Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Außenseiter allenthalben

Gleich drei Kino-Neustarts handeln auf allerdings extrem unterschiedliche Art und Weise von Menschen, die irgendwie nicht dazu gehören. Die gezielt skurril präsentierte Geschichte über Bewohner der Slumruinen von Manila (“Alipato”, Regie: Khavn) ist dabei in jeder Hinsicht eine Herausforderung für den Zuschauer; “Einer von uns” dreht sich um perspektivlose Jugendliche in Österreich, schlittert auf eine grpße Katastrophe zu und basiert auf realen Ereignissen; “Aloys” schließlich ist nicht zuletzt dank der Tatsache, dass der bisher auf Schurken und Nebenrollen abonnierte Georg Friedrich endlich eine richtige Hauptrolle spielen darf – unser Film der Woche.

AloysAloys ist wirklich niemand, der auch nur ansatzweise sympathisch rüberkommen kann. Das Wort Antiheld trifft es aber irgendwie auch nicht so ganz. Wir erleben ihn zu Filmbeginn wie er die Beerdigung seines gerade verstorbenen Vaters zu organisieren sucht und dabei eine offensichtlich frühere Mitschülerin vor den Kopf stößt. Recht schnell wird klar: Die vergangenen Jahre arbeitete er gemeinsam mit seinem Erzeuger als Privatdektiv, und hielt sich dabei wirtschaftlich offenbar mehr schlecht als recht über Wasser. Aloys scheint überdies neben den berufsbedingten Obeservationen auch eine gewisse Spanner-Mentalität mitzubringen, bei seinen Nachbarn jedenfalls als absoluter Sonderling zu gelten. Dem Alkohol scheint der einsame Mann auch nicht abgeneigt – als er wieder mal zu tief in die Flasche schaut und in einer Trambahn des Nächtens einschläft, hat sich offenbar jemand an seiner Kameraausrüstung zu schaffen gemacht. Und dieser jemand scheint auf ein perfides Spiel aus: auf der einzig verbliebenen Filmkassette – ja, Aloys liebt es gern analog – hat der oder die Täterin den Detektiv, wie er mit der Alk-Bottle in der Hand weggedöst ist, im Bild festgehalten. Spätestens als anonyme Anrufe bei Aloys eingehen, ist dem Zuschauer klar, dass ihn eine Frau vom Jäger zum Gejagten machen und ihn ihm gleichzeitig die Kraft der Vorstellung herausfordern will. Das Stichwort hier lautet: Telefonwandern. Recht schnell bekommt man aber auch das Gefühl, dass da vieles nicht einmal aus schlechten Beweggründen heraus passiert. Ein paar Minuten lang keimt gar der Verdacht, die bezaubernde Amelie hat sich in einen David Lynch-Film verirrt.

Was die beiden Hauptdarsteller in der Regiearbeit des Schweizer Tobias Nölle hier bieten, ist nicht weniger als eine fasziniernde, manchmal traumwandlerisch schöne, manchmal nur verstörende Reise inmitten einer eigentlich ziemlich trostlosen Alltagswirklichkeit: mit minimalistischen Mitteln, einer sehr speziellen Art zu sprechen (inklusive einem für die Siuation seines Charakters aber tragikomisch bezeichnenden Pluralis Majestatis), brilliert insbesondere Georg Friedrich (wer ihn früh in einem Ulrich Seidl oder Michael Haneke Film sah, ahnte seit Jahren, dass hier ein richtig großes Talent schlummert; wer ihn bisher nur aus “Morgen hör ich auf” mit Bastian Pastewka kennt: Sie haben viiiiiel verpasst!), der die titelgebende Figur mimt. Aber auch Tilde von Overbeck (ihr angenehmes Schwyzerdütsch ist für den deutschen Markt erfreulicherweise untertitelt und nicht synchronisiert) als Diebin, die eigentlich eine Tierpflegerin namens Vera ist, agiert überdurchschnittlich. Dazu kommen originäre Bilder- (Kamera: Simon Guy Fässlers) und elektronische Klangwelten, die das Spiel mit der gezielt geförderten Imagination, dem Wechsel zwischen Tagtraum und Wirklichkeit, einen mehr als würdigen Rahmen verleihen. Vielleicht haben Sie es bereits “zwischen” den Zeilen herausgelesen: wir weigern uns nachdrücklich^^ Weiteres zum Plot selbst zu erzählen. Sie sollten sich bei diesem Streifen wirklich treiben lassen, ohne auch nur einen Funken mehr über die Protagonisten zu erfahren. Es lohnt sich absolut! Also zumindest, wenn Sie keine aalglatten Geschichten/keine finalen “Wahrheiten” suchen und ohnedies kein Naturalismus-Fetischist sind.

Der Fipresci-Preis der Filmkritik bei der letzten Berlinale hat hier endlich mal wieder eine rundum würdige Produktion ereilt. Glücklicherweise haben wir weder ein Print- noch ein Onlineabo der Jungen Welt, so dass wir André Weikards sinnentleertem Geschwafel von einem vorgeblich “restpubertären Thema” nicht über 1 1/2 Absätze hinaus folgen mussten. Indes: in geweisser Weise ist an seinem anderen bis dahin versuchten Tiefschlag gegen Aloys bzw. Tobias Nölle (“Wers nicht vorher wusste, merkt bald, dass es sich bei dem 90minüter um ein Regiedebüt handelt.”) sogar etwas dran: allerdings im positiven Sinne. Der Regisseur ist noch nicht verbogen, er scheint – das wird gerade in den letzten Minuten des Films klar – noch nicht den Druck von Film”förderungs”anstalten oder GEZ-finanzierten Redakteuren zu unterliegen, dem Zuschauer auf Teufel komm raus Dynamik oder Klarheit vorgaukeln, uns am Ende das Denken und Fühlen abnehmen zu müssen. Und auch das ist gut so.

Ebenfalls neu im Kino: “Einer von uns”

acab_einer_von_unsAuch dieser Film verdient diese Woche Ihre Aufmerksamkeit: Stephan Richter wurde für seine Produktion “Einer von uns” bereits auf dem Max Ophüls-Festival ausgezeichnet – Hintergrund seiner Geschichte ist ein reales Ereignis vom 5. August 2009, bei dem ein 14-Jähriger während eines nächtlichen Einbruchs in einem österreichischen Supermarkt von einem Polizisten erschossen wurde. Das kommt im Film erst gegen Ende vor. Es ist also nicht primär eine Aufarbeitung von irrer, in jedem Fall zu oft unverhätlnismäßiger Gewalt durch Uniformierte, die (ohne dass es anders als in den Staaten glücklicherweise bisher allzuoft Tote gibt) auch in unseren Breiten längst Alltag geworden ist (insbesondere wenn man Schikanen aka verdachtslose Kontrollen gegen insbesondere Migranten in Großstädten und einen gernerell unverschämten Ton bedenkt). Nein, es ist vielmehr eine Geschichte, die zwar auch die – um es höflich zu sagen – Engstirnigkeit und Bigotterie, ja auch irgendwie Bestechlichkeit von Streifenbeamten erahnen lässt, aber sich primär mit der Perspektivlosigkeit von jungen Menschen auseinandersetzt. Die riesige Einkaufshalle ist Dreh- und Angelpunkt: Manche Jugendliche versuchen hier zu klauen, gerade in den frühen Abendstunden hängen viele einfach nur mit ihren Freunden ab. Es wird gebaggert, geraucht, getrunken und gekifft. Kleine Mutproben gibt es ebenso wie einen, der schon mal einsaß. Was der Film wirklich gut kann: eine Stimmung vermitteln, nicht nur von den durchaus bescheidenen Träumen der Jugend, sondern auch von der seltsamen Arbeitswelt eines modernen Supermarktes. Die Bilder und Klangwelten die hierzu prsentiert werden sind eigentlich omnipräsent in unserem Alltag – aber so vorgeführt tun sie gleich doppelt so weh.

Last but not least: eine sprichwörtliche Trashproduktion aus Manila

AlipatoWem “Einer von uns” dann schon zu hart bzw. zuviel Des­il­lu­si­o­nis­mus war, der wird an “Alipato – The Very Brief Life Of An Ember” verzweifeln: Mit Einblicken in eine groteske Hölle ist der neueste Film des phil­ip­pi­ni­schen Enfant terribles Khavn de la Cruz (Mondomanila) wohl am Neutralsten beschrieben. Es geht um eine anfangs sehr sehr junge Gang aus körperlich Versehrten, Kleinwüchsigen und Fettleibigen. Morde passieren hier im Vorbeigehen, die Slums sind durch Kohlenfeuer und Müllberge geprägt. Khavn spielt mit diversen Darstellungsformen: sein Film, der nach diversen Affentänzen und ausgiebigen Charaktereinführungen irgendwann auch irgendwie um die Frage kreist, wo Geld aus einem gemeinsamen Bankraub abgeblieben ist, hat zahlreiche gezielte Breaks. Einer der schönsten: wenn ein Gefängnisaufenthalt als Stop-Motion-Sequenz dargebracht wird. Wer es bereits für einen Tabubruch hält, dass jemand in’s Essen pinkelt, muss sich warm anziehen. Um nur eine Szene anzudeuten: eine Oma wird mit vorge­hal­tener Knarre verge­wal­tigt. Schlechte Karten hat hier auch wer eine stringente Erzählung bevorzugt. Wer aber auf keineswegs nur formal punkig-trotzige, sondern durchaus latent politische Filmkunst steht, hat hier Einiges zum Abdriften.




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