Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Einsame Existenzen

Von den Kinostarts der Woche beleuchten wir den auf einen Helmut Krausser Roman fußenden Ensemblefilm “Einsamkeit und Sex und Mitleid”, der viel über die “deutsche Seele” aussagt, und mit “Kommunion” (“Komunia”) das Portrait einer polnischen Familie in prekärer Lebenslage.

Ein Filmtitel der unverkennbar mit dem Versmaß der Nationalhymne spielt und dann auch wirklich eine Menge über die Befindlichkeiten der Menschen in dieser Republik aussagt, dabei keine Sekunde tröge oder naseweis daherkommt, sondern durchweg bitterböse unterschiedlichste Charaktere zerpflückt; Oberflächlichkeiten, Falschheiten und Selbstbetrug enttarnt; über Versuche mit beispielsweise Frustkäufen, Austoben im “Crash” bzw “Anger Room” oder Familienaufstellungen mehr oder minder aberwitzig anmutende Alltags- und Beziehungsprobleme zu kompensieren erzählt… – das alles und tatsächlich noch viel mehr leistet “Einsamkeit und Sex und Mitleid”.

Das Kinodebüt vom bisher fast nur für seine Arbeiten an Tatorten, Polizeirufen oder Kluftingerkrimis bekannten Lars Montag ist wirklich eine ganz besondere Filmperle – ohne dass es inhaltliche Ähnlichkeiten gibt noch greller und konsequenter als Dietrich Brüggemanns “Heil” und schon fast so gut wie ein Ulrich Seidl-Film, auf diesen Namen kommen wir übrigens nicht nur, weil auch hier nun Maria Hofstätter mitwirkt. Das liegt zum einen daran, dass die Grundstory wie zahllose Geschichten aus der Feder von Helmut Krausser (etwa “Fette Welt”) stammt (der passionierte Backgammon-Spieler hat auch am Drehbuch mitgewirkt), zum anderen an neben der Vorgenannten durchweg fulminanten Schauspielerleistungen. Beginnend mit Jan Henrik Stahlberg, der einen offen rassistischen Polizisten mimt, der im Grunde nur ein lächerliches, aber keineswegs als bedauernswert datrgestelltes Würstchen ist (nicht nur wenn er seine von Friederike Kempter verkörperte Kollegin “umgarnt”), über einen Familienvater, der sich wie eine Bienendrohne fühlt, ein hetereosexuelles Pärchen (Lara Mandoki und Eugen Bauder), bei dem beide als Sexdienstleister mit unverrückbaren, ihre Kunden teils stark irritierenden Standarts arbeiten oder einen zu Unrecht des sexuellen Übergriffs bezichtigten Lehrer (Bernhard Schütz), der es nicht fassen kann, dass sein Lieblingssupermarkt keine “Wurstabschnitte” mehr führt, bis unter anderem hin zu einem Pubertierenden, der darunter leiden muss, dass eine Mitschülerin nichts von ihm wissen will und auch darunter, dass katholische Extremisten in einem vorgeblich säkularisierten Land mitunter noch irrsinnigen Einfluss in Schulen und Familien haben – alle Geschichten und Figuren überzeugen, auch die jeweiligen Zufallsbegegnungen, die den ganzen Film kaum noch “klassisch” episodenhaft erscheinen lassen, sind erfreulicherweise nicht allzu künstlich hingebogen. Manches ist vorhersehbar, manche Einblicke in vergleichsweise neue “Hobbys” wie “Ein-Mann-Sauna” oder den Besuch von “Silent Partys” einen Ticken zu bemüht, aber unterm Strich ist es eine sich verstörend dicht an den Abgründen der Kampfzone Deutschland entlanghangelnde Geschichte, die man unbedingt auf der großen Leinwand und nicht erst im Heimkino genießen sollte. Auch wenn dann mehr Sitznachbarn auffällt, dass man in der einen oder anderen Skizzierung eigene Abgründe erkennt. Denn “Einsamkeit und Sex und Mitleid” bietet im Grunde bis auf den kleinen Bruder eines Arabers keine einzige, rein positiv besetzte Figur. Alle zwölf (!) Hauptfiguren haben hier mehr oder minder gravierende Schattenseiten, teilweise Paranoia und verwechseln am laufenden Band Individualismus mit ätzendem Hedonismus und Egozentrismus. Zwei volle Stunden lang, die aber wie im Flug verkehren und unterem den Verdacht nahelegen, dass die, auf die “das Leben” bisher am meisten spuckte, selber ihre Krallen irgendwann ganz besonders derbe ausfahren. Und mittendrin sind Ausrufe wie “Leck-Arab”, “Kunstlesbe”, “Affen-Mutti“ oder “ungefickte Biofotze” zu vernehmen – und auch die sind nicht dazu da, plump gegen “political corectness” anzukämpfen, sondern passen in der jeweiligen Situation zur jeweiligen Situation oder zum jeweiligen Charakter, der sie im Munde führt ohne zu sehr zu karikieren.

Wohlstandselend sucht man in “Kommunion” – unserem zweiten Filmtipp der Woche hingegen verbeglich

Der Junge Nikodem bereitet sich gerade inmitten einer ­kleinen Stadt in Polen auf die Erstkommunion vor. Wie auch wenn es nur darum geht einen Gürtel richtig herum in die Schlaufen einzufädeln, bereitet ihm das sichtlich Probleme. Er ist Autist. Ola, seine “große” Schwester, die – wenn man sie nicht in ihrer Funktion als Ersatzmutter oder auch als Haushaltshilfe für den gutmütig aber regelmäßig alkoholisiert erscheinenden und ansonsten sich sprichwörtlich vor der Glotze abschaltenden Vater erlebt – ganz normale Teenagerträume hat, hilft. Aufoperungsvoll, aber auch mal mehr, mal weniger ungeduldig. Weil sie erkennt, dass der Bruder trotz seiner Behinderung teilweise ganz gezielt blockiert, Grenzen ausreizt. Die Mutter gibt es auch. Die hat das Trio aber wohl schon vor längerer Zeit verlassen und mit einem anderen Mann ein Kind. Nahezu tägliche Handytelefonate zwischen ihr und Ola lassen den Kontakt aber nicht abreißen – zur Kommunion von Nikodem hat sie gar ihr Erscheinen versprochen. Und weil Ola ahnt, dass es auch in ihrer neuen Beziehung alles andere als rund läuft, hat sie – wie sich herausstellen soll – berechtigte Hoffnungen, dass es ihre Erzeugerin nochmal mit ihrer alten Familie vesuchen könnte. Aber in der wirtschaftlich prekären Situation in der sie alle sich befinden, scheint wenig übrig, was Halt geben könnte.

Die katholische Kirche, die in Polen ja immer noch eine herausragende Rolle einnimmt, spielt in dieser Doku eher eine Nebenrolle. Regisseurin Anna Zamecka konzentriert sich voll und ganz auf die vier vorgenannten Personen. Und liefert in dieser HBO Europe-Produktion ohne jedweden Offkommentar, ohne jedwede Interviewsituation, auch dank einer fast unsichtbar wirkenden Kameraarbeit (Małgorzata Szyłak) ein zutiefst berührendes Portrait von Menschen, die tagtäglich ums Überleben und gegen das dabei-nicht-verrückt-werden (an)kämpfen. Obgleich die Überforderung Olas – das Stichwort lautet Parentifizierung – in zahllosen Situationen greifbar ist, wird auch ihr Vater nicht denunziert. Hier gibt es keine Häme, keine Schuldzuweisung – aber eine Menge alltägliche Wut, Verzweiflung, ab und zu Strenge, viel Sorge, ehrliche Zuneigung und: leider generell wenig Hoffnung. Nicht einmal darauf, trotz wohl begründeter Anträge aus der viel zu kleinen, maroden Sozialwohnung heraus zu kommen.

 



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