Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Alle Tage Spiegelei

Erinnert sich noch irgendwer, wie Frauenrechte vor einigen Jahrzehnten in Deutschland aussahen? Journalisten hierzulande tun dies selbst dann nicht, wenn sie in diesen Tagen anlässlich des Kinostarts eines Films aus der Schweiz berichten, dass in jener Alpenrepublik das Wahlrecht für den weiblichen Teil der Bevölkerung erst im Jahre 1971 eingeführt wurde: “Die göttliche Ordnung” schreit aber geradezu danach, dass auch Menschen in Deutschland mal wieder über bis in die Gegenwart fortdauernde Defizite in Sachen Gleichberechtigung nachdenken.

Die ersten Filmsequenzen zeigen Bilder aus Woodstock, von Protesten gegen den Vietnamkrieg und rund um die “Black Panther”-Bewegung. Man schreibt das Jahr 1971. Vieles auf der Welt bewegt sich. Nicht so in einem beschaulichen Dorf im Appenzell. Hier lebt Nora mit ihren “drei Männern”, sprich ihrem Gatten und den beiden Söhnen. Sie scheint nicht wirklich unglüklich, er nicht wirklich wie ein Tyrann. Und doch ist nach wenigen Minuten klar, dass sie – die sich tagein tagaus außer um die Vorgenannten und den Haushalt auch um den missmutigen Schwiegervater zu kümmern hat – einer bezahlten Arbeit, die sie erfüllt, nachgehen möchte, was Hans (Max Simonischek) so rein gar nicht in den Kram passt und er ihr sodann tatsächlich in Erinnerung ruft, dass ohne seine Zustimmung von Gesetz wegen diesbezüglich gar nichts laufen darf. Wenige Häuser weiter kriegt die Protagonistin – grandios verkörpert von Marie Leuenberger (“Die Standesbeamtin”) – mit, wie ihr Schwager seine Tochter erst ins Erziehungsheim und schließlich gar ins Frauengefängnis stecken lässt, weil diese sich nicht davon abbringen lässt, trotz ihrer erst 15 Jahre regelmäßig einen Typen zu treffen. Noras Schwester trug die harte Linie ihres Mannes mit, solange diese sich auf Ausgehverbote beschränkte, hat jetzt wo ihr Partner aber eben richtig perfide Geschütze gegen das gemeinsame Kind auffährt, sprichwörtlich nichts mehr zu melden. Just in jener Gemengenlage steht in der Schweiz eine Abstimmung über das Frauenwahlrecht an. Entscheiden ob dieses eingeführt wird, dürfen nur die Männer. Und in Noras Gemeinde macht ausgerechnet eine Frau am lautesten Stimmung dagegen: Hans’ Chefin (Therese Affolter), die mit ihrer Schreinerei am Ort die einzige ernstzunehmende Arbeitgeberin zu sein scheint – nicht weil sie karrieregeil war, sondern Familienzwänge ihr keine andere Wahl ließen, den elterlichen Betrieb zu übernehmen, leitet das “Aktionskomitee gegen die Verpolitisierung der Frau”…

Petra Biondina Volpe (Jahrgang 1970, schrieb zuletzt das Drehbuch für eine neue Heidi-Verfilmung) liefert mit “Die göttliche Ordnung” einen durchweg sehenswerten, kurzweiligen und bis in die kleinsten Nebenrollen gut besetzten und differenziert ausgestalteten Film ab, der inhaltlich keineswegs verstaubt oder belehrend wirkt, dafür mit einer kräftigen Prise mal subtilen, mal lautem Humor daherkommt. Etwa wenn wie beiläufig gezeigt wird, nachdem – Achtung! kleiner Spoiler! – neben Nora durchaus nicht wenige Frauen am Ort in den bis zum Wahltag befristeten Streik treten, die Männer zuhause nahezu nix außer bestenfalls Spiegeleier “gebacken” kriegen. Oder die Protagonistin mit der eher betagten Dörflerin Vroni (Sibylle Brunner) in der benachbarten Stadt eher zufällig in einem ungezwungenen Gastvortrag einer Skandinavierin landet, in dem plätzlich Handspiegel verteilt werden, damit sich die Frauen mal bewusst ihr eigenes Geschlecht betrachten können und perspektivisch öfter oder vielleicht gar das erste Mal im Leben einen Orgasmus erleben können.

Spannend ist übrigens auch die Rezeption des erfreulicherweise in Schweizerdeutsch mit Untertiteln startenden Films hierzulande. In Deutschland, das ja auch außerhalb einschlägiger CSU-AFD-NPD-Kreise tagtäglich tapfer gegen von Erdogan persönlich zwangsverheiratete und persönlich auf deutsche Klein- und Mittelstädte losgelassene, minderjährige Richterinnen in Burkas kämpft. Beim “Deutschlandfunk” ist etwa ein Jörg Albrecht sichtlich stolz darauf, dass “deutsche und englische Frauen” weit vor den Eidgenossinnen hier und da ihre Stimme abgeben durften, konkret 50 Jahre vorher. Also auch am 31. Juli 1932 ein Teil der gerne verdrängten “37,3 Prozent” waren, über die in der Filmkritik des Staatsfunks natürlich nicht mal als Fußnote die Rede ist.

Auch steht dort nichts davon, dass vieles was berechtigterweise als “Schweizer Trauerspiel” bezeichnet werden darf – im Film geht es ja glücklicherweise nicht “nur” um die Frage, ob Frauen zur Urne Kreuzchen machen gehen dürfen, sondern darum, was Männer auch im Alltag über ihren Kopf bestimmen durften – auch in Deutschland noch nicht soo lange Geschichte ist! Aber das ficht weder die Staatsfunker noch viele andere Journalisten an. Um nur eines von vielen Beispielen zu nennen: Gunda Bartels im Tagesspiegel, die noch mit der dümmlichen Überschrift “Mutti will wählen” aufmacht, irgendwas sinnfrei von europäischen “Demokratien” faselt, nebenbei Saudi-Arabien abwatschen muss, erzählt schlussendlich über heutzutage angeblich forschreitende Moden kosmetischer Schamlippenkorrektur, denn das späte Erwachen in Sachen Gleichberechtigung nicht ausnahmslos in der Schweiz zu verorten – aber es ist seit Jahren eben leider so: vor der eigenen Türe zu kehren, liegt vielen unserer Beurfskollegen nicht.

Und so erinnert unseres Wissens keine Kritik daran, dass hierzulande erst vor wenigen Monaten im Bundestag ein so genannter Antrag zur “Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftsbereich” scheiterte, mit dem sichergestellt werden sollte, dass bei Neuschaffung oder Entfristung von Stellen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen fortan (!) ein 50 % Frauenanteil gesichert werden kann; oder daran, dass Frauen hierzulande generell für ein und die selbe Arbeit teils deutlich weniger verdienen als Männer. Auch wagt kaum jemand den Gedankensprung, dass das Weltbild von zahllosen AFD- und CSU-Anhängern aus jeder Pore des auch herrlich “fotografierten” Films schwitzt, wenn sich “Die Göttliche Ordnung” an Stammtische oder in besagte Schreinerei begibt.

Und erst recht besinnt sich kaum ein Journalist in seienr Review,

– dass Frauen, die in Deutschland vor 1958 einen Führerschein machen wollten, darauf angewiesen waren, dass Ehemann oder Vater dies gestattete;

– dass formal hierzulande erst 1977 (sechs Jahre nachdem der Schweizer Film spielt!)  jenes Gesetz geändert wurde, dass Männern bis dahin ein ultimatives Vetorecht einräumte, wenn es diesen nicht passte, dass ihre Frauen arbeiten gehen (bis ins Jahr 1958 war in der BRD gar so, dass Vertreter des von vielen bezeichnenderweise auch heute noch als “stark” titulierten Geschlechts, den Anstellungsvertrag der Frau nach eigenem Ermessen und ohne deren Zustimmung fristlos kündigen konnte –  auch wenn er seiner Frau erlaubte zu arbeiten, verwaltete er ihren Lohn);

– dass verheiratete Frauen in Deutschland West erst nach 1969 als geschäftsfähig angesehen wurden;

– oder um ein letztes von allerdings vielen weiteren Beispielen zu nennen – wir müssen ja endlich zum Schluss kommen, SIE wollen ja hoffentlich alsbald ins Kino ;-), diesen Film sehen
–  dass das in der Weimarer Reichsverfassung eigentlich “bereits” abgeschaffte, sogenannte Lehrerinnenzölibat in manchem süddeutschen Dienstrecht noch bis 1956 bestand: eine Lehrerin im Fall der Heirat also ihre Stellung zu quittieren hatte.



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