Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Zwei tote Mädchen – zwei Filme unterschiedlich wie Tag und Nacht

Zuletzt glänzten die Dardenne-Brüder mit “Zwei Tage, eine Nacht”, einer Geschichte über die Perversionen des Neoliberalismus, ihren Sozialthriller “Das unbekannte Mädchen” nun siedeln sie im Gesundheitswesen an. Wie in der österreichischen Produktion “Agonie” stirbt eine junge Frau – letztgenannter Film beruht auf einer wahren Begebenheit. Nur einer der beiden Streifen vermag zu überzeugen – dafür aber auf ganzer Linie.

Das_unbekannte_MaedchenNach wenigen, mit kleinen Zeitsprüngen aufwartenden Filmminuten ist klar: Die junge Ärztin Jenny Davin hatte einen ziemlich nervigen, auch psychisch anstrengenden Tag. Nicht zuletzt weil ihr Praktikant Zweifel an seiner generellen Berufseignung aufkommen ließ – sie mit einem zusammengebrochenen Patienten im Stich gelassen hatte. Und als es nun bei der Nachbereitung des Arbeitstages – über eine Stunde nach Praxisschluss – klingelt und der Auszubildende noch öffnen will, stellt sich die ansonsten eigentlich überdurchschnittlich sozial eingestellte und offenbar bei ihren Patienten äußerst beliebte Medizinerin quer. Der Gedanke, dass wenn es ein Notfall wäre, der Hilfesuchende sicher mindestens noch ein zweites Mal an der Tür geläutet hätte – was aber eben an jenem Abend dann nicht der Fall war – soll sich als fataler Irrtum alsbald heraustellen. Einige Tage später erfährt Davin, dass eine junge Afrikanerin Einlass begehrt hatte – kurz nachdem ihr in der Praxis niemand geöffnet hatte, war sie tot. Mutmaßlich ermordet.

Die junge Ärztin mutiert in der Folge zur Hobbydetektivin und ist gegenüber ihren Patienten – was in Anbetracht ihrer bisherigen Arbeitslast kaum möglich schien – noch engagierter zu Gange als vor diesem schrecklichen Ereignis. Die Tote hatte keine Papiere bei sich, Hinterbliebene lassen sich scheinbar nicht finden, so dass die Afrikanerin eine anonyme Armenbestattung erhält.

Es ist weniger die Suche nach der Todesursache, nach einem vermeintlichen Mörder, die in “Das unbekannte Mädchen” fesselt, mitnimmt. Nein, diese Geschichte ist im Grunde nur Beiwerk. Jean-Pierre und Luc Dardenne, die selber in der belgischen Banlieue aufwuchsen, wollen vielmehr etwas Universelles über Würde und Solidarität zeigen. Und das gelingt ihnen schlichtweg bravourös, weil sie über die Menschen am Rand der Gesellschaft selber mit eben jenen Tugenden erzählen. Der Film glänzt auch dank ihrer Haupdarstellerauswahl, allen voran Adèle Haenel als Ärztin. Sozialrealistisches Kino, das nicht auf die Tränendrüse drückt und trotzdem mitnimmt. Dank vieler kleiner Szenen, durch die klar wird, dass nicht nur das Gesundheitssystem im Handlungsort Lüttich längst zu einer 3-Klassen-Medizin verkommen ist. Oder generell wieviele Verlierer “unsere” so genannte Wohlstandsgesellschaft zwangsläufig produziert. Oder, dass Beamte in einem solchen Fall weit weniger Ermittlungseifer an den Tag legen, als wenn ein gut betuchter “Einheimischer” tot aufgefunden worden wäre. Und wie nah Fragen nach Schuld und Verantwortung zusammenliegen. Letztlich ist der Streifen auch eine Flüchtlingsgeschichte. Aber auch das nur nebenbei. Und eben somit auch in jener Nuance treffend.

agonieAgonie Eine Frauenleiche bildet auch den Ausgangspunkt in dem zweiten Film, der uns diese Woche im Vorfeld viel versprechend erschien. AUf der Leinwand kommt sie in einer gleichwohl chronologisch erzählten Geschichte erst gegen Ende vor. Aber ein realer Fall war Inspiration den Alltag zweier junger Männer gegeneinander zu schneiden: Nachdem 2010 in mehreren Müllcontainern in Wien die Leichenteile einer jungen Frau entdeckt worden waren, gab es wohl zunächst zwei Tatverdächtige. Da sich im Film aber ein 17-jähriger Möchtegernrapper (ein Typ der gern mit seinem aufgemotzten Auto über leere Parkplätze brettert oder beim Bodybuilding Dampf ablässt – unter anderem in Folge seiner offenbar regelmäßigen Streitereien mit seinem Vater, einem Polizisten, oder wenn er an der Treue seiner Freundin zweifelt und wohhl auch ein wenig, weil er mit unterdrückten Bi-Neigungen zu kämpfen hat) und einem 24-jährigen Jurastudenten, der unter Versagens- und Bindungsängsten leidet, nicht begegnen und die Leiche eben noch gar nicht existiert, sucht der Zuschauer in der weitgehend langatmigen Geschichte natürlich auch noch nicht den falschen Täter.

Mancher Kritiker beschreibt das Werk von David Clay Diaz dennoch als “Schockierende Doppel-Geschichte über 2 an der kapitalistischen Gesellschaft und an sich persönlich gescheiterte Jugendliche” – klingt nach einer Menge Anspruch. Doch von einer auch nur annähernd ernst gemeinten Auseinandersetzung, auch nur einer unterschwelligen Kritik an den Schattenseiten unseres Wirtschaftssystems, keine Spur. Außer der Tatsache, dass am Rande, allerdings extremst klischeebeladen zwei sehr unvereinbar scheinende Milieus bruchstückhaft skizziert werden, gibt es da leider: nichts. Wer zuletzt “Einer von uns” aus der Alpenrepublik sehen durfte, weiss, dass auch der aktuelle österreichische Kinonachwuchs mitunter wirklich was zu sagen hat. In “Agonie” indes erscheinen alle Interaktionen zwischen Jugendlichen untereinander und ihre Begegnungen mit Erwachsenen letztlich wie die zahllosen harten Cuts und langen Schwarzbilder zwischen den Szenen: nach und nach nur bedeutungsschwanger. Die Hauptdarsteller Samuel Schneider und Newcomer Alexander Srtschin machen ihre Sache durchaus ordentlich – dass der Verleih (Zorro) aber ernsthaft wirbt, dass der Streifen auf den Spuren von Ulrich Seidl und Michael Haneke wandle – das kann man nicht mal mehr tragikomisch finden. Und das nicht erst, wenn zu allem Überluss am Ende des Films – die Frauenleiche hat einer der beiden jungen Männer bereits in verschiedenen Mülleimern verteilt – noch ein gefährlich wirkendes “Spiel” mit einer etwas über kopfgroßen Plastiktüte (beim anderen Typ) ins Bild gerückt wird.

Unter Agonie (griechisch ‚Qual‘, ‚Kampf‘) versteht man gemeinhin einen länger andauernden Todeskampf: Der eine implodiert, der andere explodiert in “unserer heutigen Zeit”, wenn er subjektiv keinen Ausweg mehr sieht? Wenn es das ist, was Diaz’ Film “sagen” will: er hätte es besser bei einem Kurzfilm belassen. So aber ist Agonie wie das Wort umgangssprachlich auch verstanden wird zu nah dran an der Realität: ein qualvoller, nicht enden wollender Zustand für den Zuschauer.



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