Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Eine Perle, eine lobenswerte Produktion sowie ein halber und ein ganzer Totalausfall

Neu im Kino: Mit „Mediterranean Fever“ aus Palästina kommt diese Woche ein ebenso schwarzhumoriges wie feinfühliges Drama ins Kino. Es geht um Depressionen, Männerfreundschaft und ungewöhnliche Abmachungen in der Stadt Haifa. Der Kinderfilm „Oink“ plädiert derweil sehr nachdrücklich für einen veganen Lebensstil, in „Music“ geht es vermeintlich um den Ödipus-Mythos und in „Meine Schwester, ihre Hochzeit & ich“ plagt sich der Bruder der Braut mit dem Gedanken, eine Rede beim Fest halten zu müssen.

Der Titel des zweiten Films der preisgekrönten palästinensischen Regisseurin Maha Haj („Personal Affairs“) ist einer real existierenden Krankheit entlehnt. Das „Mediterranean Fever“, das Leiden unter immer wiederkehrenden Fieberschüben in Kombination mit Gelenkschmerzen befällt offenbar vor allem Menschen im östlichen Mittelmeerraum. Weil auch der 12jährige Sohn von Waleed (Amer Hlehel) immer wieder wegen unerklärlicher Bauchschmerzen von der Schule abgeholt werden muss, geht der Vater mit ihm zu einer israelischen Ärztin, die bei dem Jungen eben jenes „Mediterranean Fever“ vermutet – für die Diagnose muss ein Patientenbogen ausgefüllt werden, in dem es auch um die Zugehörigkeit zu einem Volkstamm und die  Frage der Religion geht. Diese Angabe verweigert Waleed bzw. beharrt darauf, dass statt einer klassischen Antwort zu letztgenanntem Punkt vielmehr Palästinenser als Glaubensbekenntnis notiert werden soll. Später findet er heraus, dass sein Junge die Bauchschmerzen immer vor einem nahenden Geografieunterricht bekommt: die Lehrerin vertritt – anders als vom Vater gelehrt – eine extreme israelisch-hörige Sichtweise zu Nahostfragen…

Dabei ist der israelisch-palästinensische Konflikt vordergründig betrachtet gar nicht so sehr Thema dieses herrlich schwarzhumorigen Films, der als palästinensischer Beitrag für die Oscars 2023 eingereicht wurde. Die Fragen klingen eher am Rande, in Form von Nachrichten im Fernsehen über die von Netanjahu zu verantwortenden Gräuel im Freiluftgefängnis Gaza oder bei Streifzügen in bestimmten Vierteln der Hafenstadt Haifa an. Formal betrachtet liegt der Fokus vielmehr auf Waleed, der seine Bankkariere an den Nagel gehängt hat und sich nun als Schriftsteller verwirklichen möchte. Er bleibt aber von der Muse ungeküsst, kümmert sich daher verstärkt um den Haushalt und die beiden Kinder. Seine Frau, eine sympathische Krankenschwester, verdient für die gesamt Familie – typische Geschlechterrollen nimmt der Film nebenher auch ins Visier. Der gleichwohl ruhige, sanftmütige Mann im Mittelpunkt der Geschichte, der nur zum Thema Palästina und Israel nachdrücklich unversöhnlich auftritt, wird trotzdem keine Sekunde der Lächerlichkeit preis gegeben. Er hat – das erfährt der Zuschauer erst nach und nach –  ein gewichtiges Problem: er leidet unter Depressionen, missachtet gleichwohl die Ratschläge seiner Therapeutin. Doch nun hat Waleed einen neuen Nachbarn – zwischen den beiden Männern entwickelt sich nach anfänglicher Skepsis eine komplizierte Freundschaft.

Bei der Familie die da frisch einzieht und gleich mit einer gewissen Selbstherrlichkeit auffällt, scheint der Mann auch viel zu Hause zu hocken. Jalal (Ashraf Farah) ist trotzdem das glatte Gegenteil von Waleed: laut, lustig, handwerklich begabt, ein kleiner Gauner, Ehebrecher und erklärtermaßen überhaupt nicht interessiert an Politik. Nach den anfänglichen Reibereien freunden sich die Beiden langsam an – Waleed scheint dadurch aus seiner Lethargie zu erwachen. Und als er dann irgendwann Zeuge wird, wie Jalal von größeren Gaunern, denen er wohl viel Geld schuldet, bedroht wird, macht er ihm ein Angebot: Wenn dieser für ihn als Auftragsmörder fungiert, will ihm Waleed bei seinen Geldsorgen helfen. Die Geschichte bekommt ab hier mehrmals eine ungeahnte Wendung.

Die aus Nazareth stammende Regisseurin Maha Haj hat für „Mediterranean Fever“ den Drehbuchpreis in Cannes errungen. Bereits der Einstieg in ihrem Film mit einem abstrusen Wahntraum von Waleed deutet an, dass es hier durchweg ironisch laufen kann. Haj schafft es meisterhaft, die Geschichte auf mehreren Ebenen zu erzählen, ohne dass sich die politische in den Vordergrund drängt. Zu ihrem Film sagt sie, dass sie das Thema Depression von der gesellschaftlichen auf die individuelle Ebene übertragen wollte. Waleed als typischer Vertreter arabischstämmiger Haifa-Bewohner teile das vielen Palästinensern vertraute „Gefühl der Gefangenschaft und Enteignung“.

Dass speziell die “Jüdische Allgemeine” und der in zahlloser Hinsicht seit Jahren unerträgliche Tagesspiegel eine Filmemacherin, die die menschenverachtende und allzu häufig mörderische Politik des Netanjahu-Regimes auf der Leinwand auch nur zwischen den Zeilen kritisiert, abwatschen muss, ist leider erwartbar. Aber wenn man dann dort die beiden betreffenden “Rezensionen” liest, die den Film vordergründig gar nicht mal schlecht reden ,kann man nur noch aus Scham den Kopf schütteln. Bei beiden Gazetten werden Palästinenser notorisch in Anführungszeichen gesetzt – und dann zur Krönung Haj angedichtet mit ihren Äußerungen in Interviews, Grenzen zu überschreiten. “Im Abspann des Films etwa” würde Israel “als Produktionsland gar nicht erwähnt, obwohl dort teilweise sogar gedreht wurde. Stattdessen steht in den Credits Palästina. Als Haj bei den Filmfestspielen in Cannes […] ausgezeichnet wurde, widmete sie den Preis der vermeintlich von israelischen Soldaten in Jenin im Westjordanland erschossenen palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh”. Man sollte diese “Journalisten” auf Schritt und Tritt mit Anzeigen überziehen: Shireen Abu Akleh wurde vermeintlich erschossen? Was dann das immer noch auch von dem mit GEZ-Zwangsgebühren finanzierten Herausgeber Giovanni di Lorenzo verantwortete Blatt in Sachen Produktionsgelder an Schmutzkampagne versucht ist Nichts Geringeres als eine Filmförderanstalt öffentlich anzuzählen, wen oder was diese fortan unterstützen darf und was nicht. Durch all die Dreckskampagnen der vergangenen zehn Jahre gegen kritische und unabhängige Wissenschaftler, Historiker, Journalisten und Künstler aus dieser Schmierfinken-Ecke – sei es zu 9/11, Corona, friedenspolitischen Themen, Polizeigewalt, Rede- und Demonstrationsfreiheit und vielem anderen mehr – weiß man, dass diese Arbeitsweise am Ende aufgeht im Land der  Islamophobie, Gleichklang-Presse und pseudowoken Cancel-Culture.

Drei weitere Neustarts der Woche im Schnell-Check:

Oink – in dem Animationsfilm des Niederländers Mascha Halberstad aus geht es um das Mädchen Babs, das ihr Haustier, ein Schweinchen was sie – Überraschung – der Einfachheit halber Oink tauft, vor ihrem von der ersten Sekunde an als Fiesling erkennbaren Großvater, der nach jahren plötzlich wieder aus der Versenkung auftaucht,  zu retten versucht: denn er will – das naseweise Mädchen ahnt das natürlich – mit dem Tierchen bei einem Würstchenwettbewerb den Hauptpreis gewinnen und eine frühere Schmach wettmachen will. An sich wäre das ein netter Kinderfilm mit Pupen als Hauptfiguren, abseits von typischen Sehgewohnheiten, auch ist Nichts dagegen zu sagen, Kindern ein veganes Leben als Möglichkeit anzubieten. Die miterzählte Geschichte einer  “Sandkasten”-Freundschaft und die Rettungsaktion haben an sich viel Potential, wäre da nicht die am Reißbrett holzhammerartig entwickelte, alles andere als kindgerecht verpackte Propagierung von oberflächlichstem Schwarz-Weiß-Denken und eine extrem lahmarschige, fast sekundengenau vorhersehbare Erzählweise. “Oink” ist tatsächlich einer der allerschlechtesten Trickfilme, die in den vergangenen zwanzig Jahren den Weg in die Lichtspielhäuser Deutschlands geschafft haben.

Music: Angela Schanelec erzählt in ihrem von Rätseln durchsetzten Film die Geschichte eines jungen Mannes, der als Findelkind adoptiert wird, als junger Mann nach einem tragischen Unfall ins Gefängnis kommt und dort eine Wärterin erst kennen und dann lieben lernt. Die beiden heiraten und führen scheinbar ein harmonisches Leben, bis zu einem Telefonat das alles verändern wird. Das Ganze wird wohltuend ruhig erzählt, die vielen Andeutungen gehen im Großen und Ganzen klar, auch sind die langen Einstellungen und oft knallhart erscheinenden Schnitte, Zeit- und Ortswechsel kein Problem, wenn man wirkliches Arthouse-Kino zu schätzen weiß – würden nur die Unplausibilitäten zum Schluss nicht über Hand nehmen und den Spaß endgültig verderben, wäre es ein großer Filmtipp, so aber leider nur ein “kann man sehen, muss man aber nicht”.

Meine Schwester, ihre Hochzeit & Ich: Laurent Tirards Ensemble-Film hingegen ist eine richtig gut gemachte Komödie aus Frankreich, die auch am Ende nicht eine Sekunde abflacht. Alles beginnt beim Abendessen im Kreis der Familie: Die lange erwachsen gewordenen Geschwister Adrien und Sophie (sie mit ihrem Freund Ludo) sind mal wieder bei den Eltern. Die Gespräche an der Tafel scheinen sich seit Jahren fast wortwörtlich zu wiederholen. Doch diesmal ist etwas anders: Während Adrian die ganze Zeit darauf wartet, dass seine große Liebe Sonia die Beziehungspause beendet und auf seine SMS antwortet, verkündet Sophie, dass Ludo und sie heiraten werden. Der künftige Schwager möchte, dass Adrian die Hochzeitsrede hält. Das versetzt Letzteren in Panik. In seiner Phantasie spielt er verschiedene Möglichkeiten durch, wie und mit welchen Folgen sich diese Aufgabe entweder gänzlich verhindern oder zumindest ironisch distanziert meistern lassen würde, und lässt das Publikum an seinen Gedanken aktiv teilhaben. Herrliche Spielereien mit den Film- und Betrachtungsebenen, eine gehörige Portion Humor und eine ausnahmslose gute Darstellerleistung sind der Garant für einen kurzweiligen, aber keineswegs platten Kinoabend.



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