Obdachlosen in Berlin zu begegnen ist ebenso leicht wie sie trotzdem zu “übersehen”, besser gesagt Betroffene zu ignorieren, soziale Probleme zu verdrängen. Für ihre Doku “Hausnummer Null” (zugleich ihre Abschlussarbeit an der Filmakademie Babelsberg) blieb die 1991 geborene Lilith Kugler nicht nur oft bei einem Junkie, der es sich mehr schlecht als recht vor einer S-Bahnstation in einem eher beschaulichen Stadtteil (Friedenau) eingerichtet hatte, stehen, sondern heftete sich nach eigener Aussage volle 2 1/2 Jahre sprichwörtlich an die Fersen von Chris.
kulturkueche.de Stammleser wissen es. Es ist extremst selten, dass wir die Synopsis, die ein Filmverleih bzw. das Kreativ-Team einer Leinwandproduktion Journalisten und Kinogängern an die Hand geben, auch nur auszugsweise zitieren, geschweige denn vollständig. Doch – here we go: “Umsorgt von der Nachbarschaft lebt Chris gemeinsam mit seinem Kumpel Alex an einer Berliner S-Bahn Station. Heroinabhängigkeit bestimmt seinen Alltag und es scheint ihm unmöglich, sich aus dem Teufelskreis zu befreien. Als es ihm schlechter geht und er nur knapp dem Tod entkommt, beschließt er, die Straße und das Heroin hinter sich zu lassen. Wie kann ein junger Mann in unserer Gesellschaft seinen Platz finden, der er seit Kindesalter nirgendwo hinpasste – oder passen wollte?”
Obdachlosigkeit ist ein riesiges Problem. Nicht nur in Berlin, sondern inzwischen in vielen Ecken Deutschlands. Aber nicht für “unsere” Gesellschaft, sondern für die aus der Bahn geworfenen bzw. aus dem Tritt gekommenen Menschen. Doch leider setzt “Hausnummer Null” eben tatsächlich an seiner Synopsis an, obgleich formal immer wirklich sehr nah an seinem Protagonisten. Mindestens 2/3 aller Szenen und vor allem der Sätze die Chris von sich gibt, wirken leider so, als ob es sie ohne Kamera nicht gegeben hätte. Dazu kommt dass viele im Film – der vermeintlich selbstlose “Nachbar” mit dem großen Auto, die Mutter, auch der so genannte Kumpel, der aber eben selbst tief in Problemen steckt – über ihn statt wirklich mit ihm reden.
Alles was unseres Erachtens „Berlin Bytch Love“ richtig machte – auch dort ging es um Wohnungslosigkeit und (allerdings weniger dramatisch als hier) Drogenproblemen – gelingt Kugler nur in den aller wenigsten Momenten. Man hat immer das Gefühl einer Werbeveranstaltung für das in Wahrheit (keineswegs “nur” im unübersichtlichen “Moloch” Berlin, auch in 75.000 Einwohner Städten, “sogar” in nominellen Behelfsunterkünften in denen die Gestrandeten noch Miete zahlen) aber eben Aber- und Abertausende vor sich hin vegetieren lassende Menschen “soziale Netz”, was doch immer funktioniere, wenn sich der/die/das Wiedereinzugliedernde nicht mit Händen und Füßen wehrt, beizuwohnen. Es gebe schließlich von Passanten, Sozialarbeitern und Ärzten immer gute Seelen, die quasi nur warten zu helfen oder zumindest Tee und ein warmes essen vorbei zu bringen. Oder sogar sicherstellen, dass der Mitte Dreißiger sogar “neue Zähne” und eine “anständige” Frisur kriegt. Natürlich wird diese “am Ende wird alles gut”-Attitüde nicht gänzlich plump serviert, jedoch glaubhafte Empathie versprüht das Ganze seltenst, und schon überhaupt nicht hat der Streifen irgendetwas Allgemeingültiges zu erzählen. Der Zuschauer erfährt, dass Chris einen 11-jährigen Sohn hat, den er wohl noch nie gesehen hat und schon als Kind den Stempel “ADHS” verpasst bekommen hatte. Und von den Schwierigkeiten mit den Substitutionsmaßnahmen wirklich klar zu kommen. Zwar ist der Druck weg, schon frühmorgens Kohle für die teuren harten Drogen zu “organisieren”, aber irgendwie erscheine ihm manches als nix Ganzes und nix Halbes. Als er dann auch noch irgendwann Regisseurin Kuglers Frage nach seiner größten Angst mit “Vergessen zu werden” sind zwar sicher nicht nur irgendwann bei der ZDF-Zielgruppe sondern auch bei manchem Kinogänger Tränen auszumachen, aber deren Halbwertzeit dürfte letztlich so lange andauern, wie die pseudowoke Empörung Vieler über Luke Mockridge’ tatsächlich fragwürdige “Comedy”, die aber eben den entscheidenden Schritt sich wirklich für Menschen mit Handicap zu interessieren, etwa für deren Ausbeutung als Billigstarbeiter in s genannten “Werkstätten”, die überdies gemeinhin staatlich oder von Stiftungen und Lotterien fett gepampert werden.