In der kurzweiligen Komödie „Ach du Scheiße!“ kämpft ein in einem Dixiklo gefangener Architekt ums nackte Überleben und somit gegen den Bauherren. Währenddessen nimmt Susanne Regina Meures in der Langzeit-Dokumentation „Girl Gang“ eine junge Influencerin, deren Eltern und eines ihrer Groupies unter die Lupe.
Regisseur Lukas Rinker hat im Segment Kammerspiel etwas fast unmögliches geschaffen: in seinem ersten abendfüllenden Spielfilm, für den er auch das Drehbuch schrieb, verfrachtet er den Hauptdarsteller für nahezu die gesamte Filmdauer in ein Baustellen-Klo. Und obwohl es in der Handlung selbst ziemlich häufig um Mord und Totschlag geht, bleibt das Ganze von Anfang bis Ende nicht nur spannend sondern witzig. Wenngleich manchmal haarscharf an der Grenze sinnfrei derbe zu wirken. In den ersten Bildern erwacht Architekt Frank (Thomas Niehaus) langsam aus der Ohnmacht – eingequetscht in einem Dixi-Klo. Dass er sich aus der ohnedies unnatürlichen Lage nicht alsbald befreien kann liegt an einem fetten Metallstab – der steckt tief in seiner Hand. Der Architekt ist sprichwörtlich festgenagelt. Doch immerhin: Stück für Stück kommen die Erinnerungen zurück. Aus der Ferne hört Frank Festreden. Eine Sprengung wird vorbereitet, die ihm das Leben kosten wird, wenn ihn in den nächsten Minuten niemand findet. Es beginnt das schon aus vielen anderen Geschichten bekannte Wettspiel gegen die Zeit, das Puzzle zu lösen, wie er in diese Lage hineingeraten konnte und wie er da wieder relativ heil rauskommen könnte. Dabei kommt er einem ziemlich kruden Verbrechen auf die Spur.
„Ein kleiner dreckiger Low-Budget-Toilettenfilm“, wie Regisseur Rinker seinen Erstling „Ach du Scheisse!“ nennt, bietet von einer Minute zur nächsten unvorhersehbare Überraschungen, und diese langweilen definitiv nicht. Frank unternimmt zig Versuche, sich zu befreien, mit allen Mitteln, die er so im Klo oder in seiner Tasche finden kann, alles weitgehend plausibel und realitätsnah. Im Grunde ist es nicht nur ein fast astreines Kammerspiel sondern ebenso fast ein reines Ein-Personen-Stück. Niehaus’ sieben Darstellerkollegen erscheinen nämlich bis hin zu den Schlussminuten nur am Rande: entweder bei kurzen Schwenks auf die Rednerbühne, häufiger in der Fantasie/Erinnerung seiner Frank-Figur oder die Personen stecken mal kurz den Kopf durch die Tür des umgeschmissenen Dixi-Klos. Was der Zuschauer nach wenigen Sequenzen aufgetischt bekommt: Der Widersacher des Architekten ist ausgerechnet sein Bauherr Horst Wolff (Gedeon Burkhard), der sich auch Franks Frau Marie (Olga von Luckwald) schnappen will. „Ach du Scheisse!“ ist für Thrillerliebhaber, die gleichzeitig ein Faible für Abseitiges bis hin zu Klamauk haben, ein absolut sehenswerter Film. Man darf mit großer Vorfreude auf kommende Projekte von Rinker warten, die – so der Regisseur – sicher einen ähnlichen Ton anschlagen würden.
Andernorts geht es um mehr als 1,5 Millionen Follower
Zu einer ganz anderen Thematik möchte „Girl Gang“ Zuschauer ins Kino bringen. Regisseurin Susanne Regina Meures hat vier Jahre lang eine gewisse Leonie aus dem Osten Berlins samt ihrer Eltern begleitet und zeigt, wie aus einem kleinem Teenie-Mädchen eine einflussreiche Influencerin wurde. Stück für Stück ist Leonies Gefolgschaft bei Plattformen wie lnstagram, Tiktok und Youtube auf über 1,5 Millionen Follower angewachsen. Unter dem Namen „Leoobalys“ präsentiert sie diverse Produkte. Ihre Eltern haben das Management übernommen und denken den Spagat zu schaffen: Sie zu schützen und gleichzeitig den bestmöglichen Profit aus und mit ihr zu schlagen. Ihre Groupies überschlagen sich fast schlimmer als dereinst Mädchenscharen bei den Backstreet Boys oder noch weiter zurück in die Vergangenheit gedacht als bei Elvis. Gemessen an dem wofür Leonie bekannt ist wirken die Bilder, wenn sie mal in einem Einkaufszentrum zu einem PR-Termin auftaucht, nahezu grotesk. Meures portraitiert parallel zu der – jetzt wo die Doku ins Kino kommt ist sie mittlerweile 18-jährig! – Teen-Influencerin eine fast gleichartige Teenagerin, die Leonies Fan-Page geschaffen hat, und keinen weiteren Sinn im Leben sieht, als ihr Idol anzuhimmeln, sie als ihre beste Freundin zu titulieren, ohne sie bisher real kennengelernt zu haben.
Anders als die Eltern des Internetstarletts selbst wirkt die Produktion “Girl Gang” absolut authentisch, bietet einen ungeschönten Einblick sowohl ins Familienleben der Protagonistin als auch um den Wahnsinn drumherum. Man sieht, wie Leonies anfängliche Verspieltheit langsam aber sicher verschwindet und wie um jedes Wort, um jede Geste oder Lichteinstellung gefeilscht wird. Die junge Frau hat kein eigenes Leben, keine richtigen Freunde, sie scheint zwar in der Schule und auf dem Trainingsplatz zu funktionieren, aber frei ist sie nicht. Die Eltern, die in ihren jungen Jahren nach eigener Aussage viel für ein normales Leben „malochen“ mussten, finden sichtbar riesigen Gefallen am gestiegenen Lebensstandard, werden gar selbst zu Influencern. Vor allem Leonies Vater setzt sich seit Jahren mal mit, mal ohne der Tochter an der Seite in Szene. Und wirkt – mit Verlaub – mitunter nicht nur unfreiwillig komisch, sondern teils auch übergriffig.
In der Langzeitstudie wird klar, dass die Fans von Leonie gemeinhin tatsächlich glauben, ein absolut authentisches Mädchen vor sich zu haben, welches sie an ihrem Leben teilhaben lässt. Denn die Authentizität ist das, was die Firmen/Auftraggeber wollen, bevor sie Influencer mit Geld und Geschenken überhäufen. „Du musst authentischer werden, Du musst an Dir arbeiten, Theater will keiner sehen.“, sagt ein Berater irgendwann zu Leonie. Ein großer Pluspunkt bei “Girl Gang”: Die Regisseurin mischt sich nicht mit Off-Kommentaren im Film ein, gibt ihre Meinung nicht kund. Der Zuschauer muss selbst wissen, wie er die Geschichte einschätzt. Die Doku bietet jedenfalls einen sehr spannenden Einblick hinter die Kulissen eines immer noch von Älteren völlig unterschätzten Wirtschaftsbetriebs, wobei es schade ist, dass Susanne Regina Meures darauf verzichtet hat, wenigstens einen Verantwortlichen bei den Marketingfirmen einzubinden. So bleibt auch diffus wieviel Leonie für die im Film angedeuteten Commercials letztlich so einstreichen durfte.