Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Wenn Kinder und Lebensmut verschwinden

“Wir sind die Flut” ist eine Mischung aus Mystery-Drama und Science-Fiction; “Surprise” – der zweite Film, den wir diese Woche beleuchten – eine romantische Komödie mit einer Portion schwarzem Humor. In der einen Geschichte gilt es ein vermeintliches Naturphänomen und das Verschwinden zahlloser Kinder aufzuklären; in der Produktion von Oscarpreisträger Mike van Diem dreht sich alles um eine als Beerdigungsinstitut getarnte Geheimorganisation.

wir_sind_die_flutEine Gravitationsanomalie in dem eigentlich am Meer gelegenen Dörfchen Windholm beschäftigt den jungen Physiker Micha (Max Mauff) schon länger. Nachdem nun aber eine Förderkommission und sogar sein eigener Prof sich nachdrücklich dagegen aussprechen, dass er sich zur Feldforschung in das behördlicherseits seit langem weitgehend abgetrennte Areal begibt, lässt ihn das Thema erst recht nicht mehr los. Und dieser Fall hat es ja auch wirklich in sich. Mitte der 1990er Jahre geschah etwas, für das die Wissenschaft nie eine Erklärung fand: Von einem Tag auf den anderen blieb die Flut aus, das Meerwasser zog sich in einem weiten Halbkreis von der Küste zurück. Und als ob das nicht alles spooky genug wäre: mit dem Wasser verschwanden auch sämtliche Kinder des Ortes spurlos. Jetzt als Micha mit Physikerkollegin Jana (Lana Cooper) und auch mit ein paar kleinen Lügen im Gepäck in Windholm auftaucht, gibt es tatsächlich nur eine einzige Jugendliche, die sich zugleich als Fremdenführerin ihr Geld verdient und auch im Dorf selbst mit ihrem Exotenstatus ein wenig normales Dasein fristen kann. Überhaupt erscheint ihre Heimatgemeinde ein Stück weit wie im Dornröschenschlaf.

Das Unbeha­gen rund um die Frage, ob die Kinder in dem natürlich fiktiven Örtchen damals alle ertrunken sind, ist in der von Sebastian Hilger (Absolvent der Filmakademie Ludwigsburg) als Mischung aus Mystery-Drama und Science-Fiction-Film angelegten Regiearbeit omnipräsent. Bereits nach wenigen Filmminuten nimmt man das Grundgerüst für ein tatsächlich mögliches Szenario hin und begibt sich mit den beiden Forschern auch auf eigene Spurensuche. Wenn man weiss, mit wie – vergleichsweise – wenig Geld dieser Film auskommen musste, kann man die großen Bilder, die da teilweise aufgefahren werden, die weitgehend stimmige Atmosphäre und die recht soliden Darstellerleistungen erst so richtig zu schätzen lernen. Indes verpufft unterm Strich doch zuviel, weil die ungeklärte Beziehung zwischen Micha und Jana nach und nach zuiel Raum einnimmt. Sie fragen sich vielleicht, ob die am Ende nahegelegte Lösung der diversen Phänomene – der Film liefert etwas in Ansätzen – die zuvor aufgebauten Erwartungshaltungen wirklich befriedigen? Ohne zu spoilern: leider nein.

Surprise_kinostarWo wir schon bei den Fragen sind. Sagt Ihnen der Name Mike van Diem etwas? Für “Karakter” erhielt der Niederländer 1998 einen Auslands-Oscar. Doch danach wechselte er vom Kino- zum Werbefilm. Mit “Surprise” kehrt er nun nicht nur als Regisseur sondern zugleich auch als Drehbuchautor auf die große Leinwand zurück. Und wie der Filmtitel vermuten lässt, wartet seine romantische Komödie mit einigen überraschenden Wendungen auf. Jene Filmfreaks, die sich an “Karakter” erinnern, dürfen sich übrigens ganz besonders freuen: Wie in van Diems ausgezeichneten Vater-Sohn-Geschichte dereinst ist auch bei “Surprise” wieder Jan Decleir (hierzulande zuletzt in “Ich und Kaminski” zu bestaunen) mit an Bord. Zwar in keiner der beiden Hauptrollen, aber doch mit einer recht zentralen Figur. Er gibt den ohnedies überdurchschnittlichen Darstellerleistungen hier das berühmte Tüpfelchen auf dem “i”.

Um was geht es konkret? Jacob van Zuylen de With, ein exzentrischer Millionär, ist der festen Überzeugung, im Leben alles erreicht zu haben. Deshalb beschließt er seinem Leben ein Ende zu setzen – jetzt wo er auch seiner gerade verstorbenen Mutter nicht mehr den Alltag erleichtern muss. Da kommt ihm eine als “Beerdigungsinstitut” getarnte Geheimorganisation, auf die er vermeintlich zufällig gestossen ist, gerade recht. Denn diese verspricht todesmüden Kunden, die keinen Selbstmord hinbekommen wollen oder können, sie auf diskrete Weise aus dem Leben scheiden zu lassen. So, dass sich Hinterbliebene nicht das Hirn zermartern müssen oder gar das Maul zerreissen können. Die Todesursache können die Klienten selbst wählen. Doch der einmal mehr unentschlossen, um nicht zu sagen phlegmatisch wirkende Jacob kann sich nicht so recht entscheiden. Da trifft es sich gut, dass die Agentur auch das Paket “The Surprise” bietet: Der Kunde bekommt in diesem Fall die Garantie eines angenehmen Todes in naher Zukunft, erfährt aber nicht, wann und wie es geschehen wird.

Der niederländische Spielfilm, der teilweise in Hamburg und Hannover gedreht wurde, ist in der ersten Phase bewusst vorhersehbar. Es kommt nämlich wie es kommen muss. Van Zuylen de With trifft plätzlich auf “die Eine”, und nach wenigen Tagen würde er den Auftrag gerne widerrufen. Doch das war von der Agentur von Anbeginn an klar formuliert: einmal unterschrieben gibt es kein Zurück mehr! Insoweit ist das Grundgerüst des Films, offiziell stand eine Kurzgeschichte von Belcampo (Dr Herman Pieter Schönfeld Wichers) Pate, noch kein Grund das Kinoticket zu lösen. Aber: das Ganze ist nicht nur wie bereits erwähnt durchweg mehr als überzeugend gespielt, und im übrigen auch hinsichtlich Setting und Kameraführung überdurchschnittlich, sondern vor allem deswegen empfehlenswert, weil die romantische Komödie tatsächlich mit einer ordentlichen Portion schwarzem Humor glänzt. Und – Sie erinnern sich – der Filmtitel ist lautmalerisch: manch überraschende Wendung gibt es schließlich auch noch zu erleben.



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