Mosambik, Südsudan, Großbritannien, Katalonien oder Bayern – diverse Geschichten und Hintergründe, verschiedene Akteure und Interessen, aber stets das gleiche Ziel: Unabhängigkeit. Der Dokumentarfilm „Independence“ (Kinostart: 14.03.2023) von Felix Meyer-Christian zeigt eine Mischung aus persönlichen und politischen Themen sowie einer Theaterperformance.
Die private Lebensgeschichte der Schauspielerin Helen Wendt bildet in Felix Meyer-Christians Dokumentarfilm zum Thema Unabhängigkeit eine Art Rahmen. Sie ist die Tochter einer ostdeutschen Tänzerin und eines mosambikanischen Studenten, der dereinst in der DDR lebte. Als sein Heimatland unabhängig wurde, rief ihn die Regierung zurück – Fabiao musste von seiner Freundin und der kleinen Tochter Abschied nehmen. Vor wenigen Jahren erst, als inzwischen selbst erwachsene Frau fährt Wendt nach Mosambik, um ihren Vater zu sehen, ihre Halbgeschwister, und das Land kennen zu lernen – kurzum sie entdecket das erste Mal in ihrem Leben ihre vernachlässigten Wurzeln. Diese Familiengeschichte über Kolonialismus und Rassismus, über die Selbstfindung von Helen war das letzte Glied zu Recherchen und Drehs in den Jahren 2019 und 2020 in Südsudan, England, in Bayern und Katalonien von Regisseur und Performer Meyer-Christian, der ansonsten eher in den Bereichen dokumentarisches Theater, Tanz sowie bildende Kunst wirkt und vielleicht manchem als Gründer der Berliner Gruppe Costa Compagnie bekannt ist. Helen Wendt gehört auch zu diesem Ensemble.
Im 20. Jahrhundert lösten sich viele Kolonien so gut es ging von ihren ehemaligen Besatzern, künstlich gebildete multinationale Staaten brachen auseinander. Es wurde viel Blut vergossen, es gab Verlierer, Gewinner und Gewinnler. Manche Befreiungsbewegungen oder Unabhängigkeitskriege gehen auch im aktuellen jungen Jahrhundert weiter. Der Südsudan etwa hat sich 2019 nach einem langen bewaffneten Kampf vom übrigen Sudan abgesetzt. Die Ziele, mit denen Südsudanäsen in den Bürgerkrieg gegangen sind, schienen im folgenden Machtgerangel unterzugehen. Im gleichen Jahr gab es auch – wenngleich dann doch immerhin weitgehend unblutig – politische Unruhen im Vereinigten Königreich, Stichwort Brexit. Der Regisseur schaut auch nach Katalonien und nach Bayern. Liebe Leser, Sie verlieren langsam den Überblick, wundern sich warum wir alles so kurz anreißen? Wir folgen hier der – außer bei den Bildern und Interviews mit und rund um Helen Wendt – eher sprunghaften, eher auf Impressionen setzenden Erzählweise der Doku. Diese ist trotzdem sehr interessant geraten, was vor allem an äußerst originären Interviews an den jeweiligen „Spielorten“ liegt – doch etwas mehr Einordnung seitens des Filmemachers wäre vielleicht gewinnbringender gewesen. Positiver Nebeneffekt, der insbesondere bei den Sequenzen aus “England” zum Tragen kommt: Es ist dem Zuschauer selbst überlassen, eine Meinung zu bilden oder auch manches Vorgefasste zu überdenken. Die Interviewten werden hier auch wenn sie der Mainstreammeinung deutscher Medien entgegenstehen, nicht dümmlich dargestellt, sondern erfreulicherweise ernst genommen, “dürfen” gar regelrecht eloquent erscheinen. Über die Probleme von migrantisch gelesenen Menschen, eben selbst jenen die vom Tag ihrer Geburt an ausschließlich Deutschland kannten, kann hier jeder etwas lernen: dazuzugehören ist oftmals gar nicht so leicht.
Der nun vom Cine Global Filmverleih ins Kino gebrachte Streifen wurde bei seiner Premiere beim 44. Max Ophüls Festival gleich mit zwei Preisen ausgezeichnet, für den Besten Dokumentarfilm und für die beste Musik. Mit „Independence“ begibt sich der Zuschauer auf eine spannende Reise. Aber der Film möchte offensichtlich mehr sein als eine reine Dokumentation: so verwebt der Regisseur umfangreich Ausschnitte aus einer Theater-Performance in die Geschichte, was das Gesamtgebilde unterm Strich leider etwas zerfahren, nicht stringent genug wirken lässt.