Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Ein hartes Pflaster

Ein Teenager-Pärchen lebt ohne festen Wohnsitz auf den Straßen von Berlin. Zwei junge Regisseure begleiteten die Minderjährigen für einen längeren Zeitraum und brachen dabei mit den typischen Regeln einer Doku. Im Schnittraum entstand somit etwas, dass wie ein Spielfilm anmutet: „Berlin Bytch Love“ behandelt ein ernsthaftes gesellschaftliches Thema fast im Stile einer Drama-Soup und ist gerade deswegen erstaunlich authentisch.    

Sophie ist 15 und bereits im vierten Monat schwanger. Ihr Freund, der 17jährige Dominik, hat Probleme mit dem Gesetz, er läuft Gefahr, für einige Jahre ins Gefängnis zu kommen. Beide sind wohnungslos in Berlin und schlafen im Freien. Da Sophie von zu Hause weggelaufen ist und vom Vater als vermisst gemeldet wurde, muss sie unter dem Radar der Polizei bleiben. Die beiden sammeln unter anderem Pfandflaschen, das Geld reicht dann für einen Döner oder zwei. Dominik hat auch keine Berührungsängste mit Drogen. Während Sophie davon träumt, in eine vermeintlich warme Region in Frankreich zu ziehen, sträubt sich ihr Freund bereits vor dem Gedanken. Als in der deutschen Hauptstadt dann langsam der Winter hereinbricht und die Beiden – auch aufgrund von Sophies Schwangerschaft – nicht mehr guten Gewissens draußen schlafen können, entscheiden sie, dass Dominik sich stellt und die angesetzte Gerichtsverhandlung über sich ergehen lässt. Wenig später haben sie auch endlich ein Dach über dem Kopf: in einem Kaff unweit von Berlin.

„Berlin Bytch Love“ ist ein Dokumentarfilm. Wer das nicht weiß und vor der Leinwand sitzt, könnte meinen, einen Spielfilm mit Laiendarstellern zu sehen. Zwei junge Regisseure, Heiko Aufdermauer (Absolvent an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf) und Johannes Girke (Absolvent an der Universität der Künste Berlin), haben auf die üblichen Elemente einer Non-Fiction verzichtet: keine Kommentare oder Off-Stimmen, keine klassischen Interviewsequenzen, keine Distanz zwischen „wir“ und „sie“. Es scheint wirklich so, dass auch für die zwei Protagonisten und den Menschen, mit denen sie ab und an agieren – Sophies Schwester, ein Sozialarbeiter und manch andere(r) – die Anwesenheit der Kamera nie spürbar war. Durch die ungekünstelten, oft rauen, manchmal intimen Gespräche die das Filmteam so einfangen konnte, entsteht eine ungeheure Authentizität. Auch was einen der Handlungsorte, den viel beschrieenen Görlitzer Park anbelangt.

Fast zwei Jahre begleiteten Aufdermauer (“Zeit der Fische”) und Girke seit Sommer 2018 die beiden Teenies, die keine einzige Sekunde voneinander weichen wollen. Es wird viel geküsst, und sich oft gegenseitig geneckt. Trotz des Lebens auf der Straße, trotz Geldmangel und weiterer Probleme scheint ihr Leben zumindest in der ersten Hälfte des Films frei und – noch – recht “wolkenlos”. Aus rund 35 Drehtagen mit über 100 Stunden Schnittmaterial wurde ein 90minütiger ungeschönter, unverklärter Einblick in den fragilen Alltag junger Ausreißer. Der Zuschauer erlebt bei den beiden anfangs äußerst naiv erscheinenden Jugendlichen auch eine Weiterentwicklung in ihrer Persönlichkeit – auch durch die Bildsprache wirkt hier Nichts belehrend oder von oben herab.

Das Thema Wohnungslosigkeit in Deutschland ist gemeinhin ein medial und politisch viel zu vernachlässigtes. Und das obwohl eine halbe Million Menschen in diesem Land als obdachlos gelten, unfassbare 30.000 davon sind gar noch minderjährig. Allein in Berlin leben vermutlich mindestens 3.000 Jugendliche auf der Straße, viele vollkommen unter staatlichem Radar. Was wiederum gleichbedeutend ist, dass sie keinerlei Schutz vor Kälte, Hunger oder Missbrauch genießen. Aufdermauer  und Girke planten parallel zum Kinostart – bis hin zur Postproduktion dieses Anti-Sozialromantik-Streifens wurde vieles übrigens nur durch Fundraising möglich – in den sozialen Medien eine weiterführende Kampagne mit Interviews und Berichten zur Lage von Straßenjugendlichen.



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