Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Zwischen den Welten

In “Schau mich nicht so an” spielt Uisenma Borchu, Regisseurin mit mongolischen Wurzeln, nicht nur eine der Hauptrollen sondern improvisiert auch mit Josef Bierbichler; aus Neuseeland kommt “Das Talent des Genesis Potini” nach der wahren Lebensgeschichte eines ehemaligen maorischen Schach-Champions; und im japanischen Animationsfilm “Miss Hokusai” wird die Tochter eines berühmten Malers, dessen Werke für den Japonismus bei westeuropäischen Künstlern verantwortlich zeichneten, in den Vordergrund gerückt. Bei zwei dieser drei Neustarts spielt das Thema Erotik eine zentrale Rolle.

Schau_mich_nicht_so_an„Ein mutiger, kompromissloser Film der in der Mongolei geborenen Uisenma Borchu. Sie ist als Drehbuchautorin, Regisseurin, Cutterin wie als Hauptdarstellerin der Katalysator ihres Erstlingsfilms, einer einzigartigen Vision eines kulturellen Zusammenstoßes über drei Generationen,“ so lautete die Begründung des internationalen Verbands der Filmkritik 2015, als der Abschlussfilm der HFF-Absolventin beim Filmfest München den Fipresci Preis überreicht bekam. Vor allem die ersten beiden Adjektive bringen “Schau mich nicht so an” tatsächlich absolut treffend auf den Punkt. Denn es ist wirklich sowohl filmtechnisch als auch was die Geschichte selbst betrifft, wunderbar gegen die Norm: Die jungen Frauen Hedi (Uisenma Borchu) und Iva (Catrina Stemmer) lernen sich mehr oder minder zufällig durch Ivas Tochter Sofia kennen. Hedi ist exotisch, geheimnisvoll und dominant, sie artikuliert ihre Wünsche klar und deutlich, egal ob sie gerade einen One-Night-Stand sucht oder ihrer neuen Freundin (als Kinderlose) ihre Weltsicht zu Erziehungsfragen angedeihen lässt. Iva hingegen ist – bewusst – eher der leise, recht unscheinbare Typ und zunächst neidisch darauf, wie Hedi alles in den Griff bekommt. Schließlich werden die Frauen ein Liebespaar. Während die Beziehung für Iva immer ernster wird, bleibt es für Hedi ein Spiel. Als Ivas Vater (Josef Bierbichler) auftaucht, mit dem seine Tochter seit Jahren keinen Kontakt mehr pflegt und Hedi sich (auch) für ihn zu interessieren beginnt, wird es zunehmend kompliziert…

Wenn viele Zuschauer das Kino leicht verwirrt verlassen, Traum und Realität nicht stets zielsicher voneinander unterschieden zu haben, so werden sie sich gleichzeitig letztlich wohl leichter in die Gefühlswelt der Regisseurin und Hedi-Darstellerin versetzten können, die hier ihre alte und seit ihrem fünften Lebensjahr neue Heimat miteinander zu verweben versucht. Ihr erster Spielfilm, der im Übirgen leider ganz ohne Filmförderung entstehen musste – was viel über den (mangelnden) Mut der Verantwortlichen in Deutschland aussagt -, hinterlässt einen ungemein frischen Eindruck. Auch dank dem überwiegend auf Improvisation setzenden und doch keine Spur laienhaft daherkommenden Spiel der beiden Hauptfiguren. Es ist eine sehr körperbetonte Geschichte – unter anderem über die Suche nach sich selbst, Manipulationen und Abhängigkeiten sowie über anscheinend unstillbare Sehnsüchte.

Genesis_PotiniIn “Das Talent des Genesis Potini” aus Neuseeland wartet eine schauspielerisch gar noch größere Leistung: Cliff Curtis spielt in einer perfektion Mischung aus Feingefühl und Authenzität die Rolle eines manisch-depressiven Psychiatriepatienten. Die Ärzte sind überzeugt, Genesis Potini, ein ehemliges maorisches Schachgenie mit Spitznamen Dark Horse, werde kaum in der Lage sein, für sich selbst zu sorgen. Also bittet er seinen älteren Bruder Ariki (Wayne Kapi), ihn bei sich aufzunehmen, um raus aus der Klinik zu dürfen. Mit Widerwillen nimmt sich Ariki, der eine kriminelle Biker-Gang leitet, in die auch sein bald 15jähriger Sohn aufgenommen werden soll, seiner an. Als sich somit auch Onkel und Neffe näher kommen, setzt Ariki seinen Bruder mit sanftem Druck vor die Tür. Sehr bald findet Genesis, der zumindest froh ist nicht wieder direkt in die Klinik zu müssen, seine Bestimmung bei einem örtlichen Schachclub. Dort ging es bisher aber weniger um den Sport an sich, denn darum, Kindern und Jugendlichen aus armen Verhältnissen überhaupt ein wenig Ablekung zu bieten. Mit seinem persönlichen Traum, die Kids ins Finale der Junioren-Meisterschaften nach Auckland zu bringen, steckt Genesis sein Umfeld aber recht schnell an. Als dort auch sein Neffe – heimlich, hinter dem Rücken seines Vaters – mitmachen will, wird die Lage kritisch…

“Das Talent des Genesis Potini” von Regisseur James Napier Robertson basiert auf der wahren Lebensgeschichte eines ehemaligen maorischen Schach-Champions – Genesis Potini (1963-2011) war Blitzschachmeister. Von Anfang bis Ende eine sehr emotionale, sehr gut gespielte Geschichte über zwischenmenschliche Beziehungen, über Verantwortung, Mut, Hoffnung und Ausgrenzung von ethnischen Minderheiten. Und last but not least ist der Film eine schöne Verbeugung vor dem Schachspiel an und für sich – mit vielen kleinen Erzählungen und Erlebnissen, die tatsächlich auch geeignet sind, Berührungsängste mit dem “Spiel der Könige” zu überwinden. Wer Dustin Hoffman dereinst als Rainman gut fand, muss den Hauptdarsteller hier vergöttern!

Miss-Hokusai
Es war in der Geschichte oft so, dass talentierte Frauen, ob in der Wissenschaft oder in der Kunst, anonym blieben, während ihre Ehemänner oder Väter groß gefeiert wurden. Einen solchen Fall greift der japanische Animationsfilm “Miss Hokusai” auf und erzählt auf Grundlage des Mangas “Sarusuberi” (von Hinako Sugiura) über eine junge Frau in Edo, später Tokio, dessen Vater Katsushika Hokusai (~1760-1849) mit seinen Werken europäische Künstler wie van Gogh oder Monet beeinflusste und den Japonismus in Westen den Weg bereitete. Dabei war es wohl eben die Tochter, nicht minder talentiert, die ihren Vater bei seinen Aufträgen nicht nur unterstützte sondern oftmals an seiner Stelle gewirkt haben soll.

“Miss Hokusai” spielt 1814 in Edo, als ihr Vater noch nicht sein späteres Pseudonym Hokusai trägt, vielmehr als Tetsuzo bekannt ist. Der Maler lebt, obwohl er sich Besseres leisten kann, zusammen mit seiner 23jährigen Tochter O-Ei – sie wird hier als genauso starsinnig wie er portraitiert – in einer zugemüllten Atelierwohnung. Sie assistiert ihm, übernimmt teils seine Aufträge, sorgt sich um ihre kleine todkranke Schwester und hat auch gelegentlich Liebeskummer. Um erotische Zeichnungen realitätsnah darzustellen, versucht sie vergeblich entsprechende Erfahrungen zu sammeln…

Die zu Recht preisgekrönte Animation von Keiichi Hara entführt in eine – wäre nicht hier und da eine recht moderne Musikuntermalung – in jeder Hinsicht weit entfernt wirkende Welt von Händlern, Fischern, Samurais, Prostituierten, Bauern, Adeligen und Künstlern. Sie zitiert viele bekannte japanischen Werke, natürlich auch von Hokusai wie zum Beispiel „Die große Welle von Kanagawa“.



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