Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Von blauen Wundern und einem Kontrollfreak

Von den Neustarts des 21.09.2023 nehmen wir nachfolgend gleich zwei viel versprechende Streifen unter die Lupe: In „Weißt du noch“ von Rainer Kaufmann kurbeln zwei Pillen das Gedächtnis eines alten Ehepaars (Senta Berger und Günther Maria Halmer) an – sie wissen auf einmal wieder, warum sie sich dereinst ineinander verliebt haben. In „Millennium Mambo“ des taiwanesischen Regisseurs Hou Hsiao Hsien versucht indes eine gewisse Vicky erfolglos von ihrem Freund wegzukommen. 

Über fünf Jahrzehnte ist ihre Ehe schon alt, die Kinder längst aus dem Haus, der Alltag eintönig und trist. Während Marianne (Senta Berger) versucht, durch regelmäßige Treffen mit Freundinnen oder mit etwas Sport aktiv zu bleiben, hat Günter (Günther Maria Halmer) offenbar keinerlei Hobbies und nur sehr sporadisch soziale Kontakte. Die beiden mäkeln ständig aneinander herum, insbesondere wenn es um altersbedingte Gedächtnislücken geht.  Berger beschreibt: “es hat sich alles ein bisschen abgeschliffen, auch die Unarten haben sich verfestigt. Man findet den richtigen Ton nicht mehr.”

So oder so: Im Miteinander scheint es keine große Lebensfreude  mehr zu geben, das Zusammenleben ist zur trögen Routine geworden. Diese für alle beteiligten häufig unübersehbar frustrierende Atmosphäre will Günter an ihrem Hochzeitstag durchbrechen. Von seinem Kumpel (Konstantin Wecker in einem kurzen Gastauftritt) bekommt er zwei blaue Pillen, die in Deutschland nicht zugelassen sind und Wunder bewirken sollen: Alte Erinnerungen kommen auf wundersame Weise allerdings – das wird von vornherein klar kommuniziert – für (stark) begrenzte Zeit zurück. Und so beginnt für beide Eheleute ein Trip in ihre Vergangenheit, Schicht für Schicht kommen schöne und auch weniger schöne Erlebnisse ins Gedächtnis, vor das geistige Auge, bis Marianne und Günter beim Kern ankommen: weswegen sie sich ineinander verliebt haben.

Nach der Komödie „Und wer nimmt den Hund?“ beschäftigen sich Regisseur Rainer Kaufmann, Drehbuchautor Martin Rauhaus und Produzentin Heike Wiehle-Timm wieder einmal mit den Auswirkungen einer langen Beziehung. In ihrem melancholischen Film „Weißt du noch“ beherrschen die Schauspieler-Legenden, Senta Berger, die eigentlich ihrer Karriere bereits den Rücken gekehrt haben wollte, und Günther Maria Halmer, fast alleine die Leinwand. Das humorvolle, manchmal nachdenkliche und teils leicht traurige Kammerspiel überzeugt mit jedem Wort, mit jeder Geste und zeigt, dass auch nach zig Jahren des Ehe-Karussells ein Zusammenleben immer noch attraktiv sein beziehungsweise wieder werden kann. Und auch das Thema aufkommende Demenz wird weitgehend seriös angerissen. Aber alles in allem wird zu viel geredet, zu viel vereinfacht.

WERTUNG: 4/5

 

Durch die Jahre gekommen

Die Geschichte von Vicky habe ihm eine real existierende Vicky erzählt, so Regisseur Hou Hsiao Hsien. Und zwar in dem sie von sich durchgehend in der dritten Person sprach. Diese Aufzeichnungen nutzte er in „Millennium Mambo“ als die Off-Stimme für seinen Film und vermittelt dadurch die wichtigsten Informationen zum Ablauf ihrer Geschichte, wo er diese nicht mit nachgespielten Bildern einfangen mochte oder konnte. Die Dramatik muss man sich hier also aufgrund von eingespielten Worten oft dazu malen.

Vicky (Shu Qi) ist eine junge Frau, die als Schülerin in einem Club Hao-hao (Tuan Chun-Hao) kennen und lieben lernt. Keine gute Entscheidung, wie es scheint, denn sie hat ihren Schulabschluss versäumt, konsumiert all zu oft Alkohol und Drogen, raucht Ketteund  arbeitet als Hostess in einer Bar. Vor allem aber streitet sie gefühlt all die restliche Zeit schier pausenlos mit ihrem Freund, der ein Kontrollfreak und ein Kleinkrimineller zu sein scheint. Immer wieder versucht sie sich von ihm zu trennen, schafft es aber nicht. Irgendwann freundet sie sich mit dem älteren Jack (Jack Kao) an, der immer für sie da zu sein scheint.

Hou Hsiao Hsien ist ein bekannter Regisseur, seine Filme sind viel beachtet und prämiert, wie „Eine Stadt der Traurigkeit“ (1989, Goldener Löwe in Venedig), „The Puppetmaster“ (1993, Jurypreis in Cannes) oder „The Assassin“ (2015, u. a. Auszeichnung als bester Regisseur in Cannes). Sein Film „Millennium Mambo“, der viele Jahre nach Fertigstellung auch den Weg auf die deutschen Leinwände findet, stammt aus dem Jahr 2001, ist aber formal im Jahr 2011 angesiedelt und zeigt dann aber wiederum  überwiegend inszenierte Rückblenden in das Jahr 2001.

Hätte man den Film seinerzeit zu Gesicht bekommen, wäre er dank seiner teils tranceartigen Bilder aus dem nächtlichen Taipeh mit Sicherheit ein überdurchschnittliches Filmerlebnis gewesen. Für’s Hier und Heute wirkt „Millennium Mambo“ – trotz seiner optisch und akustisch brillanten 4K Restaurierung – jedoch etwas zu sehr in die Jahre gekommen. Gedreht wurde meist in Nachtclubs und oder in den kleinen Wohnungen der Protagonisten. Irgendwann taucht die Film-Vicky auch mal in einer verschneiten japanischen Stadt auf. Es gab dem Vernehmen nach keine festen Dialoge, die Schauspieler improvisieren den Text. Das wirkt immerhin sehr authentisch, ebenso  die Sequenzen in denen der Farbenrausch mit Techno-Beats untermalt ist und die existentielle Leere junger Menschen zur Jahrtausendwende spiegelt.

WERTUNG: 3/5



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