Während die eine sich zwischen privatem Glück und der “gesellschaftlichen” Meinung entscheiden muss, kämpft die andere für sich und ihre Tochter um’s Bleibendürfen in einer vermeintlich besonders sicheren Wohnanlage. “Da kommt noch was” und “Wir könnten genauso gut tot sein” – beide Filme die am 29. September starten, möchten offenbar eine Sozialsatire sein – aber nur eine Produktion meistert dies mit Bravour und Tiefgang.
Helga hat Pech. Auf der Jagd nach einer Spinne, kracht sie in das Heizluftgitter vor ihrer Fensterwand. Erst am nächsten Morgen wird sie von ihrer polnischen Putzfrau entdeckt und vom Rettungsdienst aus ihrer misslichen Lage befreit. Die zart gebaute elegante Frau über 60 scheint trotz des gebrochenen Beins den Unfall und vor allem den Schockmoment gut überstanden zu haben, nicht aber die zwei Jahre zurückliegende Trennung von ihrem Mann, der die ihr nun fehlende Krücke einfach an die Haustür anlehnt und wegfährt, statt sich wenigstens proforma nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Die gemeinsame Tochter, die immer irgendetwas wichtiger oder dringlicher findet, als ihre verletzte Mutter zu besuchen, hat wenig Verständnis für Helgas Erwartungshaltung an ihrem Vater. Zu all dem alleingelassen-sein-feeling kommt noch, dass ihre Putzfrau just jetzt in den Urlaub fährt und als Vertretung ihren Landmann Ryszard zu ihr schickt, der neben seiner Muttersprache ausschließlich Englisch spricht, was Helge kaum beherrscht. Ohnedies hat die irgendwie zwar schrullig aber gleichsam nach und nach auch sympathisch herüberkommende Dame eine ganz eigene Vorstellung von Reinigungsabläufen, so dass sie Autodidakt Ryszard anfangs sehr auf die Palme bringt. Doch langsam kommen sich die Beiden näher. Heimlich, denn Helge scheut sich davor, ihrem gutbürgerlichen Freundes-Milieu ihre Liaison mit einem Putzmann mitzuteilen, zumal der auch bei einigen ihrer Freundinnen als Urlaubsvertretung die Klos sauber macht.
„Da kommt noch was“ ist eine gesellschaftskritische Komödie von Mareille Klein („Dinky Sinky“, FIPRESCI-Preis und Förderpreis Neues Deutsches Kino für Drehbuch beim Filmfest München 2016) über die bröckelnde bürgerliche Fassade einer älteren Frau, absolut authentisch dargestellt von Ulrike Willenbacher. Ihr zur Seite steht einer der bekanntesten polnischen Schauspieler der Gegenwart, Zbigniew Zamachowski. Mit wohltuend leisem Humor und aus gewisser Distanz zu ihren Protagonisten erzählt der Film über Wohlstandsmenschen um die 60. Die Gesprächsinhalte – der bei den Kaffeetanten wie selbstverständlich mitschwingende Rassismus und Sexismus, ohne sich selbst darüber bewusst zu sein – bei gemeinsamem Kartenspielen müssen jedem auch nur ansatzweise weltoffen und humanistisch eingestelltem Zuschauer fast physisch weh tun – das Lachen darf hier nur im Halse stecken bleiben.
Ryszard könnte für Helga jedenfalls einen Ausbruch aus diesem stecken gebliebenen Leben bedeuten, wenn sie den Sprung wagen würde. Zumindest beginnt das ungleiche Paar – er ist im Übrigen Witwer – gemeinsam ihren Keller zu entrümpeln, die ganzen unnötigen Erinnerungen, die sich seit Jahrzehnten angesammelt haben, dürfen endlich weg. Dass es aber selbst hier Überraschungen wie einen toten Wellensittich in einer von der Tochter aus Angst vor den Eltern vor vielen Jahren versteckten Vogelvoliere gibt, oder eine unfreiwillige Begegnung für Ryszard mit dem Golfschläger von Helgas Ex, der diesen dereinst offenbar nie benutzt hat – statt Golfbälle zu treffen, lieber seine Geliebte besucht hat – geben kann, sind die einzigen Spoiler die wir hier andeuten wollen. Ein wirklich, wirklich guter Film, der auch unbedingt die große Leinwand verdient!
Wenn das Sicherheitsgefühl bröckelt
In dem zweiten Neustarter den wir für den letzten Kinodonnerstag im September unter die Lupe nehmen – „Wir könnten genauso gut tot sein“ – schwingt mancher Mieter einer sehr speziellen Wohnanlage den Golfschläger ebenfalls zu einem ganz anderen Zweck als vorgesehen. In der dystopischen Geschichte von Natalia Sinelnikova versuchen Menschen über Biegen und Brechen in besagte Hausgemeinschaft aufgenommen zu werden. Sie fliehen von einer für den Zuschauer bis zum Ende unsichtbaren Bedrohung. Das Hochhaus liegt abgelegen, die großzügige Gartenfläche ist umzäunt, und es soll jedem den höchsten Grad an Sicherheit bieten. Die allerdings ebenfalls etwas vage bleibenden Aufnahmeregelungen sind nicht einfach zu meistern. Die Sicherheitsbeauftragte Anna (Ioana Iacob) ist für potentielle Neumieter die erste Hürde, sie gibt ihre Einschätzung über die Interessenten an ein irgendwie spooky wirkendes Verwaltungsgremium weiter. Die Hausgemeinschaft schätzt nicht nur den Schutz vor der Gefahr, sondern vor allem die Routine. All das scheint ins Wanken zu geraten, als plötzlich der Hund des Hausmeisters verschwindet. Annas Versuche, eine logische Erklärung dafür zu finden, finden keinen Anklang. Man glaubt lieber an eine Mordtheorie und steigert sich in panische Angst. Auch Anna selbst gerät unter Verdacht, ist sie doch “im Grunde genommen” als eine polnischstämmige Jüdin die selbst wohl noch nicht so lange in der ehrenwerten Gemeinschaft aufgenommen wurde, eine Fremde. Und wieso verlässt ihre Teenager-Tochter plötzlich nicht mehr das Bad?
Die rumänisch-deutsche Produktion hatte in der Sektion Perspektive Deutsches Kino der Berlinale 2022 ihre Premiere. Sie zeigt eine in sich geschlossene, künstlich am Leben erhaltene Welt, die nicht von Dauer sein kann. Allerdings schafft es der Film nicht nachhaltige Spannung beim Zuschauer zu wecken oder gar die durch die Synopsis angelegte Erwartungshaltung auch nur ansatzweise zu befriedigen. Vieles ist auch einfach richtig schlecht inszeniert. Es fehlt vor allem über weite Strecken jede Spur von Mut, wahlweise bissiger, ironischer oder wenigstens deutlicher zu werden. Auch schauspielerisch absolut unterdurchschnittlich.