In „The Five Devils“ (Start in Deutschland: 13.04.2023) besitzt ein kleines Mädchen einen ausgeprägten Sinn für Gerüche. Durch diese Gabe und einer großen Portion Neugier versetzt es sich in die Vergangenheit und kommt so Geheimnissen nicht nur ihrer Familie auf die Spur.
Mystery, Familiendrama, Fantasy, Coming of Age und Coming out… Es sind viele Themen und Stilrichtungen die im lang erwarteten zweiten Spielfilm der Französin Léa Mysius zusammenkommen. Nach ihrem gefeierten Debüt „Ava“ (2017) über eine 13-Jährige, die langsam erblindet, erzählt sie in „The Five Devils“ von einer kleinen Familie in einem beschaulichen französischen Alpendorf. Jimmy (Moustapha Mbengue), ein Mann mit senegalesischen Wurzeln und Joanne (Adèle Exarchopoilos – bekannt u.a. aus „Blau ist eine warme Farbe“) haben in der achtjährigen Vicky (Sally Dramé – eine fantastische Besetzung) eine nicht nur äußerlich herausstechende Tochter. Das Mädchen mit der Riesenafro-Frisur wird von ihren Mitschülerinnen regelmäßig gemobbt, und vielleicht auch deshalb eine besonders enge Bindung zur ihrer Mutter. Vicky begleitet Joanne zu ihren Wassergymnastikkursen, bei denen die ehemalige Gymnastin mit älteren Frauen arbeitet, und zu ihren Runden im eiskalten Seewasser in den Bergen. Mit der Stoppuhr in der Hand muss das Kind darauf achten, dass die Mutter rechtzeitig das Wasser verlässt, damit sie nicht erfriert.
Bei einem dieser Ausflüge entdeckt Joanne, dass ihre Tochter eine außergewöhnliche Gabe besitzt: ihr Geruchssinn ist schier übernatürlich. Sie kann nicht nur alles per Geruch unterscheiden, sondern es auch reproduzieren. Letzteres ist und bleibt Vickys Geheimnis. Unter ihrem Bett sammelt sie Einmachgläser mit archivierten Gerüchen. Neuzugang: der Geruch der ihr bis dato unbekannten Tante – diesen destilliert Vicky fast im Stile einer Märchenhexe. Julia (Swala Emati), die Schwester von Jimmy, wurde erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen. Während Joanne feindselig reagiert, dass ihre Schwägerin erstmal bei ihnen wohnen soll, beobachtet Vicky still die ausgesprochenen und unausgesprochenen Spannungen zwischen den drei Erwachsenen. Sie beginnt am Duft ihrer Tante zu schnuppern, was sie merkwürdigerweise nicht nur im metaphorischen Sinn in die Vergangenheit versetzt. Was wiederum Entwicklungen in Gang setzt, die auch ihre eigene Existenz prägen sollen…
Düstere Farben und eine ebensolche Hintergrundmusik – zum Start ertönt „Me and the Devil“ von der wunderbaren Soap&Skin – dominieren Mysius’ Film. „Ihr“ Dorf erscheint fast durchweg feindselig, unversöhnlich, die Menschen generell unterkühlt – Vicky leidet besonders darunter. Die Regisseurin gibt keine Erklärung, wie deren mystische Reisen in der Zeit möglich sind. Sie lässt ihre kleine Protagonistin zusammen mit dem Zuschauer lieber an einem inhaltlichen Puzzle über die Erwachsenenwelt arbeiten, das Stück für Stück ein spannendes Bild ergibt. „The Five Devils“, den der bisher mehr für Arthouse-Streamingdienste bekannte Verleih “MUBI” nun ins deutsche Kino und ab Juni auf seinen Ausspielkanal bringt, ist definitiv ein überdurchschnittlicher, nicht zuletzt dank seiner Bildersprache nachklingender Film, der – ohne dass wir jetzt spoilern möchten – am Ende doch einen Hoffnungsschimmer in einer teilweise beklemmenden Geschichte bietet.
