Eine alleinerziehende Mutter bemüht sich, die tschechische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Als ihr Sohn schwerverletzt ins Krankenhaus kommt, wächst eine zum Selbstschutz ausgedachte Lüge den Beiden alsbald über den Kopf. Mit „Victim“ startet diese Woche ein Drama über Rassismus, Fake News und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft mit bitterem Beigeschmack in den deutschen Kinos.
Der Stau an der Grenze ist zu lang für die allein stehende Mutter, die dringend zu ihrem Sohn will. Der 13jährige Junge Igor (Gleb Kuchuk) liegt schwer verletzt in einem tschechischen Krankenhaus. Irina (Vita Smachelyuk) kommt eigentlich aus der Ukraine, lebt aber seit geraumer Zeit in einer kleinen tschechischen Stadt und versucht zum zweiten Mal die Prüfungen für die Staatsbürgerschaft zu bestehen. Mit ihrer Freundin träumt sie von einem Frisörsalon, im Alltag putzt sie für miserablen Lohn in einem Flüchtlingsheim. Ihr Sohn geht in die Schule, macht Sport, der Trainer prophezeit ihm eine erfolgreiche Kariere. Im Krankenhaus erzählt der selbe Junge, als es immer wieder halbwegs geht, er aber noch nicht ahnt wohl die Sache mit dem Sport an den Nagel hängen zu müssen, den Polizisten, wie er im Treppenhaus von hinten angegriffen und nach unten geworfen worden sei. Er habe die Angreifer nicht richtig gesehen, dementsprechend niemanden erkannt.
Die Frage, ob es „Weiße“ gewesen seien, verneint er aber. Und so landet ein fast gleichaltriger Junge aus der benachbarten Roma-Familie in Untersuchungshaft. Die Geschichte verselbständigt sich, wird von tschechischen Rassisten dankend aufgenommen, zumal Igor durch den Unfall eine Niere verloren hat – also ein Opfer mit bleibenden Schäden ist, ja vielleicht sogar hätte sterben können. Irina bekommt derweil unerwartet von der Stadt plötzlich tatkräftige Unterstützung – auch in monetärer Hinsicht, sogar der Auszug aus dem bedrückenden und engen Sopzialbau in eine ansehnlliche Wohnung in weniger prekärem Umfeld steht zum Greifen nah. Irgendwann gesteht ihr Igor aber, er sei selbst schuld an dem Unfall, die ganze Angriffsgeschichte nur erfunden. Hier beginnt für den Zuschauer die eigentlich sehenswerte Geschichte, was nicht heißen soll, dass es davor irgendwelche unnötigen Längen oder gar Enttäuschungen gab. Im Gegenteil!
„Victim“ (OT: Obeť) ist der erste abendfüllende Film des 1989 in Bratislava (Slowakei) geborenen Regisseurs Michal Blaško. Klar und nüchtern, auch visuell sehr ansprechend (u.a. werden fast starre Bilder verwendet), erzählt er über „Glück“ im Unglück, das bald zu einem Alptraum für die Mutter wird. Am Anfang naiv, sieht sie später klar, wie sie als „Opfer“ zum politischen Zweck instrumentalisiert wird, wo genau genommen sie mit ihrem Sohn die eigentlichen Täter sind. Und so schmeckt auch jede Zuwendung und jeder Schritt Richtung ihrer Träume sehr bitter. Sehr nuanciert zeichnet der Regisseur, wie Fake News entstehen, wie etwas zum Lauffeuer wird. Und er lässt seine Protagonistin wie auch die Zuschauer im Dilemma, ob und wenn ja wann es einen richtigen Zeitpunkt gibt, mit der Wahrheit herauszurücken, letztlich allein.