Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Zischen an der Oberfläche

Das Plakat, der Hinweis, dass unter anderem Julien Assange ausgiebig zu Wort kommen würde und last but not least die offizielle Ansage des Verleihers, die da versprach, dass Tarquin Ramsay, der seine Arbeit am “Projekt zum Thema Meinungsfreiheit” im Alter von 15 Jahren begonnen und sich fünf (!) Jahre Zeit genommen habe, eine Menge “zum aktuellen Status der Meinungsfreiheit und ihrer Bedrohung in verschiedenen westlichen Ländern” erzählen wolle, hatten uns nicht nur neugierig, sondern regelrecht hoffnungsfroh gestimmt, dass mit “Free Speech Fear Free” vielleicht eine regelrechte Doku-Perle den Weg ins Kino (D-Start: 01.06.) schaffen würde.

Um nicht drumherum zu reden: das Gegenteil ist der Fall! Und da hilft es auch Nichts, dass man sich bewusst sein muss, dass hier (zumindest offiziell) weder ein ausgebildeter Dokumentarfilmer noch beispielsweise ein Sozialwissenschaftler, sondern vielmehr ein Jugendlicher verantwortlich zeichnet. Der Film krankt gleichwohl keineswegs daran, dass Ramsay in jungen Jahren und unverkennbar naiv startete, zunächst Mitschüler und Lehrer zu ihrer Haltung zur Meinungsfreiheit respektive zunächst gar nur nach einer Begriffsdefinition befragte. Gerade, wenn es sich wie hier um eine vorgebliche Langzeitarbeit handelt, können ein paar Seiten- bzw. Rückblicke auf die Anfänge, auf das wie sich jemand einem komplexen Thema näherte, theoretisch ohnedies nicht schaden. Das Problem von “Free Speech Fear Free” ist vielmehr, dass sich im Grunde dann aber auch innerhalb der folgenden knapp 80 Minuten nie etwas wirklich nähert, geschweige denn den Kern der Problematik auch nur ansatzweise ernsthaft anfasst. Schon gleich zu Beginn, und auch danach in unschöner Regelmäßigkeit, macht der britische Streifen durch Auswahl und Platzierung von O-Tönen von vornehmlich in Berlin (sic!) herumwuselnder “Aktivisten” und “Experten” und insbesondere des vermeintlichen Whistleblowers John Kiriakou zu allem Übel auch noch deutlich, dass er denkt, dass einige diffuse Ängste von Menschen per se Hirngespinste sind und es, beispielsweise ja weil es so viele Leute gäbe, die heutztage wieder den Holocaust leugnen, es durchaus schon ein zweischneidiges Schwert mit der totalen Redefreiheit ist.

Kiriakou übrigens, der den Film sozusagen eröffnet, gilt – was ausnahmslos zu begrüßen wäre – vielen als ausgesporchener Gegner von CIA-Folterprogrammen, hatte aber in Wahrheit zu dem Fall Abu Subaida, über den er mehr oder minder berühmt wurde, dereinst nicht nur offenbar falsche – was die Verbrechen der USA angeht verharmlosende – Angaben gemacht, sondern perfiderweise explizit erklärt, dass das Waterboarding gegen den des “islamistischen Terrorismus” verdächtigten Palästinensers “notwendig gewesen” wäre und “Resultate gebracht” hätte. Punkte, die in der Doku mit keiner Silbe erwähnt werden.

Fast die einzigen rumdum guten Szenen im Film bilden ein paar hier und da eingestreute Interviewfetzen mit Julien Assange, der immerhin unter anderem daran erinenrn darf, dass es nominell schön und gut ist, wenn in unseren vorgeblichen Demokratien auf dem Papier das Recht auf freie Rede herrsche – doch solange “man” über keine ausreichenden Möglichkeiten verfügt, auch auf breiterer Ebene wahrgenommen zu werden, ist das – wie wahr! – nicht mal die halbe Miete. Der Irrglaube, dass “dank” Facebook und Twitter heute ja jedem diese Tür offen stünde; die Tatsache, dass gerade die Algo-, Logo- oder Business-rithmen der unsozialen Netzwerke auch lange vor den Gesetzesplänen des Herrn Maas nicht nur Nutzungsprofile verhökern – das wenigstens kommt im Film vor – sondern auf Schritt und Tritt zensieren, Nachrichtenströme manipulieren, wird indes kaum angetastet.

Nicht einmal die praktischen Auswirkungen von der “Schere im Kopf”, die bei immer mehr Menschen in den vergangenen Jahren zum Tragen kommt, werden ernsthaft beleuchtet. Erst recht: Wirkliche Beispiele von Belang für die längst nicht mehr “nur” drohende und auch längst nicht mehr “nur” schleichende Gängelung und Verfolgung von Leuten, die beispielsweise, als sie in Frankfurt gegen die EZB demonstrierten, (durchsichtige) Schutzmasken trugen, um nicht Opfer von Polizeieinsätzen mit Pfefferspray zu werden, sich in Deutschland allein schon deswegen vor Gericht wiederfanden und auch nur einige der zigtausenden noch weitaus besorgniserregenderen Fälle im Bereich Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Beschneidung der Redefreiheit, Polizeigewalt gegen Bevölkerungen und Überwachung “in verschiedenen westlichen Ländern” – und um die (siehe obiges Presseinfo-Zitat) sollte es erklärtermaßen ja (ausschließlich) gehen – behandelt die Doku letztlich gar nicht! Dafür bringt der Streifen vergleichsweise viel Zeit und vor allem eine Menge Herzblut auf, wenn es um “Zustände” in Weißrussland geht.

Anders eben als zu staatlicher Überwachung und Aushebelung der Meinungsäußerungsfreiheit in unter anderem Großbritannien, wird an jenen Stellen des Films nicht mehr nur theoretisiert, nicht nur ein wenig hier und da über Auswüchse (ohnedies nie Generelles) von nach 9/11 eben doch irgendwie leider nötig gewordenen “Sicherheitsgesetzen” kritisiert oder vage vor zukünftig (!) vielleicht (!) Drohendem gewarnt, sondern eindringlich mit unmittelbar Betroffenen – namentlich Vertretern einer Theatergruppe – gesprochen und ausgiebig erläutert, wie diese Menschen zu leiden hätten. Kronzeuge, dass im bösen Lukaschenko-Staat bereits heute alles unsagbar schlimmer ist, als es bei uns wohl je werden könnte: der Schauspieler Jude Law. Ob und wie er recherchiert hat, wie der Künstler zu Überwachung und Gängelung im anglo-amerikanischen Raum steht, erfährt der Zuschauer der Kinoproduktion nicht.

Traurig aber wahr. Der Part mit Weißrussland ist letztlich nicht mal der Schlimmste: Eine gewisse Diani Barreto, von der so genannten “Courage Foundation”, die dem Vernehmen nach Whistleblower unterstützen will, und ihre bei den Dreharbeiten 11-jährige Tochter, kann man gefühlt den halben Film lang erleben, wie sie zum nominellen Thema des Films oberflächlichste Allgemeinplätzchen abspulen und ansonsten auf dem zu Recht als abschreckendes Zeitzeugnis geltenden Berliner Teufelsberg mit den sattsam bekannten Relikten der einstigen Luftüberwachungs- und Abhörstation der US-amerikanischen Streitkräfte umherwandern oder – der Tiefpunkt der Belanglosigkeiten – das “Monsterkabinett“, eine Art modernes Museum mit scheppernden und zischenden Blech-Robotern, besuchen.



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