Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Komplizierte Beziehungen allenthalben

Drei aktuelle Kinofilme beleuchten wir diese Woche: den Coming-Out-Film “Mit siebzehn”; “Zwischen den Jahren” – eine Geschichte über einen Nachtwächter, der lange im Knast saß und nun versucht ein neues, normales Leben zu führen; und last but no least “Die Rote Schildkröte” – ein dialogloser Animationsfilm aus des legendären Ghibli-Studios.

Tom (Corentin Fila, links) und Damien (Kacey Mottet Klein) sind beide 17 Jahre alt. Gleich zu Beginn des Films wird klar, dass der eine ein weitaus schwierigeres Dasein fristet als der andere. Allein schon der Weg zur Schule ist für Tom ziemlich aufwändig – um im Winter zum Bus zu kommen, muss er erst einmal rund eine Stunde durch tiefen Schnee waden. Das Haus seiner Familie – der Junge ist adoptiert, lebt aber offenbar schon länger hier – liegt ziemlich abseits, und wenn der Unterricht vorbei ist und auch bevor ein Schultag beginnt, arbeitet Tom stundenlang auf dem Hof mit. Insbesondere kümmert er sich um das Vieh. Wie der Zuschauer bald erfahren wird, will er Tierarzt werden. Um menschliche Patienten hingegen kümmert sich Damiens Mutter, die eines Abends auf jenen Hof gerufen werden muss. Tom kennt sie bereits vom Sehen – denn Marianne (Sandrine Kiberlain) bringt ihren Sohn regelmäßig zur Schule und holt ihn auch wieder ab. Damiens Vater ist als Soldat aktuell auf “Auslandseinsatz” – die Beziehung zu Frau und Sohn läuft weitgehend via Skype. In Toms kargem Elternhaus kann man sich als Zuschauer nicht mal vorstellen, dass es hier Internet geben könnte.

Im Mittelpunkt von “Mit siebzehn” steht der Umgang der zwei jungen Männer, der weit über “normale” Streiche und Schubsereien hinauszugehen scheint – doch selbst in einer der ersten Szenen zwischen den Beiden, als Tom Damien ein Bein stellt und dieser richtig derbe hinknallt, schwingt noch etwas Anderes mit: denn auch wenn sie sich regelmäßig raufen, sind sie – was sich vor allem Tom noch nicht so richtig eingestehen will – wohl bereits ansatzweise ineinander verschossen oder zumindest neugierig auf den Körper des Anderen.

Unser Urteil: ambivalent! Vieles in dem in den Pyrenäen spielenden Streifen von André Téchiné (“Wilde Herzen”) ist solide erzählt, die Darstellerleistungen gar überdurchschnittlich, die meisten Musikuntermalungen ausgesprochen schön. Aber nicht nur, dass vieles vorhersehbar ist, vieles wirkt auch zu gewollt – allein die nominelle Gegegnsätzlichkeit der Protagonisten, die darin gipfelt, dass der eine blond und intelektuell angehaucht, der andere dunkelhäutig und eher der Typ Naturbursche ist; das regelrecht obsessive Zweikampfverhalten, das mehr als einmal blaue Flecken zurücklässt… Und dann ist da eben noch der “Auslandseinsatz” von Damiens Vater, der zwar letztlich eine zentrale Bedeutung im Film erlangen wird und immerhin eine kleine bitterböse Sequenz über militäriscshe Rituale bereit hält – eine Auseinandersetzung mit dem was “internationale Truppen” – Deutsche, Franzosen und Andere – seit vielen Jahren nicht nur am Hindukusch verbrechen, gibt es aber nicht mal zwischen den Zeilen. Vielemehr stehen in “Mit 17” Körper und Körperlichkeiten im Mittelpunkt – konsequenterweise sollte man dann manches einfach weglassen. Auch und gerade als 74-jähriger Filmemacher, der eigentlich nichts mehr beweisen muss.

Zwischen den Jahren

“Becker”, die Figur die der einen Film nahezu immer bereichernde Peter Kurth darstellt, ist gerade nach langer Haft “draußen”, versucht um jeden Preis “zurechtzukommen”, malocht als Nachtwächter und schluckt viel runter was ihm sein neuer Chef zumutet. Bis sich durch die kleine Einstandsfeier eines neuen Kollegen eine Liaison mit einer alleinerziehenden Mutter anbahnt, scheint Becker sehr vereinsamt – ein Hund ist sein bester und wohl auch einziger Freund. Nun als neue Lebensgeister geweckt wurden, steht aber unvermittelt Dahlmann vor ihm, dessen Frau und Tochter er einst, erschossen hat. Der Mann sinnt auf Rache! Einmal fährt er Becker an, ein anderes mal bricht er in seine Wohnung ein und verwüstet nahezu alles dort. Auch Beckers frische Liebe und deren Sohn scheinen in Gefahr…

“Zwischen den Jahren” von Lars Henning ist ein durchweg düster gestaltetes, schnörkelloses, mit manchem lakonischen Dialog angereichertes Psychodrama – auch was den Score angeht schwingt irgendwie immer eine Bedrohung mit: Selbst bereits bevor klar wird, dass der von Karl Markovics bei allem Minimalismus grandios verkörperte Dahlmann kurz vor’m Ausrasten steht. Trotzdem bleibt der Streifen über lange Strecken “spannend” – spannend in dem Sinn, dass man sich auf die Geschichte voll und ganz einlassen mag: und damit auch auf die Frage, ob so eine schwere Tat wie Mord (auch wenn in dem Fall hier eher als “Unfall” – Becker habe Frau und Kind seines Gegenüber wohl “nur” aus Panik erschossen, als sie ihn bei einem Einbruch ertappten; das weiß eigentlich auch Dahlmann) nach einer noch so langen Haftstrafe als wirklich gesühnt gelten kann. Denn für einen Hinterbliebenen ist das Leiden ja im Grunde nie vorbei. Glücklicherweise wird auf eine einfache Antwort verzichtet – ebenso auf schwarz-weiß-Malereien jedweder Art.

Die rote Schildkröte

Während Pixar und Co. seit Jahren ihre Geschichten in technisch aufwändig gerenderten 3D-Animationen erzählen, setzt das japanische Studio Ghibli (“Chihiros Reise ins Zauberland”; “Die letzten Glühwürmchen” u.v.m.) noch auf klassische Zeichnungen. Und dass das – so reizvoll bereits vor Jahren “realistischere Cartoons” wie “Oben” und “Ralph reichts” waren; und die Technik scheint ja fast jährlich einen Quantensprung zu machen – immer noch tragen kann, bewies aus jenem Hause erst 2014 “Die Legende der Prinzessin Kaguya”, der die exemplarisch vorgenannten US-Produktionen in puncto Mitfühl-Potential unseres Erachtens meilenweit in den Schatten stellte. Funktioniert der Trickfilm-Charma made in Asia aber auch mit europäischen Storyboard? Wenn man “unwissend” ins Kino geht merkt man der “roten Schildkröte”, für die Michael Dudok de Wit – ein in England lebender Niederländer – die Geschichte ersonnen hat, die Herkunft der weitgehend in Handzeichnung entstandenen Bilder – manchmal gibt es erdige Aquarellfarben, an anderer Stelle wird der Film fast schwarzweiß, dann dominieren Kohle und Graphit – erst nach und nach an: In der Fabel um den Zyklus des menschlichen Lebens steht ein Schiffbrüchiger im Mittelpunkt, der sich in mühevoller Kleinarbeit mehrmals ein großes, immer ausgefeilteres Floss zusammenbaut, auch eigentlich jeweils gut startet, aber dann wiederolt durch eine große rote Meeresschildkröte an der Rückkehr in sein angestammtes Leben gehindert wird. Alsbald kommt ein gewisses Fantasie-Element zum Tragen…

Im Grunde ist es einer dieser Filme über deren Inhalt man als gewissenhafter Rezensent gar nichts erzählen möchte, weil man fürchtet mit jeder Silbe zuviel vom Zauber vorweg zu nehmen, der sich bei Menschen, die sich auf eine betont ruhig (was nicht nur an der bereits erwähnten Dialoglosigkeit liegt) erzählte Geschichte einzulassen bereit und fähig sind, unweigerlich über kurz oder lang einstellen wird. Im Grunde daher von unserer Seite nur noch so viel: in gewisser Weise könnte man den neuesten Streich, des nach dem altersbedingten Rückzug des Hausherrn Hayao Miyazaki leider wohl nicht mehr allzuoft auf Handarbeit setzenden Studio Ghibli, als sehr leise Verbeugung vor der eigenen “Ponyo”-Geschichte verstehen – formal und inhaltlich wird die bedingungslose Menschliebe eines Wasserwesens aber diesmal explizt nur für Erwachsene (keine Sorge: keine Zoten, Nichts nicht jugendfreies!) erzählt. Und zwar auf ziemlich herausragende, in jedem Fall absolut sehenswerte, höchst poetische und gleichzeitig melancholische Art und Weise.



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