Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Kämpfen für Träume und Rechte

Die beiden Filme, die wir von den Neustartern am 12. Januar 2023 unter die Lupe nehmen wollen und die formal und thematisch unterschiedlicher kaum sein könnten, vereint doch eines: die jeweiligen Hauptakteure müssen und wollen für ihre Träume und Rechte kämpfen. In „Mission Ulja Funk“ büxt eine 12jährige aus, verlässt ihre Familie im Namen der Wissenschaft Richtung Weißrussland; die Dokumentation „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ begleitet derweil vier reale Menschen auf ihren Protestzügen für eine gerechtere Welt.

Als der Pastor in seiner Freikirche in einer (fiktiven) deutschen Kleinstadt so etwas wie einen Kinderkunsttag veranstaltet, bringt die 12jährige Ulja Funk mit ihrem Vortrag über einen kleinen Asteroiden, der ihren Berechnungen zufolge bereits in wenigen Tagen auf die Erde fallen soll, nicht nur ihre tiefreligiöse, russlanddeutsche Oma auf die Palme. Die kleine altkluge Wissenschaftlerin will unbedingt zum Ort des künftigen Aufpralls. Als die Großmutter (“Kein Mann will Frau heiraten, die schlauer ist als er.”) zusammen mit dem Kirchenoberen dem Mädchen, welches nebenher auch so manche Bibelstelle als unlogisch outet, alles wegnimmt, was im Entferntesten mit Wissenschaft zu tun haben könnte – vom Fernrohr bis zum Computer -, heuert sie einen Jungen aus ihrer Klasse an, sie nach Weißrussland zu bringen. Gemeinsam klauen sie Mama Funks’ Bestattungsauto und fahren los. Dumm nur, dass die Oma rein zufällig – tatsächlich eher ungeplant – mit an Bord dabei ist; bald folgt den beiden Ausreißern auch fast die ganze Gemeinde der kleinen Kirche Richtung Osten. Letztere zunächst weil ihnen der Kirchenmann falsche Tatsachen vorspiegelt…

Der Held ihrer Kindheit heiße ALF, verrät Regisseurin Barbara Kronenberg: in ihrem Film „Mission Ulja Funk“, der nicht nur Kindern Spaß machen wird, geht es um das Gefühl, dass alles möglich ist und dass alle zusammengehören, wie unterschiedlich man auch sein mag. Die jungen Schauspieler Romy Lou Janinhoff und Jonas Oeßel stehen den bekannteren Namen wie Hildegard Schroedter, Luc Feit, Anja Schneider oder Ivan Shvedoff in Nichts nach. Und so ist man als Zuschauer gefühlt mittendrin in der skurrilen Verfolgungsjagd quer durch Osteuropa, inklusive merkwürdigster Begegnungen und auch bei Versöhnungen. 2021 bekam „Mission Ulja Funk“ in Gera den Goldenen Spatz von der Kinderjury des größten Festivals für deutschsprachige Kindermedien verliehen. Zu Recht! Denn es ist ein ausgesprochen hübscher und kurzweiliger Film, der wirklich nicht nur bei Kindern sondern für die ganze Familie funktioniert – auch weil Geschichten über Freundschaft, Familie und die Akzeptanz des (vermeintlichen) Andersseins universell und dieses Roadmovie hier eben sehr liebevoll ausgestaltet sind.

Vor allem ist der auch mit diversen, funktionierenden Running-Gags, bei denen unter anderem ein vollgepferchter Renault Twingo eine Rolle spielt, ausgestattete Kinderfilm deswegen besonders, weil er zwischen den Zeilen gekonnt mit ersten, vorurteilsbehafteten Eindrücken aufräumt, diverse Charaktere im Lauf der Geschichte ungeahnte Seiten zeigen. Und es ist wohltuend zu wissen, dass es ab und an auch noch heutzutage nicht nur bekannte Kinderbuchtitel wie “Die Schule der magischen Tiere” (der zweite Aufguss war mit fast 2,5 Millionen verkauften Tickets tatsächlich der erfolgreichste deutsche Kinofilm 2022) oder “Bibi und Tina” auf die Leinwände deutscher Lichtspielhäuser schaffen, wenn es um Unterhaltung für die junge Zielgruppe geht.

Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten

Einzig der Kampf für eigene Überzeugungen ist es, was der neue Dokumentarfilm aus Frankreich von Emmanuel Gras („Makala“, Grand Prix de la Semaine de la critique in Cannes 2017) „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ mit dem Kinderfilm gemein hat. Der Regisseur begleitete eine kleine Gruppe von Protestlern über mehrere Monate und gibt Einblicke in das Leben von Menschen, die nicht nur mit meist wenig zielführenden “social media” Posts um ihre Rechte kämpfen. Die Bewegung der Gelbwesten beginnt im Oktober 2018, als die Macron-Regierung eine Steuererhöhung auf die Spritpreise anordnet. Das treibt sehr viele, die auch sonst schwer über die Runden kommen, auf die Straße. Die Forderungen der Protestler werden mit der Zeit mehr, etwa die Anhebung des Mindestlohns und der Renten bis hin zur Einführung eines „basisdemokratischen“ RIC (référendum d’initiative citoyenne), mit dem die politischen Belange stärker direkt vom Volk mitgestaltet werden sollen. Kurzum, es geht in Gänze um nicht mehr und nicht weniger als den wichtigen und richtigen Kampf gegen wachsende Ungleichheit im Land. Denn es ist in Frankreich offenbar keinen Deut anders als in Deutschland: Während die soziale Ungleichheit zunimmt, die Aufstiegschancen für die meisten “normalen” Menschen sprichwörtlich elementar schrumpfen, mehren die berühmten zehn Prozent (und die, die von ihnen als nützliche Idioten oder gar aktive Propagandisten genutzt werden) Reichtum, Einkommen und Einfluss.

Nationalisten und Anarchisten – waren die Zuschreibungen, mit denen die deutschen Medien Akteure der “gilets jaunes” Bewegung bezeichneten. Solche gab es sicherlich, wie auch eine Gruppe von “berufsmäßigen” Krawallmachern, aber den Großteil der Gelbwesten bildeten parteipolitisch unabhängige Menschen aus sozial benachteiligten Schichten, die schlichtweg für ein normales Leben auf die Straße gingen. Wer genauer hinsieht erkennt wie bei den Corona-Maßnahmen-Protesten in Deutschland nämlich alles andere als homogene oder gar fragwürdige Gruppen in der Mehrheit, sondern schlichtweg Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Dass es  hier wie dort eklige Trittbrettfahrer aus nationalistischen oder gar extrem fremdenfeindlichen Gruppen und Parteien gibt, kann die Themen an sich nicht delegitimieren! Aber darum geht es in der Doku bestenfalls zwischen den Zeilen.

Emmanuel Gras ist mit seiner Kamera vielmehr als stiller Beobachter in Chartres, einem Vorort von Paris, dabei, wo sich die Bürger jeden Abend bei einem Kreisverkehr treffen. Vier pickt er sich heraus, Agnès, Benoît, Nathalie und Allan. Ohne zu bewerten, jemanden zu idealisieren oder auch sich aktiv als Filmemacher einzumischen, zeigt Gras, wie sich diese Menschen mit viel Wut im Bauch (die erst kam wegen der wieder stärker auszumachenden menschenfeindlichen Politik in ihrem Land) organisieren und besten Wissens und Gewissens, aber mit viel zu viel Naivität versuchen, ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen.

Die Protagonisten in der Doku und ihre Weggefährten auf Zeit probieren verschiedene Protestformen, um auf sich aufmerksam zu machen; nach und nach lernen sie eine Demonstration zu organisieren, die nicht gänzlich verhallt; sie streiten miteinander, sind sich nicht immer in ihren Zielen und der passenden Art der Umsetzungen einig; sie fahren nach Paris, um mit gleichgesinnten Gruppen  aus anderen Regionen auf den Straßen Stärke zu zeigen. Der Regisseur ist stets hautnah dabei, auch als die Polizei die Demonstranten niederknüppelt und mit Tränengas attackiert, und so dokumentiert er die Ohnmacht seiner Protagonisten direkt danach auf unbeschreiblich berührende Art.

Es ist ein durchweg spannend geratener Film über eine weitgehend hochdemokratische Bewegung, die nicht nur die offiziellen französischen Medien versucht haben, per se als schlecht und systemgefährdend darzustellen. Gras zeigt, dass es zwar nicht einfach ist, eine gemeinsame Sache mit vielen verschiedenen Menschen zu organisieren, aber wenn es dazu käme, dass die Massen von einer Idee getragen werden, Veränderungen möglich sein könnten. Dass der Filmemacher dafür von deutschen Medienvertretern, sinnigerweise auch einem von “epd”, den impliziten Anwurf erfährt, die Grenze als reiner Beobachter verlassen zu haben, sich vielmehr – O-Ton – angeschlossen zu haben, sollte man eher als Beleg dafür sehen, dass ein Kinobesuch allemal lohnt! Eine Idealisierung der gewählten Protestformen findet hier keineswegs statt, aber die Legitimität wird glücklicherweise keine Sekunde in Zweifel gezogen – und nebenbei eben mit vielen Gleichklang-Vorurteilen (wie sie Mainstream-Medien und die herrschende Politik gerne behaupten) gegen Menschen auf der Straße aufgeräumt.

Im Raum Franken wird „Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ bis voraussichtlich 24.01. im Nürnberger  “KOMMKINO” laufen.

 

 

 

 

 



1 thought on “Kämpfen für Träume und Rechte”

  • Danke @kulturkueche.de für diesen Filmtipp. Ich war mit meinen beiden Rackern gestern im Kino. Hat uns allen Riesenspaß gemacht. Klare 8/10.

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