Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Weibliche Christen, die im Namen Jesu Frauen verprügeln

Laut Legende versteinerte Medusas Anblick jeden, der ihr ins Gesicht blickte. In einem gleichnamigen Film aus Brasilien scheint dieses Monstrum eher das Gegenteil zu bewirken. „Medusa“ von Anita Rocha da Silveira versetzt seine Zuschauer in einen totalitären, von fundamentalen Christen regierten Staat, der Selbstjustiz toleriert, wenn nicht sogar fördert. Ein Missstand, der im realen Leben auch weiter zu eskalieren droht obgleich Bolsonaro abgewählt wurde.

Immer wieder erzählen sich die jungen Frauen, die bei ihren Messen im Chor Jesus preisen, die Geschichte der jungen Sünderin Melissa. Die Tänzerin sei hurend und saufend durch die Straßen der Stadt gezogen, bis eine Frau sie mit Benzin übergossen und angezündet habe. Melissa habe überlebt und jetzt friste sie mit deformiertem Gesicht, “aber von Grund auf gereinigt”, in irgendeiner Anstalt ihr Dasein. Mariana und ihre Freundinnen nehmen diese urbane Legende zum Anlass, nachts, ihre Gesichter mit Masken bedeckt, so genannten Sünderinnen aufzulauern und sie sich mittels unverhohlener Gewaltandrohung und notfalls auch mehr als verbalem Druck zu Jesus bekennen zu lassen.

In dieser dystopischen Zukunft gibt es kein säkulares Brasilien mehr. Die Kirche hat die Macht übernommen. Mit Gottes Segen trainieren auch junge Männer tagtäglich ihre Körper und Reaktionsfähigkeit – sie bilden eine Schlägertruppe. (Im realen Brasilien  gibt es Milizen, die sich die „Armee Gottes“ nennen.) Gleichzeitig achten die gewaltbereiten Mädels wenn sie nicht gerade patrouillieren, also bei Tag penibelst auf ihr Äußeres – Instagram und Co. werden hier auch vortrefflich vorgeführt. In dieser Gemengelage ist die Protagonistin  besessen davon, die erwähnte Melissa zu finden. Als sie jedoch selbst wegen einer Narbe, die sie sich bei einer nächtlichen Nachstellaktion von einem ihrer Opfer geholt hat, bei ihrer Arbeit in einer Schönheitsklinik gekündigt wird, landet sie in einem Pflegeheim “für unheilbar Kranke”, worunter auch viele Opfer des neuen, gewalttätigen Systems sind. Während einer ihrer Schichten ist sich Mariana sicher, die verunstaltete Melissa entdeckt zu haben – in jedem Fall sorgt ein ohrenbetäubender Schrei dafür, sie aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken.

Gute zwei Stunden dauert der Spielfilm „Medusa“ von Anita Rocha da Silveira (für ihren Erstling „Kill me, please“ wurde sie 2015 beim Rio de Janeiro International Film Festival unter andrem für die beste Regie ausgezeichnet), die als eine der wichtigsten Stimmen des Neuen Brasilianischen Kinos gilt. In ihrem neuen Streifen malt sie mit schlichtweg starken Bildern die Situation der Frau in einer totalitär-patriarchalischen Gesellschaft. Horror-Elemente, teils groteske Überspitzung, Gewalt, Fanatismus und religiöser Wahnsinn – „Medusa“ bietet nicht nur subtile Gesellschaftskritik auf mehreren Ebenen. Zeitgleich ist es ein Film über das Erwachen, über die Liebe und die Sinnlichkeit des Körpers.

Oder wie Alexandra Seitz auf der Seite vom viennale-Festival treffend schreibt: “Am Gruseligsten aber ist, dass MEDUSA keine hanebüchene Science-Fiction-Story fabuliert, sondern eigentlich nur ein wenig an der Satire-Schraube dreht. Aufs Korn genommen werden die Evangelikalen und die Anti-Feministen, die „Schönheits“terroristinnen und die Ultra-Konservativen. Ein Rundumschlag, pendelnd zwischen Groteske und Horror, voll auf die Zwölf des internalisierten Machismo.”

 

 

 

 



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