Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Das alte Thema von Anspruch und Realität völlig neu interpretiert

„Me, We“ erzählt vier Geschichten zum Thema Flüchtlinge aus der Sicht der Europäer, konkret Österreicher, links wie rechts, hilflos wie mit Tatendrang, egoistisch wie weltoffen. So unterschiedlich diese Geschichten und ihre Protagonisten auch sind, in einem sind sie gleich: sie drängen ihre Sicht der Dinge dem Zuschauer nicht auf.

Es sind nun etwa acht Jahre, dass Europäer wieder verstärkt über das Thema Flüchtlinge reden, das Schicksal anderer oft als ihre eigene Krise wahrnehmen und auch mit dem Massensterben der Menschen im Mittelmeer konfrontiert werden. Rechte malen Teufel an die Wand, schüren Ängste vor Überfremdung und fasern von zugewanderter Kriminalität, stellen einheimischen Frauen und Kinder als Opfer  von in ihren Augen überdurchschnittlich blutrünstiger Moslems dar; andere versuchen zu helfen, wo es nur geht, oft bis zur eigenen Erschöpfung; und die meisten schauen einfach zu. Davor und auch in dieser Zeit wurden viele sehr spannende und interessante Filme zum Thema Asyl und Migration gedreht, ob Dokumentar- oder Fiktionalfilm. Oftmals aus der Sicht der Betroffenen. Der österreichische Regisseur David Clay Diaz nahm sich 2019 ausführlich Zeit, vier Geschichten aus der Sicht der Europäer, in seinem Fall seiner Landsleute, zu erzählen. Entstanden ist der absolut sehenswerte Spielfilm „Me, We“, der unglaublich einfühlsam und authentisch verschiedene Kategorien von Menschen beschreibt, die auf unterschiedliche Weise mit Flüchtlingen zu tun haben.

Der eine Protagonist ist Gerald (Lukas Miko). Er ist Betreuer in einem Asylheim für junge Männer eines Wiener Außenbezirks. Er glaubt, mitmenschlich zu sein, legt sehr viel Wert auf das Befolgen der Hausregeln. Denn zu oft bekommt das Heim  Polizeibesuch – zwischen den Zeilen wird klar, alarmiert von “besorgten” benachbarten Österreichern, die man nicht zu Gesicht bekommt – oder einen Anruf von oberster Stelle, dass das Heim geschlossen wird, wenn die Beschwerden nicht aufhören. Nicht nur Flüchtlinge verlieren ihr Zuhause, auch Gerald und sein Kollege den Job. In dieser Situation stellt der junge Asylwerber Aba Geralds Geduld auf der Probe. Die mitmenschliche Fassade des Betreuers beginnt ganz schnell und vor allem radikal zu bröckeln.

Die zweite Kategorie der Helfer wird mit der Figur der Marie (Verena Altenberger) beschrieben, die nach Lesbos reist, weil sie in einem NGO-Camp in der Küste ankommende Flüchtlinge erstversorgen möchte. Sie ist voller Ideale und Tatendrang. Nur es fehlen die zu rettenden Leute. Der Alltag plätschert im Camp zwischen theoretischen Rettungsübungen und „kreativem“ Zusammensitzen wie bei einer verpeilten Pfadfindergruppe – Selbstgefälligkeit und Pseudo-Wokeness scheinen bei Maries Kollegen überproportional vorhanden. Das ist ihr selbst eindeutig zu wenig. Und so sucht sich “Me, We”-Protagonistein Nummer Zwei ein NGO-Schiff, das Leute in Seenot wirklich hilft als nur zu Schwadronieren. Als dem Schiff jedoch kurz danach die Flagge entzogen wird und es somit nicht mehr in See stechen darf, handelt sie auf eigene Faust – alle Regeln missachtend, als sie glaubt in einer Nacht Hilfesignale wahrgenommen zu haben. Allerdings wird Marie dabei selbst schiffbrüchig – und das wo sie ihrem Leben einen Sinn geben und beweisen wollte, dass sie das richtige tut. Es ist so offensichtlich, dass sie ein Erfolgserlebnis für sich selbst braucht.

Der Vertreter der nächsten Kategorie hat sich eine andere Zielgruppe als Hilfsobjekt ausgesucht: Marcel (Alexander Srtschin) ist ein Teenager, der sehr empfänglich für rechte Hetze ist. Die Nachrichten, die er hört oder liest, vermitteln ihm überall lauernde vermeintliche Gefahren und Übergriffe von Asylbewerbern auf Österreicherinnen. Um seine Gleichaltrige zu schützen und sich zeitgleich als ihr Retter feiern zu lassen – denn die kleine Gang um Marcel von 12 bis 18 Jährigen haben nicht wirklich Glück beim Erobern der Mädchen – gründet er eine “Begleitschutzorganisation”. Die Jungs wollen mit ihren Mopeds junge Frauen sicher von A nach B bringen…

Und zum Schluss gibt es solche Menschen wie Petra (Barbara Romaner), eine alleinstehende Wiener TV-Redakteurin, die als Patin den nominell unbegleiteten, minderjährigen Flüchtling Mohammed in ihr Haus aufnimmt. Sie soll ihm bei der Integration helfen – hofft wohl auch, sich selbst aus der eigenen Einsamkeit zu befreien –, verkennt allerdings, dass es auch individuelle Grenzen gibt. Als Mohammed es nicht mehr aushält und ihr mitteilt, dass er weder minderjährig noch ein Syrer ist, zudem auch verheiratet und Kindsvater, kann Petra das aus unterschiedlichen Gründen nur schwer verkraften. Eine weitere Situation in “Me, We” beginnt zu eskalieren…

Es ist ein wirklich tragikomischer Film. Während die Episode „Gerald“ unglaublich schwer im Magen steckt bleibt, kann man über die Ignoranz von Petra nur lachend den Kopf schütteln. Die Szene mit einer Tanzveranstaltung für ihre gleichaltrigen, gesellschaftlich gut gestellten Frauen mit ihrem “Schutzbefohlenen” ist ein richtiges Schmankerl. Sehr gekonnt hält David Clay Diaz (sein Diplomfilm „Agonie“ lief 2016 während der Berlinale, wurde dort als Bester Erstlingsfilm nominiert und gewann dazu den Kulturpreis Bayern 2016) diesen Menschen den Spiegel vor, die meinen, dass zum Beispiel eine Ausstellung mit Bildern entblößter Frauen mit gespreizten Beinen bei Moslems auf Anerkennung stoßen soll, weil sie erst dann als integriert in die europäische Gesellschaft gelten dürften. Es ist köstlich anzusehen, wie der falsche Mohammed Petra der Lächerlichkeit Preis gibt.

Marcels „Schutzengel“-Gang kann man zwar von Beginn an nicht wirklich ernst nehmen – auch die österreichischen Disco-Gängerinnen, die sie sich als Primärzielgruppe auserkoren haben tun das nicht – , aber die unterschwellige Gehirnwäsche über die Bedrohung darf man nicht verharmlosen. Dass den etablierten Parteien Wähler nach rechts weglaufen, liegt daran, dass diese nichts dagegen unternehmen, wenn die zweitschlechtgestellte Gesellschaftsschicht gegen die schlimmstgestellten aufgehetzt wird: Sozialhilfeempfänger und knapp drüber gegen Flüchtlinge. Sonst würden diese ja die Schuld an der Misere in diesem Land (oder in Deutschland) womöglich bei der falsch geführten Politik in vielen Bereichen erkennen und Konsequenzen ziehen. So wird der Rechtsruck in Kauf genommen. Schadet wohl den Mächtigen weniger. Diese Ebene streift “Me, We” aber bestenfalls am Rande, lädt seine Zuschauer vielmehr zum Nachdenken nach dem Kinobesuch ein.

Trotz seiner vier verschiedenen Stories schafft es der Regisseur eine gelungene Einheit zu bieten. Der Titel „Me, We“ ist übrigens von Muhammad Ali inspiriert. 1975 trug dieser jene zwei Worte als das kürzeste Gedicht der Welt vor Harvard-Studenten vor. Jeder von David Clay Diaz’ Protagonisten handelt im Prinzip aus egoistischen Gründen: um gebraucht zu werden, um sich selbst eine Bedeutung zu geben, sich wichtig zu fühlen, und erkennt zum Schluss, dass es eigentlich um das Gemeinsame gehen sollte. Der Film selbst ist in puncto Vielschichtigkeit eine der wohltuendsten Überraschungen der letzten Jahre. Und was Kinoproduktionen zum Themenfeld Asyl angeht tatsächlich um eine der mit Abstand Allerbesten!

 

 



1 thought on “Das alte Thema von Anspruch und Realität völlig neu interpretiert”

  • Auch wenn es wohl nicht unmittelbar Thema des Films ist, finde ich es eine Schande, dass Deutschland weiterhin so schlimm mit Flüchtlingen aus Afghanistan umgeht. Warum sind die weniger wert als jetzt die Ukrainer.

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