Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Von Aliens und anderen Außenseitern

Von den Kinoneustarts dieser Woche nehmen wir zwei Dokus unter die Lupe: “And-Ek Ghes” (zu deutsch “Eines Tages”) spürt den Hoffnungen und Enttäuschungen einer rumänischen Roma-Familie nach, die in Berlin Fuß fassen möchte; “The Visit – eine außerirdische Begegnung” befasst sich mit “Experten”, die im Falle eines Besuchs aus dem All dem Vernehmen nach aufgrund der Institutionen die sie vertreten, mit die Ersten auf der Erde sein könnten, die “Kontakt” haben dürften.

AND-EK-GHESDer Name Philip Scheffner dürfte selbst vielen ausgewiesenen Programmkinofreunden leider eher weniger geläufig sein. Dabei hat er vor einigen Jahren mit “Revision” eine absolut herausragende Doku vorgelegt. Da diese unweigerlich in Verbindung mit seiner neuesten Produktion zu sehen ist, zunächst eine kurze Rückblende: Ende Juni 1992 fanden Erntearbeiter zwei Männer auf einem Wintergerstenfeld bei Nadrensee (Mecklenburg-Vorpommern) – der eine tot, der andere wohl zunächst nur tödlich verwundet. Wenige Stunden zuvor waren Grigore Velcu und Eudache Calderar – so die Namen der beiden ermordeten rumänischen Roma – mit einer Gruppe anderer Flüchtlinge über die polnisch-deutsche Grenze gelangt. Vor Gericht wurden später zwei – perverserweise ohnedies nur wegen fahrlässiger Tötung – angeklagte “Jagdschützen” freigesprochen. Sie hatten angegeben die beiden Roma in den vermeintlich noch nicht ausreichend hellen Morgenstunden fälschlicherweise “für Wildschweine gehalten” zu haben. Blende. Rund zwanzig Jahre später rollte eingangs erwähnter Filmemacher Scheffner die Geschehnisse für “Revision” nochmal auf, sprach mit Bauern, Journalisten, Beamten, Staats- und Rechtsanwälten, mit Ermittlern und vor allem Hinterbliebenen und Freunden der getöteten Flüchtlinge. Kurzum: sein Film holte vieles nach, was Gericht und Staatsanwaltschaft Jahre zuvor vernachlässigt hatten. Die deutsche Justiz hatte sich seinerzeit noch nicht einmal mit jenen Menschen ernsthaft beschäftigt, die wie Calderar und Velcu in besagter Nacht im Juni 1992 nach Deutschland geflohen waren. In der Kinoproduktion aus dem Jahr 2012 kam auch Colorado Velcu ausgiebig zu Wort – ein Sohn von einem der Erschossenen. Und mit ihm gibt es nun ein Wiedersehen im Kino: in “And-Ek Ghes” erfährt man viel über Hoffnungen und Enttäuschungen, die sein Leben in den vergangenen Jahren – zwischenzeitlich war Colorado in Essen untergekommen, nun lebt er seit geraumer Zeit in Berlin – prägten. Der Film ist keinesfalls vordergründig schwermütig. Es gaht auch keine Sekunde mit Blick zurück auf die grausame Tat von Nadrensee, aber auch keineswegs nur nach dem Friede-Freude-Eierkuchen-Klischee. Zu hart ist das Leben zwischen Behördenwillkür, wirtschaftlicher Ssorgen und (sonstiger) alltäglicher Ausgrenzung für Migranten wie ihn, selbst in der nominell vielfältigsten Stadt Deutschlands und auch obwohl Colorado Velcu und Teile seiner Sippe, allen voran die Älteren seiner sieben Kinder, keine Mühen scheuen, Arbeit zu finden und sich, wie man landläufig so sagt, zu integrieren.

Der besondere Kniff in “And-Ek Ghes”: Der Protagonist wird nicht “nur” interviewt oder von einem professionellen Dokumentarfilmer hier und da mit der Kamera begleitet – nein, der Regisseur von “Revision” teilt sich die Arbeit diesemal regelrecht mit seinem Roma-Schützling aus Faţa Luncii: Colorado, sowie Verwandte und Bekannte von ihm, konnten sich für diesen Film selbst weitgehend frei inszenieren, hatten die Kamera häufig gar ohne physische Anwesenheit von Scheffner selber in der Hand, bestimmten welche Gedanken, welche Ausflüge, welche Alltagssituationen sie festgehalten wissen wollen. Und obwohl die Leinwandproduktion so zwischen den Zeilen von einer großen Melancholie, aber auch einer Menge Kampfeswille geprägt ist, passt es sehr gut, dass neben anderen Multitalent-Belegen rund um die portraitierte Familie, vor allem gegen Ende des Films hin, auch ein kleines bisschen Bollywood durch Berlin weht – dabei aber gar kein Inder weit und breit zu sehen ist.

Die offizielle Beschreibung von “And-Ek Ghes” lautet: der Film entführe “hinein in eine Welt, in der Humor, Chuzpe und Zusammenhalt gegen Armut und Ausgrenzung antreten. In der sich die Velcus entgegen aller Zuschreibungen immer wieder neu erfinden. … Eine Welt, in der Realität und Fiktion manchmal nur ein Lachen weit auseinanderliegen.” Um es abzukürzen: der Streifen übertrifft nicht nur seinen eigenen Anspruch, er ist schlichtweg ein Kleinod! Ein Wechselbad der Gefühle und trotzdem ein betont “leiser” Film, dessen eigentliches Thema weniger eine individuelle Familiengeschichte ist, denn eine universelle Erzählung, von der Schwierigkeit in Deutschland Fuß zu fassen, wenn du scheinbar irgendwie “anders” bist als der durchschnittliche Biodeutsche.

TheVisitAuch der zweite Neustart der uns diese Woche besonders beachtenswert erschien – Snowden* ist es folglich nicht – beschäftigt sich in gewisser Weise mit den Schwierigkeiten, die erkennbare “Fremde” insbesondere auch in Westeuropa tendenziell erleben. Dabei geht es hier nun konkret um gar nicht greifbare Wesen – um eine Fiktion. Denn die Menschen die, der Filmtitel verrät es – in “The Visit – eine außerirdische Begegnung” zu Wort kommen, reden nicht über Flüchtlinge oder Migranten, sondern sollten sich Gedanken machen, wie sie mit wirklichen “Aliens” sprechen würden. Die Interviewten haben alle mehr oder minder spezielle Jobs: Der dänische Filmemacher Michael Madsen, der vor Jahren mit der Anti-Atom-Story „Into Eternity“ durchaus glänzte, sprach mit ehemaligen Militärs, UNO-Diplomaten, NASA-Wissenschaftlern, Weltraumtechnikern, Sozialpsychologen, Seti-Forschern und anderen mehr. Auf der Leinwand erscheinen die so entstandenen Gesprächspassagen bunt vermengt ohne dass durch das Zerstückeln der Interviews, ohne dass durch das immer mal wieder Auf- und immer mal wieder Abtauchen von diesen und jenen Experten auch nur der Dramaturgie, geschweige denn irgendeinem wie auch immer gearteten Erkenntnisgewinn Tribut gezollt würde. Es schwingt zwar allenthalben mit, dass Madsen einen Gegenwartsbezug vor Augen hatte, am Beispiel fiktiv gelandeter Außerirdischer die gemeinhin irrationale Angst vor dem Fremden an sich abhandeln wollte. Doch gerade weil im Grunde kein einziger Normalbürger zu Wort kommt, bleibt die Frage, wie “durchschnittliche” Menschen auf Besuch aus dem All reagieren würden, unbeantwortet. Erst recht gibt es auch keine Auseinandersetzung mit der Frage, wieso sich in “unserer Welt” soviele Leute ohne je eine negative Erfahrung gemacht zu haben, so rigoros gegen beispielsweise real existierende Flüchtlinge aussprechen.

Stattdessen baut sich der Film um zwei recht unterschiedliche Pole auf: zum einen um einen Typ, der davon träumt dabei sein zu dürfen, wenn Aliens landen – und dessen eher kindlich anmutende Neugier sinnlos persifliert wird, indem ihn die Filmemacher im Raumanzug etwa durch ein kusnthistorisches Museum hüpfen oder Texte in die Kamera fabulieren lassen, die unfreiwillig komisch anmuten müssen. Zum anderen um gleich einige mehr oder minder beamtenäßige Entscheidungsträger, die ihrerseits primär wohl jene (hochgefährliche) Alienart auf dem Schirm haben, wie sie in “Mars Attacks” durchgespielt wurde – also so sprechen, als würde ein “E.T.”-Besuch zwangsläufig mit den Schreckensszenarien mindestens einer mittelschweren Naturkatastrophe einhergehen. Deren O-Töne und auch die anderen Interviewfetzen anders gewichtet, anders inszeniert könnten eine durchaus sehenswerte Parabel ergeben, über Sicherheitswahn an sich, über die Abartigkeit von Besitzstandswahrungsmodellen und – fraglos in Schubladen schlummernde – Planspiele entlarven. Doch “The Visit – eine außerirdische Begegnung” begnügt sich etwa mit Schnittbildern von militärischen Übungen, bestenfalls zwischen den Zeilen Kritik zu üben. Letztlich wirkt so vieles nur bedeutungsschwanger. Dazu nervt schon nach wenigen Filmminuten der ausufernde Einsatz extrem verlangsamter Kamerafahrten ebenso wie das Einspielen – sagen wir mal – sphärischer Klänge. Es mag nicht leicht gewesen sein etwa hochrangigere Mitarbeiter des UNO-Büros für Weltraumfragen zu bewegen, aber es hat den Anschein, dass die Leute selbst sehr oberflächlich angegangen wurden, was dann wohl gewünschte Effekte zu Tage fördern sollte. Und so bleibt das Spannendste an diesem “Filmexperiment” unterm Strich, mit welcher Selbstverständlichkeit alle Experten, die aufgefordert waren, sich kurzfristig in die Situation hineinzuversetzen, nun zufällig oder von Berufs wegen einem gerade gelandeten Alien gegenüber zu stehen, in ihrer Landessprache losplappern, als sei es “gottgegeben” (religiöse Fragen spielen gar auch noch eine Rolle – der Regisseur lässt formal kaum etwas aus), dass Außerirdische des Englischen mächtig sind oder eine Art Transmitter besitzen.

* der Oliver Stone-Film über Ed Snowden ist solide, geht aber nicht wirklich an die Schmerzgrenze, zeigt weder das wirkliche Ausmaß us-amerikanischer Perversionen in Sachen totalen Kontrollstrebens, noch setzt er sich ernsthaft mit der teils gruseligen Rezeption des Whistleblowers auseinander, die auch in Deutschland teilweise nicht davor zurückschreckt, den ehemaligen CIA-Mitarbeiter in unschöner Regelmäßigkeit zu diskreditieren…



Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *