Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Eine Nachwuchs-Gangsterin in Deutschland, zwei Außenseiter in China

Mit „Lucy ist jetzt Gangster“ kommt am 02. März ein Kinderfilm ins Kino, in dem das titelgebende Mädchen ihre Familie vor dem finanziellen Ruin retten möchte. Das gesellschaftskritische Drama „Return to Dust“ entführt die Zuschauer ab dem selben Starttag derweil nach Nordwestchina, wo zwei ältere Menschen eine Ehe schließen müssen.

Die zehnjährige Lucy wächst quasi in der Eisdiele ihrer Eltern auf. Wenn sie nicht gerade mal bei Freunden ist,  verbringt sie die allermeiste Zeit an diesem – im Vergleich zu sonstigen Möglichkeiten in ihrem kleinen idyllischen Heimatkaff Werlach-Bimsheim- “Hot-Spot”. Tagtäglich direkt nach Schulschluss ist sie hier anzutreffen, arbeitet hinter der Theke des “Felicità”-Cafes mit, kennt anscheinend den Eisgeschmack aller Kunden – teils besser als ihre Eltern das immer einzuordnen wüssten. Das Mädchen ist nicht nur fleißig, sondern ausgesprochen aufrichtig und immer höflich. Ihrer Überzeugung nach gibt es zu jedem Problem eine passende Eiscremesorte, auf dass jeder im Dorf glücklich bis zum Ende seiner Tage lebt. Passt ja auch zum Namen der Gelateria. Doch dann gibt es aufgrund einer gravierenden Unachtsamkeit ein Malheur: Die Eismaschine geht unreparierbar kaputt – damit ist nicht nur die Existenzgrundlage ihrer Eltern von der einen auf die andere Sekunde elementar bedroht, sondern im gesamten Örtchen scheint jedwedes Glücksgefühl zu verschwinden. Die Bank gibt kein Darlehen, und so muss sich die kleine Musterschülerin eingestehen, dass man manchmal böse sein muss, um Gutes zu tun.  Und so plant sie ziemlich ernsthaft als Gangster die Bank auszurauben. Ausgerechnet den Klassenrowdy Tristan erwählt sie in der Folge als Komplizen, schließlich muss sie das Klauen, Lügen ebenso wie Betrug und Erpressung ja von Grund auf erlernen. Und das in nur ganz wenigen Tagen. Im Gegenzug gibt sie ihrem neuen Kumpel übrigens Nachhilfe in Mathe…

Die Zwillinge Valerie und Violetta Arnemann spielen in “Lucy ist jetzt Gangster” das brave und das Möchtegern-Gangster Mädchen. Brooklyn Liebig ist dabei ihr Filmpartner. Das junge Team zusammen mit Lisa Marie Trense als Lucys beste Freundin Rima macht ihren Job an der Seite ihrer Filmeltern (Kostja Ullman und Franziska Wulf als Eisdielenbetreiber) ziemlich ordentlich. Regisseur Till Endemann und sein Ko-Autor Andreas Cordes haben einen Kinderfilm geschaffen, in dem es nicht nur um das lustige Scheitern beim zum-Gangster-Werden, sondern auch um die schier seit Urzeiten ungeklärten Fragen von Gut und Böse geht: Macht es überhaupt Sinn gut zu sein oder kann man sich in der Welt durschlagen und gleichzeitig ein moralisch reines Gewissen haben. Ein kleiner Film, der für einen kurzweiligen Familienausflug taugt, wenn man gewillt ist, über einige Stereotype (der Onkel von Lucy als halber Mafiosi ist da nur die Spitze des – räusper – Eis(!)bergs.) hinwegzusehen. Belohnt wird man dafür dann unter anderem mit einer märchenhaft, bewusst bonbonfarben gehaltenen Kulisse und einigen kleinen überraschenden Wendungen.

„Return to Dust“ 

„Return to Dust“ war vor einem Jahr bei der Berlinale im Rennen um den Goldenen Bären. Die über zweistündige Parabel aus China ging dabei leider nicht nur leer aus, sondern erlebte einige Monaten nach Start in seiner Heimat, nachdem zuvor bereits herumgeschnippelt werden musste, Verbot und Verbannung aus Kinos und Streamingplattformen. Mutmaßlich weil  die reale, extreme Armut in manchen Teilen des Landes zu schonungslos gezeigt wird. Die de-facto-Zensur erfolgte übrigens nachdem dieser Sozialrealismus auch im Reich der Mitte in wenigen Monaten über 100 Millionen Renminbi eingenommen habe – umgerechnet fast 15 Millionen Euro.

Dabei erzählt Regisseur Li Ruijun eigentlich formal recht unaufgeregt über zwei nicht mehr junge Menschen, die quasi zwangsverheiratet werden und ihre Zukunft neu gestalten müssen: Der Bauer Ma ist der vierte Sohn in seiner Familie. Dass er im fortgeschrittenen Alter immer noch unverheiratet ist, gilt der Verwandtschaft als Makel. Guiying ist ebenfalls eine Außenseiterin: auch sie ist schon älter,  ebenfalls unverheiratet, mit Inkontinenz gestraft und zu allem Übel unfähig, Kinder zu bekommen. Unter diesen Vorzeichen werden die Beiden miteinander verkuppelt: in ihrem Beisein wird wiederholt über sie gesprochen, als wären sie gar nicht anwesend. Als dann frisch gebackenes Ehepartner sind sie sich auch reichlich fremd. Es dauert eine Weile, bis ein zartes Band zwischen den Beiden entsteht, welches mit der Zeit aber richtig stark und die aufkeimende Zärtlichkeit von außen wunderbar rührend anzusehen sein wird.

Unausgesprochen ist Ma und Guiying klar: Sie haben fortan nur sich selbst beziehungsweise die Hoffnung, dass ihr schier unerschütterliches Vertrauen in die Natur und ihre Freude über die Selbe (“Der Regen bringt die Dachziegel zum Singen.”) gerechtfertigt ist. Auch die Umstände der sich langsam modernisierenden chinesischen Gesellschaft scheinen sich nachdrücklich gegen sie zu richten; um zu überleben, müssen sie für sich und ihren fleißigen Esel eine vernünftige Bleibe schaffen (und dafür u.a. in aufwändiger körperlicher Arbeit, die das Wetter teilweisegleich wieder zu Nichte macht, Lehm stampfen) und Weizen anbauen. Außerdem muss er regelmäßig einem kranken, aber sehr wohlhabenden Mann sein Blut spenden – nur so kann er die Pacht abbezahlen. Aber auch ohne diese durchaus nicht nur im sprichwörtlichen Sinne auslaugende Geldquelle: immer wieder stört irgendjemand oder irgendetwas gravierend ihre kleine Welt…

Ohne jeglichen Kitsch zeigt dieses fast schon dokumentarische Authentizität versprühende Drama den Alltag zweier Menschen, die selbst nicht immer friedlich miteinander umgehen: ab und zu zanken sie auch, um sich dann wieder zu versöhnen. Es gibt kleine Gesten, die das Herz erwärmen oder auch zu Tränen rühren. Und irgendwann passiert ein Unglück. Wer sich auf die zuweilen schonungslose Erzählweise von Li Ruijun einlässt, wird eine zarte, zeitgleich aber auch eine sehr raue Liebesgeschichte erleben, die neben vielen auch eins zeigt: dass für privates Glück im Grunde gar nicht viel vonnöten wäre.

 

 

 



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