Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Liebe im Schwebezustand

Eine alte Seilbahn, zwei Gondeln mit jeweils einer Schaffnerin, ein Macho-Chef und alles ohne Worte: In seinem neuen Film “Gondola” greift Veit Helmer einige seiner nicht nur durch “Tuvalu” erworbenen Markenzeichen auf und bietet somit einmal mehr Kino, das universell auf der ganzen Welt verstanden wird. Und nebenbei, betont unaufdringlich, eine Menge an gesellschaftlich-sozialen Themen verhandelt.    

Iva (Mathilde Irrmann) kehrt nach offenkundig ziemlich langer Abwesenheit in ihr inmitten einer malerischen Berglandschaft gelegenes Heimatdorf zurück. Der Grund dafür ist der Tod des Vaters. Die Reaktionen der Dorfbewohner beim Wiedersehen gleichen einem Spießrutenlauf: sie sind  eindeutig sauer auf Iva, zeigen ihr die kalte Schulter oder noch deutlichere Ablehnung. Das schüchtert die junge Frau aber überhaupt nicht ein: vielmehr will sie sogar in die Fußstapfen ihres Vaters treten, bewirbt sich für den durch dessen Tod frei gewordenen Job als Schaffner(in) bei der alten Seilbahn. Diese hat zwei Gondeln, die abwechselnd – nicht nur menschliche, und nicht nur lebende – Passagiere zwischen besagtem Bergdorf und einem was die Luftlinie betrifft recht nahgelegenen kleinen Städtchen hin und her befördern.

Der Leiter der Station gibt Iva denn auch tatsächlich den Job, auch weil ihr die Dienstjacke des Vaters passt, und somit kein Geld ausgegeben werden muss. Direkt zum Dienstantritt lernt die junge Frau ihre etwa gleichaltrige Kollegin Nino (Nino Soselia) kennen. Letztere ist hier schon länger dabei, träumt aber davon den Absprung in ein wirtschaftlich besseres und spannenderes Leben zu schaffen – konkret möchte sie Stewardess werden. Die Beiden finden rasch Gefallen aneinander. Wenn ihre Gondeln sich in der Luft kreuzen, tauschen sie zunächst nur ihre Blicke, dann wird an einer der zwei Haltestationen zeitversetzt Schach gespielt; doch schon wenig später werden  schließlich unter anderem Wasserschlachten veranstaltet und die Gondeln immer einfallsreicher geschmückt. Selbst als sie sich bei einer längeren Zweisamkeit in der spärlichen Freizeit in die Haare bekommen haben hat ihre Fantasie am Arbeitsplatz Flügel. Aber da ist noch das Problem mit dem ohnedies permanent ätzenden Chef (Zviad Papuashvili), der auch schon mal Behinderte derbe herumschubst, um es höflich zu formulieren:. Der versucht nämlich bei beiden Frauen “zu landen”, holt sich aber jeweils eine klare Abfuhr ein und das macht ihn wirklich gefährlich rachsüchtig…

Der inzwischen 55jährige Regisseur Veit Helmer hat seine ohnedies unverkennbare Handschrift, die er seit seinem Erstling „Tuvalu“ (1999) unter anderem später mit „Absurdistan“ (2008) und „Vom Lokführer, der die Liebe suchte…“ (2018) immer weiter entwickelt hat, nunmehr wirklich – im positivsten Wortsinne – auf die Spitze getrieben. Verträumt, poetisch, aus der Zeit gefallen war ja auch – obwohl dort eine Menge gesprochen (und sogar gesungen) wurde – sein wunderbarer Kinderfilm “Quatsch und die Nasenbärbande”: aber hier nun ist alles noch universeller als bisher erzählt. Im Grunde scheint es unwichtig, wo seine Geschichten spielen, wichtiger, dass letztlich alles zutiefst menschlich, humorvoll und melancholisch zugleich erscheint. “Gondola” ist dabei eine deutsch-georgische Produktion, das kleine Kaukasus-Land war schließlich auch der Drehort, auch viele Menschen vor und hinter der Kamera sind georgisch-stämmig. Das bekommt man als Zuschauer mit, wenn man die hier und da aufblitzenden tatsächlich einzigartigen Schriftzeichen (er)kennt oder selbst mal in diesem vor allem auch für Wein-, Kirchen- und Landschaftsliebhaber interessanten Land gewesen ist. Aber es ist wirklich nicht wichtig – denn vielmehr steht trotz zwei, drei kleiner, zuckersüßer und teils schwarzhumoriger Nebenplots die Geschichte der beiden Frauen im Mittelpunkt (wir erwähnen es der Vollständigkeit halber trotzdem ;-), Iva wird von einer Französin und Nino – Kosename Nini – von einer Georgierin verkörpert). Es ist ein purer Kinogenuss die Hauptdarstellerinnen zu erleben die mit kleiner Mimik und teils originellster Körpersprache aber tatsächlich ohne ein einziges Wort die ganze Bandbreite an Emotionen erzählen, ohne klischeehaft stummfilmartig zu erscheinen.

Helmer, der bei diesem Projekt u.a. von Kameramann Goga Devdariani sowie Malcolm Arison und Sóley Stefánsdóttir – sie zeichnen für den wunderbaren Score verantwortlich – kongenial unterstützt wurde, wollte nach eigenem Bekunden einen Film machen, den man nirgendwo auf der Welt übersetzten muss. Und das ist ihm auf’s Vortrefflichste  gelungen. Bei diesem Werk kann man es sich wirklich nicht erlauben, auch nur ganz kurz die Augen zuzumachen. Denn in nahezu jeder 10-sekündigen Frame-Reihung steckt eine kleine Geschichte für sich…

Zufälligerweise^^ ist die Autorin der Zeilen, die Sie hier gerade gelesen haben, selbst Georgierin. Noch dazu eine, die viel über die ihrerseits nicht nur in halb Osteuropa oder Frankreich seit vielen Jahrzehnten “hochgelobte” und für besonders originär eingestufte Filmmachart ihres Heimatlandes (u.a. Otar Iosseliani, Tengis Abuladse, Nana Dschordschadse, Eldar Schengelaia – oder zeitgemäßer Dito Tsintsadze) gearbeitet hat, und so auch kleine Details und Accessoires wie zum Beispiel Ivas Koffer oder Unübersehbares wie Szenen mit einem Sarg oder einer Kuh in einer Gondel anders assoziieren wird, als Menschen, die wenig Filmkunst aus dieser Region kennen. Der unterschwellige Humor, das Poetische und das Märchenhafte, was als typische cineastische Handschriften Georgiens gelten und jeder Kinogänger auf seine Art wahrnehmen wird jedenfalls hat Helmer betont liebevoll adaptiert. Umso mehr war ich zutiefst vor den Kopf gestoßen, wie ein “Kritiker”-Kollege völligen S******sinn zusammen schwurbeln kann. In aller Deutlichkeit: ob jemandem der Film  sehr oder absolut gefällt, nur okay oder so lala einstuft oder auch komplett uninteressant findet: jeder hat seine Meinung. Aber hier geht es nicht um Meinung. Beim Urteil der “Rezension” eines gewissen Michael Meyns bei “filmstarts.de”, der ansonsten u.a. für taz oder Frankfurter Rundschau unterwegs ist, outet sich das ohnedies viel zu verbreitete Pseudowoke als purste kulturelle Engstirnigkeit! Mancher würde sein Geschreibsel gar als rassistisch werten. O-Ton: „Auch in „Gondola“ versucht Veit Helmer eine magische, poetische Liebesgeschichte zu erzählen, die er diesmal sogar ohne Worte inszeniert. Doch gerade diese Sprachlosigkeit macht die fragwürdige Weise umso sichtbarer, mit der er fremde Kulturen und Menschen für seine Zwecke benutzt – ein kolonialer Blick, der im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr akzeptabel erscheint.“ Was Meyns wohl vermisst, ist die gesprochene Sprache, er hätte georgisch wohl so gern gehört; vermisst explizit “Handys oder Fernseher”, stört sich ernsthaftd aran ältere Autos zu sehen – tja es ist aber halt kein Film, der in der anderthalb Millionen großen, anders als der Großteil der anderen georgischen Landstriche, pulsierenden Metropole Tbilisi spielt: Ob es der Kerle wahr haben will oder nicht, somit istd as Leben auch im realen Schauplatz der Geschichte eben nicht “angeblich” sondern tatsächlich “einfacher und unberührter ist als in den Städten, in der (Anm. kulturkueche.de: so genannten) Moderne, im (Anm. kulturkueche.de: so genannten) Westen.”

Und so muss der arme Michael der anscheinend seine tagtägliche Portion öffentlich-rechtlicher “Talkshows” braucht, mit seiner Meinung nach “sprachberaubten” Menschen vorlieb nehmen, die in einer ganz besonderen Sequenz in ihren Gärten zu einer nächtlichen Gondelfahrt von Iva und Nino auf diverse Gegenstände klopfen und  ihnen so im märchenhaften Zusammenspiel, mittels eines kleinen Konzerts letztlich ihre Ehre bekunden: „Alles in „Gondola“ wirkt steckengeblieben in einer zeitlosen, naiv und rückständig wirkenden Ära.“ Meyns hat seine Hausaufgaben nicht gemacht: denn das vermeintlich technisch Rückständige ist zumindest in ländlichen Gegenden schlicht und ergreifend auch 2024 noch immer punktuell Alltag! Und inhaltlich ist Meyns völlig auf dem Holzweg: speziell dieses queere Liebesdrama, welches ohne wenn und aber als mainstreamfilm funktioniert, kann gerade in Georgien provokanter und politischer nicht sein. In einem Land, wo Homosexualität noch immer in Köpfen vieler Menschen als Krankheit angesehen wird und wo Schwule und Lesben ihre sexuelle Identität wenn nicht mit ihrem Leben so definitiv häufig mit ihrer Gesundheit oder totaler Ausgrenzung bezahlen. Die so genannte patriotische Bewegung wird bevorzugt von der – in diesem Kontext wäre die Vokabel rückständig angebracht – georgischen Kirche angeführt. Aber so etwas weiß ein Typ wie dieser “Journalist” mutmaßlich nicht oder will es nicht sehen: sein Berufsstand oder mancher Pauschaltourist glaubt schließlich allzu oft, etwas in 5 Minuten beurteilen zu können. Mit wirklichen Menschen vor Ort ernsthaft und ergebnis- wie weltoffen sprechen, wäre der Schlüssel. Regisseur Helmer hat das offenkundig – und eben wohl anders als so mancher Journalist – getan: denn er beweist mit Gondola trotz der erklärten Universalität, dass er in die Seele Georgiens ziemlich tief eingetaucht ist. 



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