Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Die Verlierer des amerikanischen Traums

Sean Baker erzählt mit einem die meiste Zeit wunderbar unaufgeregt agierenden, wenn’s wirklich drauf ankommt aber sehr effektiv “ordnenden” Willem Dafoe als Hausmeister und –verwalter Bobby in Personalunion in “The Florida Project“ sehr authentisch über Armut in Amerika. Stark orientiert an der Erlebniswelt von Kindern. Und vor allem: differnziert – somit fernab aller “RTL-II”-Stereotype.

Mit “Nicht ganz nüchtern” als Untertitel wird hierzulande seit Jahren eine der bekanntesten fiktionalen Abhandlungen über Menschen am Rande der Gesellschaft beworben. Die Serie, die international nur als “Shameless” (wir denken primär an die US-Fassung, die wie so oft bei US-Erfolgen aber eben 1:1 auf Ideen aus dem Ausland beruht) bekannt ist, sollte man wohl gemeinhin dem Sub-Genre Dramedy denn den klassischen Sozialdramen zuordnen. Und so sehr dieses Format im TV dennoch zu tragen weiß, inzwischen in der achten Staffel, kommt nun ein Kinofilm daher, der das Themenfeld Armut, Obdachlosigkeit, Perspektivlosigkeit in den Staaten auf seine Art weitaus eloquenter und dennoch ohne falsche Betulichkeiten oder gar Häme vermittelt, und bei aller Ernsthaftigkeit durchaus zu unterhalten weiß.

Das Grundgerüst vom an vielen Stellen bonbonfarben gezeichneten “Florida Project“ ist rasch erzählt: Halley (Bria Vinaite), eine alleinerziehende Mutter lebt mit ihrer Tochter Moonee (Brooklynn Prince) in einem bis auf die Außenfassade ziemlich schäbigen Motel, von Tag zu Tag. Disneyworld ist gleich um die Ecke – doch für Moonee und ihre etwa gleichaltrigen Freunde schier unerreichbar. Das Stichwort lautete ja Armut! Doch die findet glücklicherweise nicht im Kopf der Kinder statt, wenngleich sie in zumindest einer Situation gewaltigst über’s Ziel hinausschießen, bei ihrem erfolgreichen Unterfangen mit wenig bis keinem Geld nicht vor der Glotze zu verblöden, sondern neugierig, trotzig und eben manchmal auch ziemlich rotzig und anstrengend zu sein. Aber durchaus ideenreich und gewitzt, so dass man ihnen auch wenn der erste Reflex etwas anderes rät, kaum böse sein kann. Weder wenn sie der Motelsiedlung – einzelne Komplexe hier heißen “Magic Castle” oder “Futureland Inn” – den kompletten Strom abdrehen, noch wenn sie das Auto einer Nachbarin von oben bis unten vollrotzen. Und erst recht nicht, wenn sie sich mit ein paar kleinen Lügengeschichten an heißen Tagen kostenlos Eis organisieren.

Moonees Mutters Schwindeleien sind teils dreister, aber der Kinozuschauer wird rasch verstehen, dass hier jemand nicht aus Habgier betrügt, sondern schlichtweg um nicht komplett zu stranden – schließlich muss Halley tagein tagaus irgendwie 38 Dollar für eine weitere Übernachtung zusammenkratzen. Sozialromantik wird in diesem Film definitiv keine versprüht. Hauen und Stechen gibt es je nach dem wer sich gerade warum um das Wohl und Wehe des eigenen Kindes sorgt auch unter langjährigen erwachsenen Freundinnen. Ihre Hoffnungen und Sehnsüchte bleiben trotzdem gleich. Doch irgendwann platzt die eine oder andere Sicherung und das Jugendamt steht auf der Matte. Dazwischen werden eher beiläufig Themen wie die Abgabe überschüssiger Lebensmittel an Bedürftige oder Elendsprostitution angeschnitten und vieles andere, was in Deutschland längst nicht mehr nur die Bertelsmann-Medien ausklammern oder verzerrt darstellen, wenn es um die geht, die an den Rand gedrängt werden oder dort bereits ihr halbes oder gar ganzes Leben verbringen.

Am stärksten ist Sean Bakers (“Tangerine LA.“) Geschichte einerseits, wenn sie die teilweise sensationell agierenden Kinder unter sich zeigt und andererseits wenn die männliche Hauptfigur der Erwachsenenwelt agiert: Hausmeister und -verwalter Bobby bringt der in dieser unwirklich erscheinenden Motelwelt versteckten Obdachlosigkeit ein schönes Maß an Respekt und weitgehend unaufgeregtes Engagement entgegen: Kleine Gesten, kurze Ansprachen, ein wacher Verstand, der Gefahren wie perverse Opas zehn Meter gegen den Wind riecht könnten auch im realen Leben im perfiden Tafel-/Hart-4-Land BRD mitunter wahre Wunder, vor allem aber würdevolles Erwachsenwerden auch für Kinder finanziell armer Familien ermöglichen. So hat man Willem Dafoe noch nie gesehen! Allein sein Spiel ist schon einen Kinobesuch wert. Das von Brooklynn “Moonee” Prince fast gleich derer zwei. Überhaupt ist das “Florida Projekt” ein Gesamtkunstwerk, das einen völlig unverstellten Blick auf die Entwicklung von Überlebensstrategien wirft.

Sehr tragikomisch – ähnlich wie die Untermalung der ersten Filmsequenzen mit dem Kool&The-Gang-Song “Celebration” oder im Weiteren die gewollte Assoziationsspur, die die Filmemacher Richtung “EPCOT” legen (Walt Disney bekundete in den 1960ern eine futuristische Planstadt erbauen zu wollen – ein Paradies, ohne Armut, Kriminalität aber vielen Konsumtempeln und vor allem bis hin zur Kleiderordnung reglementiert und natürlich nur für die, die arbeiten.) – ist es übrigens zu diesem schlichtweg herausragenden Streifen “Kritiken” oder besser gesagt Wortmeldungen de Leserschaft der seit Jahren unerträglichen “Zeit” zu “studieren”: Während wir “Franzbrötchen” noch weitgehend (also nicht voll umfänglich) beipflichten können, wenn “es” (“Brötchen”  sind sächlich, oder) meint, “Florida Projekt” wäre “so niemals in Deutschland gedreht worden. Hier ist alles viel zu verkopft und muss politisch korrekt sein, damit es den Segen (Fördermittel) der Filmbranche erhält”, wussten wir etwa bei dem Kerle der sich bedeutungsschwanger “Emil Galotti” schimpft nicht, ob wir ihn mal fragen sollten, ob er einen gänzlich anderen Film gesehen hat: “Die gute erste Hälfte war für” ihn dem Vernehmen nach “schon ziemlich” zäh, “da tatsächlich kleine Kinder ausgiebig bei ihrem Treiben im eigenen Domizil oder in der näheren Nachbarschaft gezeigt wurden”. “Belastend” empfand er “schon die Langeweile und die Ziellosigkeit, die den lieben langen Tag der Kinder bestimmt”. Dann schipft er noch über eine ‘primitive, vulgäre junge Frau’ – und wir fürchten, dass so eine Gestalt am Ende im realen Leben eine Rolle bei einem Jugendamt inne haben könnte. Ein Alptraum!



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