Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Eine innige Freundschaft in Frankreich und vulgäre Blicke nach Jekaterinburg

Neu im Kino ab 26. Januar – zwei Filme, die unterschiedlicher kaum sein könnten: das hoch emotionale Coming-of-Age-Drama „Close“ erzählt über eine innige Freundschaft zweier 13-jähriger mit tragischen Folgen und „Petrov’s Flu“ über Tage voller Delirium kurz vor Silvester im eiskalten Jekaterinburg.  

Close

Der Film des 31jährigen Lukas Dhont „Close“ wurde 2022 mit dem Großen Preis der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet. Bereits mit seinem Debütstreifen „Girl“ gewann  der belgische Regisseur 2018 die Camera d’Or für den besten Film in der Nebensektion des Festivals Un Certain Regard. Und auch diesmal ist zu attestieren: einer von vielen Preisen, den dieser unglaublich zarte und schmerzhafte Film definitiv verdient hat. Es geht um zwei Jungs, beide 13 Jahre alt und unzertrennlicher als Brüder. Auch in den jeweiligen Familien werden wenn Léo bei Rémi zu Gast ist und umgekehrt Rémi bei Léo wie ein Geschwister des eigenen Kindes betrachtet. Sie übernachten oft beim jeweils anderen, wollen für immer an der Seite des Freundes bleiben können. Und so träumt Léo beispielsweise davon, in einigen Jahren mit Rémi, den er als erfolgreichen Klarinettisten sieht, zu managen und zu einer Welttournee zu verhelfen.

Lukas Dhonts zweiter abendfüllender Film, für den er auch am Drehbuch mitarbeitete, ist eine extrem feinfühlig erscheinende Geschichte. Dass sie so glaubwürdig wirkt und den Zuschauer sehr tief in der Seele trifft, ist auch Dank der beiden jungen Hauptdarsteller, Eden Dambrine alias Léo und Gustav De Waele alias Rémi, die komplexe und sich wandelnde Charaktere authentisch präsentieren. Die Eltern eines der Jungen haben zum Lebensunterhalt riesige Blumenplantagen. Immer wieder zeigt die Kamera die prachtvollsten Farben, fängt die wunderbare Atmosphäre der anfänglich kindlichen Unbeschwertheit ein. Als ein weiterer Sommer voller Farben und Magie zu Ende geht steht der Wechsel auf eine neue weiterführende Schule an: Neue Kinder, die mit Argusaugen mustern und spitze Bemerkungen fallen lassen, was die bisher unschuldige Freundschaft zu Rechtfertigungen und Distanzierungen treibt – die innige Verbundenheit bekommt Risse, der Zuschauer ahnt sehr früh, dass sich sehr viel, sehr rasch ändern wird…

CLOSE ist von allen bundesdeutschen Neustarts des 26.01.2023 glasklar unser Film der Woche! 

Petrov’s Flu

Grau, das ist die dominante Farbe in Kirill Serebrennikovs Film „Petrov’s Flu“ („Familie Petrov hat Grippe“), der es nun zwei Jahre nach seiner Uraufführung auch in die deutschen Kinos schafft. Zwei Stunden und 25 Minuten dauert die russische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Der Regisseur ist auch hierzulande kein Unbekannter. Seine Theater- und Operninszenierungen werden aktuell in Deutschland unter anderem in Hamburg am Thalia Theater, in Berlin am Deutschen Theater sowie an der Staatsoper Stuttgart gezeigt. Seine Filme liefen bei diversen internationalen Filmfestspielen. Unter seiner Leitung etablierte sich ab 2012 das Gogol Center Moskau als Russlands führendes Avantgarde-Theater und wurde zu einem Zentrum für den internationalen Kunstaustausch. Kurz vor dem Krieg zwischen Ukraine und Russland hat Serebrennikov seine Heimat verlassen und lebt seither in Berlin. Vor dem Exil wurde er – weil seine Arbeiten als systemkritisch betrachtet wurden – dem Vernehmen nach staatlichen Repressalien ausgesetzt. Er saß vermutlich wegen fingierten Beweisen in Hausarrest, danach wurde er 2020 zu einer dreijährigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Während des Prozesses fanden auch die Dreharbeiten zu „Petrov’s Flu“ statt. 2021 musste er die Leitung des Gogol-Center abgeben.

Im Film geht es um einige Tage aus dem Leben des Automechanikers Petrov (Semyon Serzin) und seiner Familie im postsowjetischen Jekaterinburg kurz vor Silvester. Er ist ein Mann mit einem ungewöhnlichen Hobby: er zeichnet Comics im Manga Stil. Doch jetzt gerade hat Petrov Grippe mit hohem Fieber, seine Ex-Frau (Chulpan Khamatova), eine Bibliothekarin mit einem Faible für das Töten ausfällig gewordener Männer mittels Küchenmesser, und der kleine Sohn erkranken ebenfalls. Auf dem Weg nach Hause trifft Petrov verschiedene Leute, wechselt vom Bus mit merkwürdigsten Gästen und nicht minder skurriler Schaffnerin zu einem Leichenwagen, aus dem die Leiche auf merkwürdige Weise verschwindet; er säuft Wodka und hofft auf die Wirkung uralter Aspirin-Tabletten. Zuhause quengelt der Sohn, der zu einer Silvesteraufführung will. Oder ist es die Geschichte einer jungen Frau namens Marina, die in ferner Vergangenheit als Snegurotschka (Schneeflöckchen, die Begleiterin von Väterchen Frost) Petrov als Kind bei gleichem Anlass im Kreis führte? Delirium, Realität, Erinnerungen an Kindheit und Jugend von Petrov und seinen Eltern, erscheinen real und absurd zugleich. Ein recht spannender, schwarzhumoriger  und an vielen Stellen als derbe einzustufender Film, der alles nur keine Liebeserklärung an Russland ist – ein besonderes Kinovergnügen, wenn man sich auf die verworren wirkende Gesellschaftsstudie einlässt und zugesteht, dass in einem fiebrigen Kopf allerlei geschehen kann.



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