Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Huldigung eines ohnedies extremen Egos

Thomas von Steinaeckers Dokumentarfilm “Werner Herzog – Radical Dreamer” mangelt es nicht an Erzählungen über vermeintliche Superlative. Neben einigen Weggefährten lässt er bekannte Hollywood-Darsteller über Herzog sprechen, zeigt Filmausschnitte und Entstehungsgeschichten und besuchte den titelgebenden Vertreter des “Neuen Deutschen Films” himself in Los Angeles, filmte ihn bei Kursen seiner Filmhochschule auf Lanzarote und zeigt ihn auch in der gemeinsamen bayerischen Heimat.

In Deutschland hörte man die vergangenen Jahre nicht besonders viel von dem Regisseur Werner Herzog, dafür soll er in der Übersee richtig berühmt sein. Fakt ist, er steht seit geraumer Zeit selber recht oft vor der Kamera – nicht nur für diese Doku, sondern etwa neben Tom Cruise (“Jack Reacher”) oder zuletzt in der Star Wars Serie “The Mandalorian”. Das Time Magazine zählte ihn 2009 zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt. Seine gestelzte Sprache mit reichlich bedeutungsschwangeren Worten, auf Englisch mit hartem deutschen Akzent, ist so Herzog typisch, dass er sich bei „The Simpsons“ selbst veräppeln beziehungsweise bei „Ricki and Morty“ den Ohren „schmeicheln“ durfte. Für von Steinaecker ein weiteres Zeichen für Herzogs sehr große Popularität in den USA. Und so hat er dem inzwischen 80-jährigen einen Dokumentarfilm gewidmet, der eigentlich nichts mit diesem Genre zu tun hat. Wer die WDR-Sendung „Zimmer frei“ kennt, der weiß auch, mit welchen Lobhudeleien von Weggefährten die Studiogäste dort als Mitbewohner angepriesen werden. Beim Talkshow-Dauerbrenner ist dies erkennbar humorvoll gedacht. Hier, bei dem sich unter anderem auch Journalist schimpfenden von Steinaecker, erscheinen die extremst oberflächlich klingenden salbungsvollen Worte über Herzog aus unterschiedlichsten Mündern leider bierernst – in der Gesamtschau erscheint vieles schlichtweg schmierig.

Werner Herzog gilt gleichwohl zu Recht als einer der wichtigsten Vertreter des “Neuen Deutschen Films”: In den 1960-70er Jahren grenzten sich die jungen Regisseure wie eben Herzog, Alexander Kluge, Edgar Reitz, Wim Wenders, Volker Schlöndorff oder Rainer Werner Fassbinder, vom damaligen primär durch Heimat- und Unterhaltungsstreifen dominierten Filmbetrieb ab und widmeten sich mal mehr, mal weniger deutlich der Gesellschaftskritik zu, waren teilweise richtig politisch. Seinen ersten Spielfilm „Lebenszeichen“ drehte Herzog im Alter von 24 im Jahr 1968 und wurde zugleich für den „Besten Ersten Film“ mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Es sind oft ikonenhafte Bilder, wenn man an Herzogs berühmtere Werke denkt, wie zum Beispiel ein über den Berg gezogener Dampfer. Wobei es dafür neben den Visionen eines Regisseurs zuvörderst auch unglaublich guter Kameramänner bedurfte. Geschweige denn dass Herzog ohne den unvergleichlichen Klaus Kinski überhaupt jemals zu einer überdurchschnittlichen und anhaltenden Bekanntheit gelangt wäre. Mit dem vermeintlichen Enfant terrible drehte Herzog fünf seiner bekanntesten Filme (u.a. „Aguirre, der Zorn Gottes“ oder „Fitzcarraldo“) und rächte sich dann nach dessen Tod für die schwierige Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfilm „Mein liebster Feind“ (1999).

„Werner Herzog – Radical Dreamer“ stellt den wohl nie objektiv aufklärbaren Konflikt der Beiden eher an den Rand – was im Grunde das Lobenswerteste an von Steinaeckers leider nicht einmal kurzweiligen Werkes ist; vielmehr wollte man laut Verleih „zum ersten Mal und exklusiv ein umfassendes Porträt eines der einflussreichsten Künstler unserer Zeit“ zeichnen. Besonders originäre oder rar wirkende Zeitdokumente sucht man indes weitgehend vergebens, dafür sorgt gleich am Anfang eine Szene aus der Gegenwart für Irritationen, die auch im Verlauf von 102 Minuten ungelöst bleiben wird: Während eines der Interviews zwischen den beiden Bayern kommt offenbar irgendwoher ein Luftgewehrschuss. Herzog scheint sogar am Bauch getroffen – in einem kurzen Bildschnitt ist Blut zu sehen. Zur Polizei will der umtriebige Selbstdarsteller nicht gehen. Und die Anmoderation davor suggerierte, dass der alte Filmemacher auch in den Staaten nicht bei allen politischen Kreisen willkommen ist. Neben einigen von Herzogs ehemaligen Weggefährten in Deutschland – allen voran die unfassbar bieder irgendwelche Allgemeinplätzchen herunterleiernden Wim Wenders und Volker Schlöndorff – kommen formal auch einige Hollywood-Berühmtheiten wie Nicole Kidman oder Christian Bale zu Wort. Deren Aussagen haben jedoch noch weit weniger Gehalt, als die unterdurchschnittlichsten Crew-Interviews eines landläufigen DVD-Bonus.

Auch in den Interviewfetzen von seiner Familie, Ex-Frau, aktuelle Lebensgefährtin bis hin zu einem der Brüder der auch beruflich in Herzogs Filmproduktionen eingebunden war, erfährt man leider überhaupt Nichts, was Interessierte über Herzog nicht bereits wussten. Dass „Fitzcarraldo“ zunächst mit Jason Robards und Mick Jagger geplant und teilgedreht war, bevor mit Kinski eine neue Version fertig gestellt wurde, ist natürlich sowieso bekannt – aber zumindest ist “Radical Dreamer” dahingehend zufriedenstellend, dass es das Ouevre vor Herzogs endgültiger Übersiedlung in die Staaten halbwegs ordentlich einordnet.

Spannender als alles was von Steinaecker für diesen Film nicht ohnedies aus irgendwelchen Archiven zog wäre beispielsweise gewesen, bei berufenen Mündern nachzufragen, warum Herzog in seiner Heimat weniger Beachtung findet als in den USA. Oder wirkliche Belege beizubringen, wie Herzog in den Staaten rezipiert wird – die kurzen popkulturellen Anekdötchen ersetzen dies nämlich nicht. Geschweige denn, dass es in dieser Doku auch nur ansatzweise eine kritische Auseinandersetzung mit Herzogs Arbeitsweisen an und für sich geben würde. So wirkt der ganze Film fast schon wie ein allzu willfähriger Nachruf über den „Soldier of Cinema“, wie Herzog sich selbst bezeichnet. Um Mythen und Legenden, die Herzog oftmals selbst in die Welt gesetzt hat, zu Lebzeiten wiederzukäuen hätte jedenfalls keines eigenen Kinofilms bedurft. So etwas als 45 Minuten Format Anfang September in irgendeinem Öffentlich-Rechtlichen als Geburtstagsfilmchen hätte besser gepasst als auf der großen Leinwand.



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