woman you have to protect – for aids, against aids…”. Nicht nur in dieser Situation ist greifbar, wie schwer die Kommunikation gegenseitig ist. Was aber natürlich nicht zuletzt daran liegt, dass gerade mal einer von den fünf Asylsuchenden ebenfalls nur halbwegs gut englisch kann, während drei Eriträer, die auch in Sachen Deutschlernen mit dem zu Nuscheln und Dialekt neigenden Helmut kaum voran kommen werden, sich auch in der Mittlersprache fast gar nicht verständigen können. Einer der Flüchtlinge ist zudem noch taubstumm…
Die zweite Person, die den Neuankömmlingen intensiver helfen will, heißt Christiane. Anders als Helmut, der das zu Beginn der Langzeitdoku augenscheinlich noch lernen muss (Achtung Spoileralarm: gegen Ende des Films, nach vielen Monaten – im Rückblick – wird er einen Teil seiner eigenen Defizite erkannt haben), versteht sie es ausgezeichnet, sich direkt mit viel Empathie in ihre Mitmenschen hineinzuversetzen. Es ist in all ihren Worten, aber auch in vielen ihrer Gesten deutlich ablesbar, wie es ihr förmlich zu wider ist, Hilfesuchende fremdzubestimmen. Statt wie andere, die nur vorgeben zu helfen (damit meinen wir nicht Helmut, sondern aber leider zahllose Leute bundesweit, die sich selbst beweihräuchern, im Grunde aber nur Selbstdarsteller sind, sich mitunter gar direkt oder indirekt irgendwelche bezahlten Pöstchen schaffen und wie manch vorgeblich caritativ genannte Einrichtung ein Geschäftsmodell aus der Not anderer entwickeln), will sie nicht ihr eigenes Ding durchziehen. Christiane steht vielmehr – soweit dies im Kampf etwa mit dem BAMF, das sich schon lange vor dem letztjährigen “Asylbewerberansturm” erschreckend viel Zeit bei Einladungen zum “Interview” und weiteren Bearbeitungen ließ – mit Rat und Tat zur Seite.
Und doch auch diese Helferin stößt in Strackholt, das gerade mal 1.500 Bewohner zählt, und der näheren Umgebung bei Nachbarn, bei Behördengängen und auf der Suche nach potentiellen Jobs für die Flüchtlinge an ihre Grenzen. Denn hier lauern gefühlt hinter jeder siebten Ecke Menschen, die zwar nicht brandschatzen, aber auch nur vordergründig nett tun, vor der Kamera zunächst gönnerhaft reden – dann aber doch mehr oder minder deutlich ihre tumben Vorurteile erkennen lassen – anscheinend zu ignorant sind, zu erkennen, dass auch die bei ihnen Gestrandeten zu jenem Zeitpunkt – aufgrund behördlicher Regelungen während des Asylverfahrens – ihren Lebensunterhalt gar nicht selber verdienen dürften. Die Fünfe würden nämlich wollen! Zwar nicht bis zur totalen Selbstverleumdung – beispielsweise nicht dauerhaft als 1-Euro-Jobber auf dem städtischen “Bauhof” und dabei gar noch von oben herab behandelt – aber es scheint keine Chance für sie zu geben, hier wirklich ankommen zu dürfen. Und so wirken sie auf Außenstehende nach und nach lethargischer, phasenweise gar phlegmatisch, aber in Wahrheit kriegen sie “nur” die Erinnerungen an eine gefährliche Reise durch die Sahara und über das Mittelmeer, und vor allem die Sorge um die in Eritrea oder auf den Weg nach Deutschland zurückgelassenen Verwandten, die Frau, das Kind… nicht aus den Köpfen. Einer der jungen Männer wurde während eines Angriffs lybischer Soldaten auf einen Flüchtlingstreck beispielsweise von seinem Bruder getrennt – man weiss nicht einmal, ob dieser überlebt hat. Und mit solchen Biographien stößt man dann auf Supermaktkassiererinnen, die tatsächlich in Anbetracht von fünf dunkelhäutigen Menschen (mit superfreundlicher, natürlicher Aura) im Schlendergang ohne Ironie erinnert: “Im ersten Moment dachten wir, die würden uns ausrauben.”
Kurzum: “Gestrandet” von Lisei Caspers ist ein unbedingt auch im Kino sehenswerter Film, der auch jenen, die den zermürbenden Ablauf eines Asylverfahrens bereits glauben nachvollziehen zu können, die vorgeben zu wissen, wie sehr Arbeitsverbote Refugees zusetzen, da die in der Heimat zurückgelassenen Familien auf die Unterstützung angewiesen sind und die überzeugt sind, dass Deutschland bis auf vermeintlich (!) wenige braune Drecksgestalten eine große Willkommenskultur zeige, hier und da hoffentlich die Augen öffnen wird.Ebenfalls neu im Kino: Ein Mann namens Ove
Unbedingt sehenswert ist auch die pechschwarze Komödie über einen von vielen Nachbarn und vor allem von Behörden unbeliebten Frührentner, der nach dem augenscheinlich noch nicht allzulange zurückliegenden Tod seiner Frau seinem Leben ein Ende setzen will, dabei aber ständig gestört wird. In der eine Achterbahn der Gefühle bietenenden Regiearbeit von Hannes Holm übernimmt Rolf Lassgård (u.a. bekannt aus “Nach der Hochzeit”) die Rolle als Ove-Darsteller, einen 59-jährigen, der nur auf den ersten Blick grundlos streitsüchtig scheint. Denn auch hier lohnt die nähere Betrachtung! Wenn man mal über seine brüske, latent beleidigende Art hinwegsieht, einen Schritt zur Seite tritt, sich in Objektivität bemüht, erkennt man, dass hier jemand bis auf den einen oder anderen (an “Monk” erinnernden) Spleen gar bis zur Selbstaufgabe gegen – widerum, wenn auch nicht nur in solchen Fällen – behördliche Windmühlen kämpft. Ove nennt Typen die nach Autorität, Behörde oder Unternehmen als Nutznießer fragwürdiger Gesetze riechen, verächtlich und pauschal Weißhemden. Und wenn er dieses Wort ausspricht, hat er zumeist auch immer einen passenden Fluch parat.
“Ein Mann namens Ove” ist bei aller vordergründigen Komik, ein vor allem in der zweiten Hälfte extrem warmherziger Film, der sehr viel über Ellbogengesellschaft, Entfremdung und Abstellgleismentalität in gegenwärtigen westlichen Lebenswirklichkeiten erzählt. Schauspielerisch glänzt dabei neben dem Hauptdarsteller vor allem die bisher weitgehend unbekannte Darstellerin Bahar Pars in der Rolle der Parvaneh, Oves neuer Nachbarin, die aus dem Iran stammt, und dem alten Kauz respektvoll aber energisch – und damit letztlich gar neue Lebensgeister (nicht in zweideutiger Hinsicht!) weckend – begegnet. Über Oves Kindheit, seinen Vater, seine erste und letztlich einzige Liebe und spätere Frau erfahren die Zuschauer übrigens in wunderbar unaufdringlich zwischengeschnittenen Rückblenden: als Erinnerungsfetzen von Ove, wenn dieser “mal wieder” am Strick baumelnd oder in der Garage, mittels Abgasumleitung, auf den Tod wartet.
1 thought on “Von gottverdammten Weißhemden und Demütigungen mit System”