Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Michael Moore als freundlicher Invasor und zwei Mal zu Opfern gewordene Kölner

In dieser Woche startet in Deutschland unter anderem “Where To Invade Next” – Michael Moore will Konzepte für bessere Arbeits-und Lebensbedingungen als “Eroberungsstücke” aus anderen Ländern in die USA holen. Der zweite Film, der uns von den Neustarts besonders beachtenwswert schien: “Der Kuaför aus der Keupstraße” widmet sich den Bewohnern der gleichnamigen Straße in Köln-Mühlheim, in der im Juni 2004 ein dem NSU zuzurechnender Nagelbombenanschlag stattfand und in der Folge deutsche Behörden die Anwohner, die dadurch teils lebensbedrohlich verletzt worden waren, perfiderweie lange wie Täter behandelte.


michael_moore_where_to_invade_nextMichael Moore reist auf einer Art Eroberungszug durch die “halbe” Welt – mit einem “Augenzwinkern” hat er eine große Ausgabe der amerikanischen Flagge im Gepäck, die er (wie vermeintlich einst jemand auf dem Mond) hier und da in fremden Boden rammen will. In jedem Fall erfreulicherweise ganz ohne irgendwo auch nur einen toten Zivilisten oder zerstörte Gebiete zu hinterlassen, wie man es ansonsten gewohnt ist – und wie es in den ersten Sequenzen von “Where To Invade Next” auch im Zeitraffer erinnert wird -, wenn US-Amerikaner auf vorgeblichen Friedensmissionen (oder früher unverholener Eroberungs/Feldzügen) im Ausland unterwegs sind. Mehr noch. Beziehungsweise noch weniger – Von Moore selbst so genannte “Ein-Mann-Armee” nimmt nicht mal fremde Bodenschätze mit zurück in die Staaten, auch kein Öl, sondern einzig konzeptionelle Ideen “abschauen”: soziale Lebensbedingungen für Menschen der bereisten Länder, von denen Moores Landsleute anscheinend nicht mal mehr träumen können, importieren bzw. in den USA wieder in Erinnerung bringen. Zum Beispiel kostenfreies Studieren in Slowenien, hochwertiges Schulessen in Frankreich (bereits die Abbildung einer detaillierten Steuerabrechnung, aus der jeder französische Arbeitnehmer minitiös nachvollziehen kann, in welcher Höhe was in welche Teilbereiche der Staatsausgaben fließt, wäre u.E. nicht “nur” für amerikanisches sondern auch für deutsches Publikum absolut beneidenswert), das 13. Monatsgehalt in Italien, Menschenwürdige Gefängnisse in Norwegen – auch “nach Breivik” oder der Schutz der Privatssphäre der deutschen Angestellten – im Sinne, dass es hier (noch) keine 24/7 Erwartung der Brötchengeber geben darf…

Auf Moores Route liegen auch nicht-europäische Staaten, wie zum Beispiel Tunesien. In seiner gewohnten Manier – witzig und bissig – schneidet er in Wort und Bild zum jeweiligen Vorbild kritische Gedanken zu seiner Heimat, verstärkt durch bestürzte Kommentare seiner Gesprächspartner im Ausland, die es allesamt kaum glauben können, dass in den USA Sozialstandarts ein absolues Fremdwort sind. Und tatsächlich könnten die vom Invasor gezeigten Beispiele für Zuschauer in seiner Heimat beeindruckend sein, um ihnen (und vor allem der “Politik” dort) Denkanstöße und letztlich mögliche Modelle zur Veränderung an die Hand zu geben. Allerdings – noch weitaus krasser als in seinem Film “Sicko” (über das Gesundheitssystem in den USA im Vergleich mit anderen Ländern) – scheint Moore von der einen oder anderen Geschichte so beeindruckt, dass er vollkommen übersieht, dass dieses und jenes dass er hier vorstellt, auch in den portaitierten Ländern keineswegs (mehr) als allgemeingültig betrachtet werden kann. Bewusst oder unbewusst lässt er – weil wir dies Land natürlich am Besten beurteilen können, könzentrieren wir uns auf die Kapitel zu Deutschland – etwa völlig außer Acht, dass nicht zuletzt, aber verstärkt durch die Hartz-4-Gesetze und die Euroeinführung, das Realeinkommen rapide abgenommen, Zeitarbeitsfirmen boomen, viele Menschen inzwischen zwei Jobs annehmen müssen – der Abbau des Sozialstaates auch Dank der fortdauernden Einflüsse der USA auf das hiesige Wirtschaftssysteme voranschreitet, eine wirkliche Mittelschicht fast nicht mehr existiert und vor allem, die die ohnedies seit Jahren am unteren Ende der Einkommenstabelle stehen, von den ebenfalls vorgeführten Errungenschaften wie Mutter-Kind-Kuren – die bei Moore ohnedies wie ein Leben im Schlaraffenland erscheinen – nicht mal mehr träumen.

Neben dem Arbeitsmarkt “berichtet” Moore bei seinem Besuch in der BRD auch noch vom hier vermeintlich omnipräsenten Geschichtsbewusstsein, insbesondere in deutschen Schulen, aber auch beispielsweise dank der sogenannten “Stolpersteine”. Namentlich Gedenken an die Nazi-Verbrechen – was natürlich fraglos tatsächlich nominell auf jedem Lehrplan steht. Und es passt auch absolut, dass Moore anhand einer allerdings äußerst idealtypisch ausgewählt scheinenden “Musterklasse” seine eigenen Landsleute ermahnt, in Bezug auf Massakern an Indianern und Sklaven doch auch ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Was indes wieder gänzlich unerwähnt bleibt, ist dass seit Jahrzehnten in Deutschland nationalistischer Extremismus mitunter gar wieder tödliche Folgen für Nicht-“arisch”-aussehende Menschen in sich birgt, dass auch quer durch die aktuellen Bundestagsparteien Hetze und Gesetze gegen Minderheiten fast schon alltäglich sind. Wenngleich 2015 im Ausland vermeintlich Merkel mit ihrer Immerhin-Geste, Flüchtlinge nicht zum unmittelbaren Spielball von innereuropäischen, perversen Spielchen werden zu lassen, zu Recht positive Aufmerksamkeit erfuhr, darf das – was keineswegs “nur” im Kontext NSU, in den 1990ern in Rostock oder Mölln – sondern unter anderem verstärkt die vergangenen Monate in der gesamten (!) Republik an brennenden Heimen oder menschenfeindlichen Talkshows im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stattfindet ersatzlos ausgeblendet werden!

Wenn man nun aber weiss – im Abspann kommt es ans Licht -, dass Moore auch etwa in Deutschland sich sträflicherweise wohl auf die Objektivität mehr oder minder namhafter Kollegen verlassen hat, wird so einiges verständlicher, erscheint aber natürlich umso ärgerlicher. Für die Recherchearbeit in Deutschland zeichnet unter anderem die nun von GEZ-Geldern finanzierte Lena Kampf (ehemals Stern) verantwortlich. Nach dem sogenannten Auffliegen des NSU erschien uns ihre Arbeit gar selber ansatzweise
hoffnungsvoll, aber im Detail ließ sich dann beobachten, wie sie “sehr gut” zu gewichten (bzw. wegzulassen) weiß, dass erkennbare rote Linien nicht überschritten werden, etwa wenn sie im Doppel mit SZ-Mann Tanjev Schultz (der wiederum schon lange vor Prozessbeginn in einer besonders widerwärtigen Homestory mit dem NDR versuchte, “Verfassungsschützer” Andreas Temme, der beim Mord an Halit Yozgat in Kassel eine mehr als dubiose Rolle spielte, gänzlich rein zu waschen) über mysteriöse Todesfälle aufgrund einer angeblich unentdeckten Diabetis “berichtete”.

Tragikomischerweise ist es Kampfs’ Ex-Arbeitgeber Stern, dort eine namentlich bisher ohnedies nicht für ihr besonders erlesenes Kulturverständnis bekannte Sophie Albers (zu “Netzeitung”szeiten als wir sie das erste Mal auf den Schirm bekamen noch ohne Doppelnamen “Ben Chamo”), die Moores Film in den höchsten Tönen lobt, und einzig mit “Ja, das wird alles in Extremen erzählt. Schattierungen? Nein, danke.” andeutet, was das große Problem an diesem Film ist.

kuafoer_keupstrasseIn der Dokumentation “Der Kuaför aus der Keupstraße” von Andreas Maus, der unter anderem für das Magazin Monitor tätig ist, dreht sich alles um die auch mittelbaren Folgen des dem so genannten NSU zuzurechnenden Nagelbombenanschlags im Sommer 2004 in der gleichnamigen Kölner Straße, die als Zentrum für das türkische Geschäftslebens galt: Zerstörte Geschäfte, teils lebensbedrohlich verletzte Menschen und der damalige Innenminister Schily, dessen Aussage kurz danach richtungsweisend für die Ermittlungen werden sollte: kein Terroranschlag, sondern eine Tat aus dem kriminellen Milieu. Und so wurden die Bewohner der Keupstrasse zum zweiten Mal verletzt: sie wurden jahrelang als Täter vom “Rechtsstaat” und seinen auch sonst oft frgwürdig arbeitenden Ermittlern regelrecht in die Mangel genommen.

Der Regisseur konzentriert sich auf vier Personen: die Frisör-Brüder Özcan und Hasan Yildirim, vor deren Laden die Bombe im Koffer eines abgestellten Fahrrads lauerte, und deren Freunde, die sich zu diesem Zeitpunkt in Frisörsalon befanden, Abdulla Özkan und Atilla Özer. Diese schildern sehr bildhaft ihre Erlebnisse nicht nur während der Explosion, sondern vor allem danach: wie sie als Täter oder Mitwisser beschuldigt wurden, jahrelang mehrmals von der Polizei vernommen und beschattet wurden. Teils werden diese Verhöre durch Schauspielszenen nachgestellt, indem Originalakten als Teil des Drehbuchs dienten. Dieser dramaturgische Kunstgriff funktioniert nur an wenigen Stellen. Und dann muss der gemeinhin bisher wohl nicht sonderlich tief in die Abgründe des NSU-Komplexes eingetauchte Zuschauer ohne Off-Einordung auf kleine Taschenspielertricks aberwitziger Beamtenvorbehalte achten: Zum Beispiel als der vernehmende Polizist einen der vier Kölner aus der Keupstraße fragte, wie er denn sein Darlehen zurückzahlen konnte bei 100.000 DM Ablöse für den Frisörsalon und monatliche Umsätzen von ca. 4.000 Euro – also nebenbei die Währungen wechselt – oder wenn der Staatsdiener dem Friseurladenbesitzer einen “Tipp” gibt, er könne Schutzgelder, die er laut Überzeugung der Polizei bezahlt hatte, nachträglich als Betriebsausgaben zu seinem Steuervorteil nutzen, wenn er nur die Namen der Täter nenne.

In die Dokumentation fließen auch Beobachtungen beim” Bürgerfest Birlikte” (“Zusammenstehen”) aus dem Jahr 2014 ein – im Grunde war es ein Umsonst-und-draußen-Konzert, formal zum zehnten Jahrestag des Terroranschlags in der Keupstrasse. Es zieht einem beim Fremdschämen alles zusammen, wenn Gauck im Frisörsalon die Brüder im saloppen Ton etwa fragt “Wie lange war der Laden zu nach dem ganzen Theater?” Erstaunlicherweise finden die Yildirims vor der Kamera für diese traurige Inszenierung für die Journallie noch Lob, ihr Kumpel Abdulla Özkan spricht es hingegen offen aus: die Feier war “für den Arsch”, er habe nun gar noch stärker das Gefühl “Opfer 2. Klasse” zu sein – denn statt wirklicher Unterstützung gab es nur Worthülsen der Politiker – selbst beim Konzert gab es für die in der Keupstrasse Geschädigten oder bei den reden auf der Bühne nennenswert Beachtung oder auch nur spürbaren Respekt.

Von der Seite der Behörden ist im Film gleich zweimal der damalige Kölner Polizeipräsident zu hören, der sehr wortkarg bleibt und an seinen Untergebenen nichts auszusetzen weiß – was er insbesondere damit erklärt, dass er in die Details der Ermittlungen naturgemäß nicht involviert war und heute auch ohnedies nichts mehr nachvollziehen kann,w as *vielleicht* schief gelaufen sein könnte. Da wohl Vertreter der Staatsanwaltschaft und Polizisten dem Regisseur für ein Interview Absagen erteilten, wendet Maus einen weiteren Kunstgriff an – lässt auch Szenen wo Ermittler vorm Parlamentarischen Ausschuss des Bundestages aussagen mussten, nachspielen – was ebenfalls absolut unnatürlich dargeboten wird.

Es ist schön, dass erkennbar ist, dass die Macher mit den Opfern Mitgefühl haben, aber nicht zuletzt auch die aufgesetzte Betulichkeit mit der Keusptrassen-Bewohner und ihre Arbeitsplätze in betont langen, pseudo-kunstvollen Einstellungen unbeweglich in die Kamera schauen müssen, oder eine von der “Tonfarbe” schlicht nervtötende Off-Stimme salbungsvolle Sätze abspult – aber wenn einem die konkreten Opfer und erst recht potentielle künftige weitere Opfer von politischen Gewalttaten am Herzen liegen, man Rassismus und Menschenfeindlichkeit nachdrücklich bekämpfen möchte, müsste man schonungslos wenigstens jeden heute bekannten blinden Fleck, jede andauernde Vertuschung beziehungsweise das von vielen Mainstremmedien geführte “was nicht passt, wird passend gemacht” Spiel erwähnen, idealerweise ausleuchten, aufdecken. Das passiert in der Dokumentation “Der Kuaför aus der Keupstraße” nicht mal zwischen den Zeilen.

Dabei ist insbesondere rund um das Nagelbombenattentat besonders viel ungeklärt – etwa was es mit einem zweiten Fahrrad mit Hartschalenkoffer auf sich hatte – wir raten jedem politisch, gesellschaftlich Interessierten tiefer einzutauchen – in der hier hinterlegten Zeitschrift-PDF sind zahllose, auch im Jahr 2015 und noch heute bestehende offene Fragen akribisch zusammengetragen. Wäre dieser Streifen 2005 entstanden, wäre er sehr löblich gewesen, im Jahr 2012 auch noch akzeptabel. Aber mit dem Wissen von heute, was zwischenzeitlich glatt gebügelt wird im Oberlandsgericht München und in Mainstreammedien, eben beim besten Willen nicht mehr. Immerhin: dadurch, dass Betroffene recht ausgiebig und augenscheinlich sehr frei zu Wort kommen, gibt es Raum für die bei Kennern des NSU-Komplexes durchaus für plausibel empfundene These, dass polizeiliche Vernehmungsprotokolle gravierend frisiert wurden.

Wirkliche Aufklärungsbemühungen waren, wo neben WDR auch noch Spiegel und einige der unseres Erachtens peinlichsten Nebenklägeranwälte im Abspann als mehr oder minder direkt an der Gesamterzählung Mitwirkende erwähnt werden, ohnedies nicht zu erwarten. Aber dies ausführlich zu begründen würde den Rahmen einer jeden Filmkritik sprengen. So bleibt als abschliessendes Erturteil zu dem Film selbst nur: wer den Streifen oberflächlich betrachtet, wird sogar mit den doppelt zum Opfer gemachten Menschen mitleiden können. Das ist zumindest ein Ansatz.



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