Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Raum und Zeit durchbrechen

„Eureka“ von Lisandro Alonso ist ein Film, bei dem man auch nach einer Stunde nicht sicher sein kann, worin alles mündet: zuerst bekommt der Zuschauer einen leicht schrägen schwarz-weiß Western serviert, der sich dann als Hintergrundberieselung erweist. Denn plötzlich befindet man sich im Wohnzimmer einer Polizistin im Pine Ridge Reservat in South Dakota. Die Frau wird eine schwere Nacht vor sich haben. Und irgendwann startet ein großer Vogel seinen Flug zu Indigenen nach Südamerika.

Alaina (Alaina Clifford) ist in dieser Nacht allein auf sich gestellt. Egal wie oft die junge Polizistin Verstärkung von der Zentrale erbittet, muss sie sich letztlich allein mit einer messerfuchtelnden Jugendlichen, mit einem total besoffenen Fahrer, oder mit der Untersuchung einer gemeldeten Schießerei in einem Casino auseinandersetzen. Irgendwann schaltet sie das Funkgerät aus. Ihre Mitbewohnerin Sadie kümmert sich offenbar schon länger aufopfernd um Teenager im “Pine Ridge Reservat” in South Dakota, spielt mit ihnen Basketball, besucht sie im Knast, will nun aber den trostlosen Alltag und die mangelnden Zukunftsperspektiven nicht mehr länger ertragen. Mit Hilfe von Großvaters Kräutertrank (“Zeit ist Fiktion, eine bloße Erfindung des Menschen.”) unternimmt sie eine spirituelle Reise durch Raum und Zeit. Dabei trifft sie als stille Beobachterin alsbald auf eine indigene Gruppe im südamerikanischen Amazonas, die sich gerade über ihre jeweiligen Träume aus der vergangenen Nacht austauschen.

„Eureka“ des argentinischen Regisseurs Lisandro Alonso („La libertad“, „Liverpool“, „Jauja“) ist ein stellenweise durchaus hypnotisch wirkender Trip für Zuschauer, die cineastische Experimente mögen und sich knapp 150 Minuten auf Etwas einlassen können, also auch sprichwörtlich Sitzfleisch mitbringen. Der bildgewaltige Film ist im zweiten und dritten Teil betont langsam erzählt, beginnt aber mit den eingangs erwähnten Western-Sequenzen, in denen Chiara Mastroianni und “Herr der Ringe” Viggo Mortensen im Mexiko des ausgehenden 19. Jahrhunderts agieren und arbeitet in der Folge, als das inzwischen ungewohnte 4:3 Format abrupt aufgelöst wird, mit teils minutenlangen Einstellungen auf Menschen, die warten, grübeln oder sichtbar verzweifeln. „Eureka“ ist auch ein politischer Film. Er stellt das Leben der Sioux, in unseren Breiten gern auch als amerikanische Ureinwohner benannt, in einem Reservat dem der indigenen Volksgruppen im Amazonas gegenüber. Wen trifft es besser? Die, die im Namen des Fortschritts entwurzelt wurden, in einem von der US-amerikanischen Regierung vorgegebenen Areal leben, oftmals hart ums Überleben kämpfen, oder die Menschen die vermeintlich jenseits aller Zivilisation, in monetärer Hinsicht ebenfalls recht arm aber im Einklang mit der Natur sind?

Was Alonso sich selbst fragt und seine Zuschauer die sich tiefergehend einlassen zwangsläufig nachdenken lässt, ist, ob man es, steckte man selbst in der Haut amerikanischer Ureinwohner, vorziehen würde, wie die Eingeborenen im Dschungel zu leben. Ob das Modell dessen, was die westliche Welt Zivilisation nennt, wirklich das Wahre ist. Wie lebt man, wenn die eigene Identität durch Gewalt bedroht wird. Wie kommt man damit zurecht, wenn andere Kulturen, die nach einem gekommen sind, die eigene Existenz weithin in Frage stellen oder zumindest nachdrücklich ignorieren. „Wenn ich Indigener wäre, wäre ich lieber in der Nähe des Amazonas als in den Vereinigten Staaten geboren worden“, so der Regisseur in einem Interview. Statt eines eigenen Fazits endet dieser “unbedingt-im-Kino-genießen-Tipp” des Monats mit einem 110 % treffenden Zitat aus einer Besprechung der Kollegen von “kunstundfilm.de”: “Als Titel des Films … könnte ‘Eureka’ kaum kontrafaktischer sein: Kein Zuschauer dürfte nach dem Ansehen freudig ausrufen, er habe alles verstanden.”



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