Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Die Lücke, die bleibt

Mitte der 1980er löste er mit “Teufel im Leib” einen veritablen Skandal aus, weil er Maruschka Detmers in einem “regulären” Kinofilm in Großaufnahme einen echten Blowjob starten ließ; in den 90ern schied er die Geister, weil man in “Die Verurteilung” hineininterpretieren konnte, dass zumindest manche Frauen Spaß an einer Vergewaltigung haben könnten, nun in “Träum was Schönes” kehrt der inzwischen über 77-jährige Marco Bellocchio zurück zu seinen Anfängen: mit einem inhaltlich recht klassisch gestrickten Familiendrama.

Denn begonnen hatte die Karriere des italienischen Regisseurs und Drehbuchautors „Mit der Faust in der Tasche“, einer Geschichte über eine dem inneren Verfall ausgesetzte Mittelschichtfamilie. In dem Streifen der nun in Deutschland startet, wirken die ersten Bilder, als ob in der Familie des zu Beginn siebenjährigen Massimo alles wunderbar ist. Doch keine zehn Filmminuten später ist er Vollwaise. Die Geschichte hat inzwischen einen Sprung rund dreißig Jahre nach vorne gemacht – begonnen hat es mit einem Twist in einer italienischen Küche in den Sechziger Jahren, den Mutter und Sohn voller Leichtig- und Fröhlichkeit tanzen.

Ein paar Tage später wird Massimos Mutter, die in anderen kurzen Sequenzen zu Beginn von “Träum was Schönes” auch als mitunter apathisch gezeichnet wird, nachts in das Zimmer ihres Sohnes gehen und die drei Worte aus dem Filmtitel flüstern. Der Sohn hört es nicht, wird wenig später unsanft vom Lärm von Polizisten im Elternhaus geweckt. Verwandte sind da auch bereits in der Wohnung und halten den Jungen zurück, erzählen ihm anfangs es gehe ihr nicht gut. Doch dann folgt auch recht bald die Beerdigung – für den Jungen in jeder Hinsicht unwirkliches Ereignis. Jahre lang wird er in der Folge etwa Mitschülern erzählen, dass seine Mutter nur in einer anderen Stadt lebe, er sie aber Weihnachten spätestens wiedersehen werde…

Ein Mord zwischen Eheleuten scheidet aus – soviel ahnt der Zuschauer recht bald: der Vater ist durchweg anwesend, versteckt allerdings am Tag der Beisetzung seiner Frau einen Zeitungsartikel im Wohnzimmer-Regal, der gegen Ende noch mal eine Rolle spielen wird. Bis dahin macht der Film diverse zeitliche Sprünge, eben etwa zu jener Szene, die wir bereits andeuteten. Massimo (als Erwachsener von Valerio Mastandre verkörpert, durchweg glaubwürdig und mit guten Nuancen) sitzt dann allein im Elternhaus, er löst es auf, es wird verkauft, vieles wird vermüllt. Der Vater ist offenbar unlängst verstorben. In späteren Rückblenden wird klar, dass sich der erwachsene Massimo und er nicht allzuoft sehen, beide aber die Erinerung an die weibliche Hauptfigur immer omnipräsent haben. Wie seine Mutter verblich erfährt er, der inzwischen Journalist geworden ist, auf diesem Weg nicht. Auch nicht von seinem Arbeitgeber, der offenbar im Bilde ist und Massimo eines Tages mit der Antwort auf einen ganz speziellen Leserbrief betraut, von der gefühlt halb Turin reden wird.

Das Melodram streift ansonsten neben dem Sujet Familie zuvörderst die Themenfelder Kirche und im Ansatz gar das der Psychiatrie – als Erwachsener, von Panikattacken verunsichert, wendet sich der am Rande als bindungsunfähig skizzierte Protagonist an eine Ärztin – bis hin zu Kriegsreportagen, bei denen Massimos Kollege mit der Fotokamera schon mal künstlich für etwas mehr Dramatik sorgt. Auch eine umfangreiche Reminiszenz an die heute kaum noch bekannte Horrorserie “Belphégor oder das Geheimnis des Louvre” und Erinnerungen an ein eine Fußballmannschaft auslöschendes Flugzeugunglück aus dem Jahr 1949 (!) finden in der mehr als zweistündigen, mitunter deutlich zu langatmig erzählten Geschichte Platz. Viele kleine “Nebenbei”-Szenen und eine überdurchschnittliche Kameraleistung trösten letztlich leider nicht hinweg, dass es sich hier um einen zutiefst betulich geratenen Film handelt, der am Jahresende in einem Ranking der neunundneunzig wichtigsten Kinoproduktionen 2017 nicht mal auf einen der letzten Plätze spekulieren sollte.



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