Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Wenn Big Brothers Kinder die Haustür blockieren

Vor nicht allzu langer Zeit war es bestenfalls Thema des Sci-Fi-Genres, heute ist totale Überwachung Realität. Anhand von China zeigt Regisseurin Jialing Zhang in “Total Trust” (D-Start: 05.12.2023) wie staatlicherseits mit Andersdenkenden umgegangen wird, aber auch wie sich Teile der Bevölkerung freiwillig zum Vollstrecker von Regimevorgaben machen. Assoziationen mit Deutschland kommen bei dieser unbedingt sehenswerten Doku zwangsläufig auf. Außer man arbeitet für die deutschen Mainstreammedien. 

China gilt als das am stärksten überwachte Land der Welt, nicht nur weil hier internationalen Schätzungen zu Folge die Hälfte aller weltweit in Betrieb befindlichen Überwachungskameras installiert sein sollen. Es werden immer neue Technologien entwickelt, die das tägliche Leben des Einzelnen kontrollieren. Mit Hilfe von “Social Credit Scoring” werden Bürger unumwunden animiert, als freiwillige, unbezahlte Überwacher ihrer Mitmenschen zu agieren, Fehlverhalten zu melden und die in diverse Annehmlichkeiten umwandelbaren Belohnungs-Punkte zu sammeln. Bei der Stasi operierten solche „IM“s anonym, heute sind sie in der Gesellschaft angekommen. Das Sozi­al­kre­dit­system, welches Jederman nach seinem “Verhalten” bewertet bietet konkret 190 Möglich­keiten, Punkte zu erwerben, aber es enthält 1040 Wege, Punkte zu verlieren. Eine Beschwerde bei einer Behörde kostet beispielsweise 30 Punkte. Vom jeweiligen Score hängt dann ab, ob man zum Beispiel mit der schnelleren Bahn reisen darf oder ob die Kinder die Zulassung zu einer renommierteren Schule erhalten.

Obwohl sich die Dokumentation „Total Trust“ formal ausschließlich mit staatlicher Überwachung von Menschen in China befasst, unterstreichen sowohl die in den USA lebende Regisseurin Jialing Zhang („One Child Nation“, 2019, „In The Same Breath“, 2021) als auch die Produzenten (filmtank, Witfilm und Interactive Media Foundation), dass die immer ausgeklügelten Überwachungssysteme, Big Data und KI, inzwischen überall auf der Welt – egal ob in einer so genannten Autokratie oder einer vermeintlichen Demokratie – nicht nur nominell verfügbar sind, sondern ein erschreckendes, sehr ernstzunehmendes globales Problem darstellen.

“Total Trust” – übrigens: um die Sicherheit derer, die die Regisseurin in China bei ihrer Arbeit etwa als Kameraleute unterstützt haben, zu gewährleisten, sind viele Produktionsbeteiligte im Abspann als Anonymus geführt – begleitet drei Frauen in ihrem Alltag. Zijuan Chen, mit einem kleinen Sohn an ihrer Seite, kämpft für die Freilassung ihres Mannes Weiping Chang, der als Anwalt beispielsweise Menschen verteidigt hatte, deren Häuser für neue staatliche Giga-Projekte bei Zwangsabrissen zerstört wurden, oder die an ihrem Arbeitsplatz diskriminiert wurden. Er wurde im Jahr 2020 verhaftet und ist seitdem inhaftiert. Der Kinobesucher ist hautnah dabei, wenn Zijuan Chen unerlässlich Petitionen an Regierungsbeamte schreibt oder auf dem Weg zu seiner Gerichtsverhandlung unvermittelt an einer Autobahnkontrollstellen über Stunden festgesetzt, weil die Beamten vor Ort offenbar sprichwörtlich auf den Schirm bekamen, wer hier wohin unterwegs sein möchte. Sie hat ihren Mann seit der Verhaftung nicht zur Gesicht bekommen.

Auch Wenzu Lis Mann Quanzhang Wang, war als Anwalt tätig, kam wie viele Berufskollegen und Aktivisten 2015 im Rahmen einer groß angelegten Verhaftungswelle ins Gefängnis. Aus der unpolitischen Hausfrau wurde eine Aktivistin, die viele Jahre für die Freilassung ihres Mannes gekämpft hat. Nach fünf Jahren kam Wang dann tatsächlich wieder frei, erlebte davor aber offenbar heftige Folter, die ihn bis heute psychisch wie physisch tangieren. Die Verfolgung seitens des Regimes hat aber auch nach dem Gefängnisaufenthalt nicht aufgehört. In einer Filmszene als die Eheleute zu einer politischen Veranstaltung wollten,werden sie von mehreren unbekannten Menschen am Verlassen ihrer Wohnung gehindert. Die Leute kampieren unüberwindbar im Flur, kleben ihnen ihren Türspionen zu. Im Hausgang ist ohnedies eine Überwachungskamera installiert.

Die dritte Protagonistin in “Total Trust” ist eine junge Journalistin. Sophia Xueqin Huang wurde durch die Aufdeckung von Fällen sexueller Übergriffe in China bekannt wurde. Als sie wegen einer Reihe von Artikeln über die MeToo-Bewegung verklagt wurde, verteidigte sie der Anwalt Weiping Chang. Nach dessen Verhaftung begleitete sie auch seinen Fall journalistisch und unterstützte Zijuan Chen in deren Kampf um die Freilassung ihres Manns. Als Sophia Xueqin Huang China zur Aufnahme eines Studiums , wofür sie auch ein Stipendium bekommen hatte, Richtung Großbritannien verlassen wollte, wurde auch sie verhaftet und wartet seither auf ihren Prozess wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“.

Parallel zu diesen drei Schicksalen zeigt die Doku willfährige aber trotzdem irgendwie arglos wirkende “Quartiersbeauftragte” und andere “Freiwillige”, die für die “Ordnung” nicht nur auf der Straße sorgen: sie notieren Falschparker, melden “verdächtige” Personen, selbst bei einer belanglosen Müll-in-die-Tonne-werfen-Aktion. Für ihre Arbeit bekommen sie Punkte. Haben sie viele Meldungen gemacht, können sie sogar kostenlos in Urlaub fahren. Andere Sequenzen zeigen Techniken zur Gesichtserkennung mit anschließendem Informationsfluss über die vermeintliche Stimmung von Kollegen im Betrieb, die man besser nach Hause schicken solle…

Obwohl die Regisseurin ansonsten aber überwiegend streng bei ihren drei Protagonistinnen bleibt, vermittelt sie unglaublich viel vom Land. „Total Trust“ ist ein sehr spannender und sehr wichtiger Film, der hoffentlich auch bei jedem “westlichen” Zuschauer die Alarmglocken läuten lässt. Man kann sich nicht deutlich genug klarmachen, dass die vielfältige Überwachung der eigenen Bevölkerung überall auf der Welt stattfindet. Während man mit der Finger auf chinesische Tech-Unternehmen zeigt, sollte man Giganten wie Apple oder Microsoft nie außer Acht lassen. Und vor allem sollte man hinterfragen, warum auch die deutsche Regierung bis heute nicht nachhaltig etwa für die Freilassung von Julian Assange wirbt, oder gar aktiv selber Whistleblower und Systemkritiker zumindest indirekt mit Hilfe von zum Beispiel Facebook oder Youtube quasi mundtot macht.

Und erst recht müssten sich beim Publikum in Deutschland – völlig egal wie ernst man die Gefahr von einerseits dem Corona-Virus und andererseits den diversen Impf-“Angeboten” andererseits sah oder sieht – Assoziationen auftun, zum wieder aufgeflammten Blockwart-Gehabe vieler Landsleute: wo etwa zur Sicherstellung der so genannten “Corona-Maßnahmen” schmerzbefreit die Polizei geholt wurde, wenn in der eigenen Nachbarschaft die Oma ihre Enkel besucht hat. Bei “Bürgern in Uniform” gingen regelmäßig sogar völlig die Pferde durch, nicht nur in den beiden immerhin flächendeckend diskutierten Jagdszenen mit einem Polizeiauto über Stock und Stein in einem Hamburger Park, genauer gesagt dem  Elbvorort Othmarschen, um einen Jugendlichen ohne Maske zu erwischen bzw. der völlig außer Atem kommenden Patrouille gegen Ski-Urlauber, damit ja keiner ohne erweiterten “Gesichtsschutz” für sich allein eine Piste runterbraust. In der Doku “Total Trust” gibt es passend dazu eine Szene in der eine der Protagonistinnen die kurz zuvor corona-negativ getestet wurde und seither keine sozialen Interaktionen hatte beim Vorhalten ihrer virtuellen Gesundheitskarte an einem Kontrollpunkt unvermittelt rot (vulgo Durchgangsverbot) angezeigt, obgleich in der App ja eigentlich die selben Daten hinterlegt sein müssten. Dass die Frau gerade dabei war etwas für ihren inhaftierten Mann zu tun und behördlicherseits seit Jahren als wenig beugsam bekannt ist, war sicher^^ nur ein Zufall.

In Deutschland kommt neben staatlichen Überwachungszielen und privatwirtschaftlicher Datenkraken-Mentalität noch das soziale Problem der punktuell nur leicht wabernden allerdings immer breiter werdenden Gruppe unter den Lautsprechern in den sozialen Medien dazu, die nachdrücklich die Haltung salonfähig macht, dass egal was ein deutscher Polizist tut oder lässt, dieses nicht hinterfragt werden darf. Selbst ein Schusswaffeneinsatz wird per se schon seine “guten” Gründe gehabt haben, auch wenn der dann tot am Boden liegende Mensch nackt in einem Brunnen stand oder ihm in den Hinterkopf geschossen wurde. Apropos Staatsmacht: In Bayern ermöglicht waqs immer noch viel zu wenig Widerspruch erfährt das so genannte Polizeiaufgabengesetz seit 2018, dass die Uniformierten Bürger ohne jedwede Anklage, nur auf Grundlage eines  vagen Verdachts einer Straftat, bis zu drei Monate festhalten darf und diesen Zeitraum sogar weitgehend beliebig erweitern kann. Es ist kein so großer Schritt mehr Richtung chinesische Verhältnisse!

Und: Erinnert sich jemand an den inzwischen über zwanzig Jahre alten “Minority Report” von Steven Spielberg mit Tom Cruise in der Hauptrolle? Das Drehbuch basierte auf einer Kurzgeschichte von  Philip K. Dick aus dem Jahr 1956! Es geht um einen Mitarbeiter der Abteilung Precrime der Washingtoner Polizei, die mittels Präkognition Morde verhindern soll. In Deutschland experimentieren die Landeskriminalämter unter anderem mit Software wie “Predpol” (Predictive Policing), die Big-Data-Informationen nutzt, um “Profile” von potentiellen Verdächtigen zu erstellen, bevor es zu irgendeiner strafbaren Handlung kommt. Die Gedanken waren mal frei. Bald könnte man für einen schrägen Traum weggebuchtet werden. Wenn nicht auch hierzulande Bürgerrechtler sich auch für Zumutungen im eigenen Land interessieren oder Journalisten von großen Blättern oder im “öffentlich-rechtlichen” Bereich wieder “lernen” die tatsächlich auch in zahllosen Szenen der Doku aus China vorkommenden “fadenscheinigen Gründe” die Behörden und “Partei” für diese und jene Maßnahme anführen, auch anzuprangern, wenn im Kleinen das gleiche auch hierzulande passiert, sobald man sich nicht systemkonform verhält. Denn das war und ist nicht nur bei Corona-Themen trauriger Alltag in Deutschland geworden. Noch nicht so krass wie all das was  “Total Trust” zeigt, aber viel zu oft. Allen Verharmlosungen und Abwehrreflexen, wie sie sich etwa ein Steffen Wurzel vom südwestdeutschen Staatsfunk in seiner “Kritik” nicht verkneifen konnte, zum Trotz. Wer diesen Streifen wie immerhin Amnesty International hierzulande die Regisseurin zitiert, während deren Haltung andernorts komplett unter den Tisch fallen lassen, nicht “paradigmatisch für einen weltweiten Trend, moderne Kommunikation und Digitalisierung zur Kontrolle einzusetzen” gelten lassen mag, textet entweder wider bessern Wissens und ist damit hochgradig Teil des Problems oder so blind für die Wirklichkeit, dass er oder sie schleunigst den Beruf “Journalismus” an den Nagel hängen sollte.



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