Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Drei mal zwei Konfliktparteien ergeben fünf Geschichten

Unterschiedlicher könnten die Dareichungsformen der an diesem Kinostartwochenende spannendsten Filme, die allesamt je einen spezifischen Konfliktherd zum Thema haben, nicht sein: “Mittagssonne” aus Kroatien erzählt scheinbar unmögliche Liebesgeschichten vor dem Hintergrund eines ethnischen Konflikts; in “High-Rise” (nach dem gleichnamigen Roman von J.G. Ballard, 1975) wird ein modernes Hochhaus zum Schauplatz des Klassenkampfs; und in “90 Minuten – Bei Anpfiff Frieden” versuchen Israelis und Palästinenser den sogenannten Nahostkonflikt sportlich zu lösen.

MittagssonneIn seinem als den ersten Teil der “Trilogie der Sonne” angekündigten Film “Mittagssonne” beschäftigt sich Regisseur Dalibor Matanić mit der schwierig bis gar unmöglich gewordenen Liebe in Zeiten eines ethnischen Konflikts. Drei verschiedenen Paare in drei Jahrzehnten stehen im Mittelpunkt, Handlungsort ist jeweils ein und das selbe Dorf in Kroatien: Die Geschichten spielen im 10-Jahrestakt – 1991, 2001 und 2011. Durchweg hervorragend dargestellt werden die stets unterschiedlichen Protagonisten vom gleichem Schauspielerpaar, Tihana Lazović und Goran Marković. Zunächst wirken die Beiden als Ivan und Jelena – sie Serbin und er Kroate: sie stammen aus benachbarten Dörfern und erleben das schönste Gefühl der Welt, das durch Hass und Nationalismus hier spürbar nicht von langer Dauer bleiben kann, denn in beiden Gemeinden wird ihre Liebesgeschichte mit großem Argwohn betrachtet. Krieg liegt ohnedies in der Luft. Und so planen Ivan und Jelena gemeinsam wegzuziehen – nur die Eltern und der beste Kumpel sind eingeweiht. Was dann passiert ist tatsächlich dermaßen eindrücklich inszeniert, dass es den Zuschauer zwar vorbereitet, aber letztlich gnadenlos in Mark und Bein trifft. Und auch in der direkt folgenden Episode geht dieser Film dorthin wo’s weh tut. Die Hauptfiguren heißen nun Natascha und Ante und man erkennt die Darsteller auch nicht sofort wieder: der Krieg ist formal vorbei, doch auch bei denen, die nicht zuhauf Familienmitglieder verloren haben, sind die Wunden des Konflikts noch sehr tief. Die zerbombte Umgebung (Natascha muss notgedrungen einen “Feind” mit Instandsetzungsarbeiten beauftragen) im Dorf tut ein Übriges, dass Liebe, erst recht zwischen den Ethnien, weiterhin keine Chance zu haben scheint. Einzig in der dritten Geschichte, der von Luka und Marija keimt ein Funken Hoffnung, dass wenigstens die jungen Leute Engstirnigkeit und Rassismus ihrer direkten Umgebung (die Eltern mischten sich augenscheinlich vor Jahren ein, Misstrauen und tumbe Vorurteile sind weiterhin greifbar) überwinden könnten.

Bei diesem Film passt einfach alles – Drehbuch und Regie stammen ohnedies von der selben Person, und das besagte Schauspielerduo meistert jede der drei sehr verschiedenen Aufgaben mit Bravour. Auch die Nebenrollen sind mit hervorragend agierenden Darstellern besetzt. Vor allem aber sind obwohl es bis auf eine Ausnahme keine Toten oder Kriegshandlungen zu sehen gibt, die Bilder durchweg ergreifend, die psychischen Kriegsfolgen pausenlos greifbar. Gut auch, dass die Hintergrundmusik stellenweise durchaus sehr emotional daherkommt, aber stets unaufdringlich eingesetzt ist. Eindeutig der Film der Woche!

High-RiseEin Prädikat das den – um es vorweg zu nehmen – ebenfalls rundum stimmigen Eindruck den der Science-Fiction-Film “High-Rise” von Regisseur Ben Wheatley bietet, nicht schmälern soll. Wer den in Deutschland auch als “Hochhaus” erschienenen Roman von James Graham Ballard aus dem Jahr 1975 kennt, wird in jedem Fall (an)erkennen, dass hier ein bisher als unverfilmbar geltendes Werk weitgehend “bezwungen” wurde. Der Soundtrack, der unter anderem ein sehr außergewöhliches ABBA-Cover umfasst, passt hervorragend zu der doppelbödigen, teils sarkastischen, teils beklemmenden Erzählweise und den beeindruckenden und teils bedrückenden, teils an “spätrömische” Dekadenz denken lassenden Bilderwelten.

Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht banal eine Klassengesellschaft anhand des Privilegs etagentechnisch nicht im unteren Bereich wohnen zu müssen oder gar im Penthouse nebst schier grenzenlosem Dachgarten wohnen zu dürfen, darzustellen: ersaunlicherweise trägt dies über die gesamte Filmdauer, lässt gar ausreichend Raum zum Philosophieren und für die Nachvollziehbarkeit von offenkundig schon länger schwelenden Konflikten. Die Hauptfigur Robert Laing (Tom Hiddleston), ein junger wohlhabender Arzt, ist der jüngste Neuzugang in dem von außen extrem kühlen, ja unwirklichen Prachtbau des Architekten Anthony Royal (Jeremy Irons), der selbst besagte oberste Luxuxetage bewohnt und eindeutig jedwede Bodenhaftung verloren hat. Nicht nur die Beiden, sondern sämtliche Menschen in diesem modernistisches Haus scheinen im Übrigen vom Rest der Stadt abgeschnitten. Da es theoretisch jedem hier Alles für ein Luxusleben bietet – Swimmingpool, Fitnessstudio, Supermarkt, Raum für rauschende Partys und ähnliches – braucht man das Gebäude bestenfalls noch für die Arbeit verlassen. Und obwohl es somit eine weitgehend geschlossene, ist es doch eben alles andere als eine gleichberechtigte Gesellschaft. Insofern scheint besagter Laing von Beginn an eine Sonderrolle zugedacht: Im Laufe der Zeit freundet er sich mit der alleinerziehenden Mutter Charlotte Melville (Sienna Miller) nämlich ebenso wie mit dem anarchistischen Dokumentarfilmer Richard Wilder (Luke Evans) und dessen Frau an, und lernt gar den Architekten besser kennen. Kurzum: Während für viele andere die sozialen Unterschiede im Gebäude, die irgendwann in blutrünstige Konflikte umzuschlagen drohen, kaum überwindbar scheinen, schwebt er als Bewohner der mittleren Etagen, scheinbar ein wenig über den Dingen.

90Minuten_Bei_Abpfiff_FriedenIn früheren Zeiten, als gegnerische Armeen mit Schwert, Speer oder Pfeil aufeinander losgingen, gab es teils die Option, dass von beiden Seiten je ein kräftiger Mann für einen Zweikampf ausgewählt wurde, was dann den Sieg für die eine oder andere Seite bringen konnte. Gleichzeitig haben für viele Menschen bis heute manche sportlichen Duelle leicht kriegsähnliche Züge – nur, dass es zwar mitunter noch kräftig auf die Knochen gibt, aber doch gemeinhin immerhin alle “Kämpfer” lebend vom Platz gehen. “Kämpfen bis auf’s Blut”, “Sieg für die Ehre” und viele andere Floskeln wie sie keineswegs nur Ultra-Fans von sich geben, wirken jedenfalls nicht zufällig martialisch. Vor diesem Hintergrund nun ein Film, der einen tiefersitzenden Konflikt zwischen zwei Parteien mit einem Fußballspiel auflöst und das Ganze nebenbei noch gekonnt in eine authentisch wirkende Mockumentary packt, könnte ein interessantes Leinwandprodukt ergeben. Und tatsächlich macht “90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden” vieles richtig. Namentlich geht es um die fiktionale Ausgangslage, dass das endgültige Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts auf dem grünen Rasen besiegelt wird, der siegreichen Nation das gesamte Gebiet rund um Gazastreifen, Jerusalem, Westjordanland und Co. für sich alleine zugesprochen werden soll. 90 Minuten, vielleicht noch eine Verlängerung und schlimmstenfalls als letztes i-Tüpfelchen ein Elfmeterschießen und der Verlierer sucht sich wo und wie auch immer eine neue Heimat – und Ruhe ist!

Das große Problem der deutsch-israelischen Produktion des Regisseurs Eyal Halfon, der in dieser Form (Achtung! Spoileralarm: der Zuschauer erfährt am Ende nicht wer als Sieger vom tatsächlich bis zum Ende gekämpften Match vom Platz geht) eben diese Lösung durchspielt, ist nicht so sehr, dass wir hier ja über einen fortdauernden, also noch sehr realen Konflikt reden, sondern dass der Film, der zwar beiden Parteien (und vor allem auch der Fifa) Seitenhiebe gibt, letztlich zwischen den Zeilen so tut, als ob hier schlicht zwei Sturköpfe aneinandergeraten sind, wo es eben immer mal wieder richtig Ärger gibt, keiner nachgeben kann, sich also sozusagen irgendetwas auf Augenhöhe bewegt. Aber gerade das ist im Nahostkonflikt seit Jahrzehnten nicht der Fall! So verachtenswert selbstverständlich auch jede abgefeuerte Rakete Richtung Israel ist (wenngleich eben ein Abwehrschild gemeinhin absolut zuverlässig jedwede scheinbare Gefahr aus den Palästinensergebieten sprichwörtlich verpuffen lässt) und erst recht jede Attacke, die sich bewusst gegen wirkliche Zivilisten richtet, wenngleich insbesondere aus letztgenannten Aktionen gemeinhin die absolute Ohnmacht unterdrückter Menschen spricht: allein die Todeszahlen aus 2014 sind mehr als eindeutig, extrem ernüchternd. Denn während vor allem Schlagzeilen deutscher Mainstreammedien den Eindruck gleicher Schuld oder gar größeres Leid (und Gefahr) für jüdische bzw. israelische und oder zionistische Menschen suggerieren, betonte neben Amnesty International selbst die Untersuchungskommission der “Vereinten Nationen” (UNHCR) die absolute Unverhältnismäßigkeit der jeweiligen Vergehen. Zu Lasten der Palästinenser gab es 2251 Tote, wobei selbst bei strengster Auslegung einer Kämpfer- oder kampfbereit-Definition weit mehr als die Hälfte Zivilisten (darunter viele Frauen, Rentner und gar zahllose Kleinkinder) waren und auf der anderen Seite 67 (in Worten sechsundsiebzig) tote israelische Soldaten, sowie sechs tote Zivilisten zu betrauern waren. Und wenn man sich dann noch an ein falsches Spiel Netanjahus sogar auch mit der eigenen Bevölkerung im Vorfeld dieses perversen Mordens erinnert, oder auch nur am Rande mitbekommt, was auch just in den letzten Tagen wieder in “Nahost” passierte… Nein, da bleibt einem leider generell das Lachen im Halse stecken, wenngleich man wirklich anerkennen muss, dass sich der Streifen wirklich bemüht, im fiktionalen Spiel beide Seiten mindestens gleichwertig abzustrafen, wenn nicht die israelische gar einen Hauch mehr. Und wirklich gut gesetzte Selbstironie kommt da ja noch obendrauf.

Im Fokus stehen jedenfalls zwei Männer, der Vorsitzende des israelischen Fußballverbands (Moshe Ivgy) und sein Kollege auf palästinensischer Seite (Norman Issa), die sich zunächst nicht einmal für einen passenden, für beide Seiten ausreichend neutral erscheinden Schiedsrichter, entscheiden können. Mit dabei ist auch Detlef Buck als deutscher Trainer der israelischen Nationalelf, dem die wachsende Verantwortlichkeit absehbar zuviel wird. Besonders sehenswert sind – wenn man den Gesamtrahmen hinnimmt – jene Szenen, die empathische Menschen ein klein wenig erahnen lassen, was es wohl für die palästinensische Zivilbevölkerung bedeuten muss, im größten Feilandgefängnis der Welt in ihren Menschenrechten und überdies nahezu allen wirtschaftlichen Möglichkeiten gravierend beschnitten zu sein, wenn sogar in der unmittelbaren Vorbereitung dieses Fußballspiels die Protagonisten an Checkpoints schikaniert werden.

Bezeichnend, dass es Journalisten etwa der “Zeit” dennoch schaffen, vom Regisseur wohl bewusst ungleich gesetzte Dinge, die im Filmverlauf passieren, so darzustellen, dass beide Seiten im Vorfeld des Anpfiffs “foul spielen” – so tun, als ob es keinen qualitativen Unterschied macht, es vielmehr eben überhaupt nicht objektiv als unsportlich betrachtet werden kann, wenn das palästinensische Team seinen im Exil spielenden Star an den israelischen Wachen vorbei durch ein Tunnelsystem ins Land schmuggeln muss, die andere Seite aber einen weiteren Schlüsselspieler Palästinas, der aber eben rein von den Regularien sich auch für das israelische Nationaltrikot hätte entscheiden können, mit wirklicher (!) Waffengewalt spielunfähig schießt oder eben, wie bereits angedeutet, die professionelle Vorbereitung jenes Teams mit in den panarabischen Farben gehaltener Flagge nachdrücklich torpediert. Unsererseits stellen wir zusammenfassend fest, “90 Minuten” hätte weitaus mutiger sein müssen. Gerne inklusive stärkerer Thematisierung von Selbstmordattentaten oder Provokationen zulasten israelischer Zivilisten, aber eben vor allem ohne die hier leider gegebene Ausblendung der unmittelbaren Folgen des illegalen Siedlungsbaus oder des seit Jahren völlig enthemmt auftretende Militärpolitik, die vermeintliche Täter ohne jedwedes Gerichtsverfahren exekutieren lässt und offenbar Kollektivbestrafungen befürwortet, aberwitzigerweise Netanjahu trotz alledem vom Westen noch immer nicht als Despot gebrandmarkt wird. Im Gegenteil: jeder der analog der jüngsten Entscheidungen gegen Russland oder vor vielen Jahren gegen Südafrika selbst “nur” einen Wirtschaftsboykott fordert, wird hierzulande kampagnenmäßig verunglimpft. An wen viele Tatsachen vorbeigehen, auch weil sie medial leider keine oder nur kleine Schlagzeilen machen, sollte statt über einen Kinobesuch nachdenken, vielleicht – als erstes Herantatsen – in die Suchmaschine seines Vertrauens beispielsweise Begriffpaare wie Israel und Kadewe oder EU und Weinkennzeichnung Nahost eingeben und Bauklötze staunen, wie deplatziert wichtige Kritik als Antisemitismus diffamiert wird…



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