Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Die Verwandlung auf Rädern

Ein absolut unscheinbar wirkender Taxifahrer entdeckt in sich ungeahnte Fähigkeiten als er an drei zwielichtige Fahrgäste gerät. In „Roxy“, seinem neuen Drama mit Thrillerelementen, zeigt der georgische Regisseur Dito Tsintsadze, jedoch weit mehr, als dass jemand aus seiner recht bewusst gelebten Lethargie erwacht.

Thomas Brenner ist Taxifahrer in Karlsruhe. Ein Mann Ende Vierzig mit ostdeutscher Sozialisation, einem Nazi-Opa und einem Stasi-Vater. Er liebt strenge Ordnung, und seine fein säuberlich im Regal aufgereihte Modellautosammlung. Ach ja, und irgendwann zwischendurch gilt es die zwei sich ähnelnden Fische zu füttern. Er ist schweigsam, fällt nie auf, bleibt nicht im Gedächtnis seiner Umwelt. “Fähigkeiten”, die auf die mütterliche Erziehung zurückgehen und auf die Thomas regelrecht stolz zu sein scheint. Sein Alltag ist ohnehin recht eintönig: aufstehen, Taxi fahren, Essen, schlafen.

Das alles ändert sich auf einen Schlag, als in sein Auto drei Männer mit Kampfhund einsteigen. Sie haben slawischen Akzent, sind teilweise piekfein angezogen. Und sie haben eine Menge Bargeld dabei, lauter wie frisch aus dem Ei gepellte 500 Euro Scheine. Einen dieser Scheine drücken sie Brenner in die Hand, um eine Frau zu besänftigen, deren kleiner Hund gerade mit Roxy auf offener Straße eine sagen wir mal unschöne Begegnung hatte. Im Nachgang wird auch der Taxifahrer selbst fürstlich entlohnt und zugleich für den nächsten Tag bestellt. Es dauert nur wenige Fahrten und Brenner ist quasi zu einem Angestellten oder gar Komplizen der seltsamen Entourage geworden, der dieses und jenes – vieles nicht nur am Rande der Legalität – was mit allem, nur nicht mit der klassischen Personenbeförderung zu tun hat, erledigt. Vor allem dem mutmaßlichen Oligarchen und Kopf der Gruppe, Levan, ist Thomas anscheinend wie auf Knopfdruck stets zu Diensten. Er stellt keine Fragen, ist ein stiller aber scharfsinniger Beobachter und wirkt bis in die Haarspitzen loyal. Bis er die hübsche Frau und den kleinen Sohn von Levan kennen lernt. Zur gleichen Zeit erscheinen gleich mehrere Männer auf der Bildfläche, die offenbar aus unterschiedlichen Interessen Interesse an dem Trio haben. Der Zuschauer merkt direkt, dass da eine latent lebensgefährliche Bedrohung immer näher kommt.

Nach einer längeren Pause liefert der georgische Regisseur Dito Tsintsadze (u.a. „Lost Killers“, 2000, „Schussangst“, 2003, „Der Mann von der Botschaft“, 2006) wieder eine deutsche Produktion. „Roxy“ ist nicht nur eine ausgezeichnete Charakterstudie, ein Drama mit Thrillerelementen, sondern auf eine ganz spezielle Art, wie sie schon vor Jahrzehnten bei anderen Regisseuren aus dem kleinen Kaukasusland anzutreffen war, komödiantisch. Aber eher nebenbei, durch kleine Einfälle in Setting und Ausstattung, beiläufig flimmernde TV-Bilder und vielerlei mehr bis hin zu Sex auf dem Klo.

Wie bei fast allen seiner Filme zeichnet Tsintsadze auch hier wieder für das Drehbuch verantwortlich. In der Rolle seines Kleinbürgers am Taxisteuer brilliert der an sich schon wunderbar wandelbare Schauspieler Devid Striesow („Zeit der Kannibalen“, „Yella“, „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war“). Hier darf einer der besten lebenden Mimen in Deutschland, gar gleich innerhalb nur einer Rolle wenigstens drei fundamentale Charakteränderungen an den Tag legen. Und doch ist die Geschichte im Grunde sehr gradlinig und trotz aller Absurditäten irgendwie plausibel erzählt. Jedenfalls wächst Striesows eingangs unscheinbarer Brenner Stück für Stück, bekommt sprichwörtlich Farbe, während Levan (dargestellt vom Georgier Vakho Chachanidze – u.a. „Otar’s Death“), in nahezu dem selben Tempo seine Selbstsicherheit und Arroganz verliert, bis er irgendwann sogar sehr hilflos zusammengerollt wie ein Baby in der Wohnung des Taxifahrers auf dem Bett liegt. In weiteren Rollen sind unter anderem Ivan Shvedoff (u.a „Babylon Berlin“) als Levans Companion, und Thorsten Merten, als Ophelia in einer sehr modernen „Hamlet“-Inszenierung zu sehen, die das nun eben als Quartett auftretende Gespann deshalb besucht, weil hier ein guter Platz sei, falsche Identitäten, neue Pässe zu beschaffen.

Tsintsadze, 1957 in Tbilissi geboren, hat für sein filmisches Werk mittlerweile zig Preise bekommen, unter anderem die Goldene Muschel in San Sebastian und den Silbernen Leopard in Locarno. „Mediator“ (2008), ein Kriminaldrama, war dereinst der georgische Beitrag für den besten fremdsprachigen Film bei den Academy Awards. Für seine neue, betont schwarzhumorige Geschichte,  in der sich unter anderem Brutalität und Barockmusik abwechseln, sei er von der Idee fasziniert gewesen, wie fast zufällige Ereignisse in einem kurzen Zeitraum einen Menschen fast von Grund auf verändern beziehungsweise sehr tief schlummernde Fähigkeiten zum Vorschein bringen. Tsintsadze fühle sich den Coen-Brüdern und speziell der Machart ihrer Filme „Fargo“ und „Der Mann, der nicht da war“ nahe. Das wirkt, wenn man die rund 1 3/4 Stunden, die zwar mit betont langen Einstellungen aufwarten, aber unter’m Strich auch recht kurzweilig über die Bühne gehen, fast nach Understatement. Denn der Georgier erzählt hier in einer ganz besonders originären Weise einmal mehr, wenn auch formal nur nebenbei auch eine Menge Allgemeingültiges über einen speziell in Deutschland nicht gerade seltenen Menschenschlag.



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