Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Jungfräulich und frei dabei

Nach einer Buchvorlage von Tamta Melaschwili entwirft Elene Naveriani (vor rund 1 1/2 Jahren lief mit “Wet Sand” einer der besten “Queer”-Filme der letzten Jahre in Deutschland) ein zutiefst emanzipatorisches Leinwand-Werk. Im Mittelpunkt: Junggesellin Etero. Sie geht auf die 50 zu und betreibt einen kleinen Laden in einem abgelegenen georgischen Dorf. Selbstbestimmtheit schien ihr bisher das Wichtigste im Leben zu sein. Eine Nahtoderfahrung ändert nahezu alles. 

Etero (Eka Chavleishvili) geht auf die 50 zu. Für viele Bewohner des kleinen Dörfchens in dem sie schon seit Kindesbeinen an lebt, ist sie die alte Jungfer, und damit quasi eine unfertige Frau, die gern belächelt, manchmal auch unverhohlen verspottet wird. Ihre Mutter ist kurz nach ihrer Geburt verstorben, der Vater und der ältere Bruder haben sie seither primär als Dienstmädchen ausgenutzt. Daher schätzt Etero die nach deren Tod gewonnene Freiheit zu sehr. Die kräftig gebaute Frau mit ausdrucksstarkem Gesicht führt inzwischen einen kleinen Drogerie-Shop. Ihr Hobby ist das Sammeln von Brombeeren. Das scheint sie seit ihrer Kindheit an zu faszinieren. Dabei ist es in ihrer Gegend, in den Ecken, wo die Früchte wachsen, gar nicht so einfach. Besonders früh morgens, wenn die Erde an den Hängen feucht und rutschig ist: dann kann man ganz schnell ziemlich tief, ja gar lebensbedrohlich fallen.

Solch eine Situation ist der Einstieg in „Amsel im Brombeerstrauch“, dem neuen Film von Elene Naveriani. Etero kann dem Tod um ein Haar entgehen, und das scheint für sie wie ein Weckruf zu sein. Die Frau, die äußerst penibel darauf achtet, anderen Nichts zum Tratschen zu geben, macht offenbar das erste Mal in ihrem Leben den ersten Schritt auf einen Mann zu. Sie kennt ihn schon länger, er beliefert ihren Laden regelmäßig mit Waren. Murman (Temiko Chinchinadze) ist verheiratet, gar ein stolzer Großvater, scheint aber seinerseits bereits länger starke Gefühle für sie gehabt zu haben. Der Mann hat es aber bisher auch nicht gewagt, Etero in diese Richtung hin anzusprechen. Die Zwei werden ein Paar, ihre Liebe wächst im Geheimen. Und so steht die Hauptfigur auf einmal vor vielen Entscheidungen und Überraschungen in ihrem Leben.

​Der Film „Amsel im Bromberstrauch“ basiert auf dem in Georgien zum Beststeller geratenen Buch von Tamta Melashvili „Amsel Amsel Brombeere“ (ihre erste Veröffentlichung „Abzählen“ wurde 2013 auch mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet) – eine Geschichte, die gerade in ihrer von einer patriarchalen Ordnung geprägten Heimat viele verstört hat, weil es ein Thema anspricht, das in dem kleinen Kaukasusstaat immer noch tabuisiert ist. In vielen Teilen Georgiens ist es regelrecht verpönt, eine Beziehung ohne Ehe zu führen, daher gibt es viele “alte Jungfern”, die dann zu allem Übel auch noch allseits belächelt werden für ihr ziemlich negativ konnotiertes Alleinstellungsmerkmal. Die Rolle der Frau ist in weiten Teilen dieser Gesellschaft generell weiterhin eine dienende, idealerweise mit der Reproduktion gekrönte – sie steht in der familiären Hierarchie ziemlich weit unten. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich auch die Filmfigur beim Kontakt zu jüngeren Menschen deutlich besser aufgehoben fühlt als mit Gleichaltrigen, die Etero gleichzeitig aber insgeheim beneiden, weil diese trotz oder gerade wegen ihres vermeintlichen Alleinseins ungezwungener das Leben genießt, als es ihnen ihre jeweiligen Ehemänner zugestehen.

Wobei dieses selbst bestimmte Leben meistens abseits von neugierigen Blicken, in den eigenen vier Wänden passiert. Dort kann Etero sich freizügig bewegen, die Bilder von ihrem Vater und dem Bruder von der Wand abhängen, sobald ein Besuch gegangen ist. Intimes Stelldichein wird ihr nach dem ersten, sehr spontanen Liebesakt im notdürftig verschlossenen Laden entsprechend rasch zu heikel – sie trifft sich mit Murman fortan in der abgelegenen Natur, in vom Dorf weiter entfernten Hotelzimmern, wo beide niemand kennt.

Das Buch, was als Monolog verfasst ist, wurde mit großem Erfolg bereits auf diversen Bühnen aufgeführt. Nun widmete sich die Wahlschweizerin Elene Naveriani („Wet Sand“) dem Plot und erzählt in famosen Bildern eine Geschichte, die ohne große Worte eindringlich vermittelt, dass die alten patriarchalischen Strukturen und Denkarten in Georgien bis heute vor allem Menschen über 40 sprichwörtlich den Atem rauben können. In diesem System gibt es für Frauen wie Etero eine festgeschriebene Rolle, so und nicht anders hat man sich zu benehmen, zu sprechen…

Nach der Uraufführung bei der Quinzaine des cinéastes, in Cannes 2023 errang „Amsel im Bromberstrauch“ beim diesjährigen Sarajevo Film Festival den Hauptpreis. Auch wurde dort die überragende Hauptdarstellerin Eka Chavleishvili für ihre Rolle geehrt – mit ihr hat Naveriani bereits in „Wet Sand“ gearbeitet. Sie verkörpert mühelos all die Widersprüche in Eteros Seele, ihre Zerrissenheit zwischen dem Auflehnen und den Erwartungen der anderen an sie. Ihre Wünsche und Schmerzen werden für die Zuschauer tatsächlich schmerzhaft greifbar.



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