Die Doku “I Am Not Your Negro” verspricht einen Einblick in die Geschichte und Gegenwart von Rassismus und Diskriminierung in den USA; im Spielfilm “Die andere Seite der Hoffnung” lässt Aki Kaurismäki einen älteren finnischen Handelsvertreter, der sich nun als Restaurantbetreiber versucht auf einen syrischen Flüchtling treffen und die 3D-Animation “The Boss Baby” erzählt, wie die Geburt eines neuen Babys das Familienleben grundlegend auf den Kopf stellen kann.
In seinem ersten Essayband “Notes of a Native Son” beschrieb James Baldwin seine Freude, als Amerikaner unter Europäern und nicht mehr als Schwarzer unter Weißen wahrgenommen zu werden. Zu der Zeit lebte der 1924 in Harlem, New York geborene Schriftsteller in Paris – einem, weil er es in den Staaten nicht mehr ausgehalten hatte, gezielt gewählten Exil. Doch als er 1957 die erschütternden Bilder mit Dorothy Counts aus seiner eigentlichen Heimat sieht, wo die 15-jährige – die erste Schwarze, die es wagte nach der offiziellen “Aufhebung der Segregation an Schulen in den Südstaaten” an der Harding-Highschool in Charlotte, North Carolina lernen zu wollen – verhöhnt, bespuckt und mit Steinen beworfen wird, denkt Baldwin “Jemand hätte ihr beistehen müssen”. Und so kehrt er alsbald zurück in die USA, wo er fortan sich zwar selber niemals die Rolle des Aktivisten zuschreibt, (er betonte stets sich “in der Rolle des Zeugen” zu sehen) aber durchaus dezidiert politisch wirken wird.
Ein unvollendeter, 30 Seiten langer Essay (“Remember this House”), der unter anderem an die unterschiedlichen Strategien dreier allesamt bei Attentaten ermordeter schwarzer Bürgerrechtler (Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King – nicht einer wurde dank des politischen Klimas in den Staaten 40 Jahre alt, alle drei wurden innerhalb von nur fünf Jahren gemeuchelt!) erinnert, diente Filmemacher Raoul Peck (Der junge Karl Marx) nun als Gerüst für “I Am Not Your Negro” der einen ungemein vielschichtigen Einblick in die Geschichte und (!) Gegenwart von Rassismus und Diskriminierung bietet. Zu Beginn ein Talkshow-Ausschnitt mit Baldwin. Ein weißer TV-Moderator fragt ihn, ob sich die Situation von “Negros” in Amerika nicht spürbar verbessert habe. Immerhin hätten auch sie ja nun gute Arbeitsplätze “und kämen sogar in der Werbung vor”. Nicht nur die Antwort des schwarzen Schriftstellers, sondern auch die vom Regisseur als Kontrapunkt montierten Ausschnitte aus Werbungen, in denen “Afroamerikaner” als Koch oder Diener zu sehen sind, macht dem Zuschauer bereits in den ersten Filmminuten klar, dass hier auch gnadenlos mit dem vermeintlich “liberalen” Teil der sich seit Jahrzehnten selbst belügenden US-Gesellschaft, mit doppelzüngigen bzw. oberflächlichen Entschuldigungen, Gönnerhaftem-von-oben-herab und derlei mehr hart ins Gericht gegangen werden wird: Nicht nur offen rassistisch auftretenden Typen, auch jener weißen Bevölkerungsgruppe Amerikas, die zwar vordergründig jedwede diskriminierende Äußerung, insbesondere den “White Supremacy”-Irrsinn ablehnt, sich ihrer eigenen fortdauernden Privilegien nicht bewusst zu machen bereit ist, wird ein Spiegel vorgehalten.
In historischen Aufnahmen sieht man Baldwin (“Ich kann mir keinen in diesem Land geborenen Neger denken, dem nicht seine Lebensumstände bis zum Zeitpunkt der Pubertät unheilbare Wunden zugefügt haben”) in Talkshows reden, an Universitäten sprechen; dazu kommen insbesondere seine Gedanken aus besagtem Essay über Martin Luther King, Malcolm X und Medgar Evers – mit denen er befreundet war, auch wenn er ihre jeweiligen Positionen nicht vollends teilte – und last but not least Ausschnitte aus Spielfilmen, die Schwarze oftmals entweder als Wilde oder als gutmütigen “Onkel Tom” zeigen sowie ziemlich aktuelle Nachrichtenbilder. Etwa von Verbrechen weißer Polizisten an Michael Brown wie in Ferguson 2014 und den folgenden “Black Lives Matter”-Protesten, die perverserweise teils gewaltsam niedergeknüppelt werden. Im Original werden die Zitate aus Baldwins eloquenten und (leider) zeitlos erscheinenden Schriften, die in der Doku erfreulich viel Raum finden und die Psyche des weißen Amerikas sezieren, von Samuel L. Jackson* gesprochen, in der deutschen Fassung von Samy Deluxe .
Wer glaube, dass er ein Nigger sei, so Baldwin, der brauche auch einen. Die Frage, die sich die weiße Bevölkerung stellen müsse, laute: “Wenn ich nicht der Nigger bin und ihr ihn erfunden habt, dann müsst ihr herausfinden warum.” Die Zukunft des Landes hänge davon ab, sich dies fragen zu können. Diese und zahllose andere Stellen der Doku ergeben dank einer schlicht hervorragend “komponierten” Zusammenstellung von altem und neuem Bildmaterial ein durchweg kraftvolles und aufrüttelndes Ganzes, das nebenbei auch ein wenig den Finger in die Wunde legt, was den Irrsinn westlicher Mediensyteme auch fernab rassistischer Ausfälle betrifft und spätestens dann erkennbar auch nach Europa und speziell Deutschland weist: in jede Gesellschaft, in der mal mehr, mal weniger subtil weiterhin nach Herkunft, Sexualität und oder Klasse unterschieden wird und das alte Brot-und-Spiele-Rezept von viel zu wenigen durchschaut geschweige denn “bekämpft” wird.
Die andere Seite der Hoffnung
Die Handschrift von Aki Kaurismäki ist unverkennbar: Bildsprache, Erzähltempo, “die Farben”, die knappen Dialoge… – und doch – auch wenn es wieder unbeschreiblich komische bzw. surreale Momente gibt – ist bei der Geschichte, in der eine der beiden Hauptfiguren ein älterer finnischer Handelsvertreter ist (Sakari Kuosmanen als Waldemar Wikström der seiner in der ersten Begegnung für den Zuschauer “nur” stoisch wirkenden Ehefrau gerade Schlüssel und Ring hingelegt hat – auszieht), der sich fortan als Restaurantbetreiber versuchen will, irgendwie etwas anders. Der Streifen ist ernster als vieles was man von Aki Kaurismäki kennt, und erfreulicherweise – obwohl teilweise sogar Neonazis einem syrischen Flüchtling (Sherwan Haji spielt die zweite Hauptfigur namens Khaled) nachstellen – dennoch nicht durchgehend schwermütig. Auch dann, wenn nicht gerade Salzhering mit einer extradicken Wasabischicht als authentisches Sashimi verkauft wird. Die aber ebenso vorhandene Tragikomik ist besonders in einem Maahanmuuttovirasto beschrifteten Gebäude zu spüren – Finnlands Beamte in Sachen Einwanderungs- und Asylfragen dort stellen den Gegenpart zu wunderbaren Straßen- und Kneipenmusikern dar, die in diesem Film zuhauf vorkommen und auch dann, wenn es kein Flüchtlings-Melodram wäre, im Zusammenspiel mit den sonstigen Waldemar-Geschichten allein schon für einen sehr guten Film ausgereicht hätten. Aber dank der wie beiläufig eingestreuten Realbilder aus Aleppo und dem Gebahren der offenherzigen Khaled-Figur, ist es eine absolut herausragende Produktion geworden, in der Solidarität sprichwörtlich groß geschrieben wird und die es sogar schafft, die Themen Stolz und Würde ausgerechnet an einer Mülltonne zu verhandeln.
The Boss Baby
Schon als seine Eltern ankündigen, dass Tim Templeton alsbald ein Geschwisterchen um sich haben wird, ist der Siebenjährige not amused: als dann aber ein Knirps Einzug hält, der nicht nur mit Schnuller und Fläschchen bewaffnet ist, sondern tatsächlich in einem kleinen schwarzen Anzug anrollt, mit Schlips und Kragen und Aktenköfferchen wird er erst richtig stutzig – und zwar zu Recht: Der Zuschauer, der die an ein Bilderbuch von Marla Frazee angelehnte 3D-Animation von Tom McGrath („Madagascar“) besucht, kennt da bereits einen Teil von Babys Geheimnis, denn er konnte bereits erhellende Einblicke über den Wolken gewinnen und zusehen, wie einerseits normale Neugeborene reisefertig gemacht werden, aber eben auch wie der kommende Neuzugang der Familie Templeton sich unter anderem als kitzelresistent erwiesen hat und somit einen Spezialparcours zu durchhlaufen hatte. Doch anders als die Kinogänger und Tim werden die Eltern im Film im Lauf des Films eher weniger misstrauisch sein: das neue Baby spricht nämlich immer nur dann – und wickelt auch seine Businessgeschäfte nur ab -, wenn sie nicht in der Nähe sind. Baby hat nämlich eine Mission, in die er Tim alsbald einweiht: irgendeine mysteriöse Firma (Puppy Co.) plant lebenslang niedlich bleibende Hundewelpen auf den Markt zu werfen, wodurch die Gefahr bestünde, dass sich die Zweibeiner fortan immer seltener den deutlich pfelgeintensiveren eigenen menschlichen Nachwuchs wünschen könnten.
Der Film hat viele schöne Momente, allen voran die erste ausgedehnte Sequenz im Himmel in der “Babyfabrik” oder jene Minuten, in denen Tim, noch unbeschwert ohne Brüderchen im Haus, in seiner Phantasie in tollkühnste Abenteuer abgleitet und im Gegenschnitt zu einer grell-bunten “als Pirat auf hoher See”-Szenerie harmloses Herumgetrolle mit den Eltern im heimischen Vorgarten erkennbar ist. Auch passt es gut zur Grundidee der DreamWorks-Produktion, dass Baby-Boss eine betont dunkle Männerstimme aufweist (im Original Alec Baldwin, in der deutschen Fassung dessen wohl bekannteste Synchronstimme: K. Dieter Klebsch). Doch irgendwie ist der Streifen nichts Ganzes und nichts Halbes: an vielen Stellen (nicht nur weil das Hohelied auf die Familie sprichwörtlich mindestens eine Oktave zu hoch angestimmt wird) zu betulich, an anderen Stellen für Kinder mehr als einen Zacken zu übermotiviert. Etwa wenn mit launigen Szenen zum Thema Powernapping auch Erwachsene angesprochen werden sollen.
* als der spätestens 1994 durch seine Rolle als Killer in Quentin Tarantinos “Pulp Fiction” weltberühmt gewordene Samuel L. Jackson, der mit Laurence Fishburne, der in der “Matrix”-Trilogie den Morpheus spielt, außer der Hautfarbe und dem Geschlecht eigentlich so überhaupt keine Ähnlichkeit hat (die Beiden liegen auch altersmäßig weit mehr als zehn Jahre auseinander), 2014 in einem Liveinterview eines kalifornischen Senders mit eben jenem Schauspielkollegen “verwechselt” wurde, hielt er eine kleine Grundsatzrede, die eigentlich auch gut in diese Doku gepasst hätte.