Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Kulturtipps 16.-31. Oktober 2013 – u.a. mit Erika Stucky und Sven van Thom

stucky2Vor einigen Jahren stießen wir auf die Meldung, dass in der Schweiz “das erste Radioprogramm mit 100 Prozent helvetischer Pop und Rockmusik” starten wollte, und fragten uns, was da überhaupt laufen soll? 24 Stunden DJ Bobo und Alpenglühen im steten Wechsel? Vielleicht noch Yello und ab und an die Aeronauten? Und so fanden wir allen Vorbehalten zum Trotz gegen derlei Quotierung aber mehr zufällig bei den Eidgenossen eine hierzulande leider immer noch viel zu unbekannte Verkörperung von Stimmgewalt und Einfallsreichtum: die mit Alphorn- und Percussionklängen experimentierende Oberwaliserin Erika Stucky. Der deutsche Rolling Stone nannte sie einmal eine Mischung aus “Alm-Girlie auf Speed und Jazz-Lady”. Beides trifft es jedoch nicht so ganz, aber ein wahres Gesamtkunstwerk zu fassen, ist zugegebenermaßen nicht leicht. Vielleicht träfe es der Begriff Avantgarde-Jazz am besten. In jedem Fall gehören ihre Neuinterpretationen weltberühmter Beatles-, Aerosmith- und Policesongs mit zu den interessantesten Coverversionen, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Nicht zuletzt dank ihrer locker-flockigen Begleitmusiker bereiten aber auch Erika “I hate dogs” Stuckys eigene Kompositionen derart gute Laune, dass man ihren raren Liveauftritten in Deutschland nur entgegen fiebern kann. Jetzt ist es mal wieder Zeit für ein neues Programm: Stucky präsentiert am 17. Oktober im Münchner Jazzclub Unterfahrt “Black Widow” – unterstützt von David Coulter, Terry Edwards und Michael Blair. Außerdem viel versprechend in den nächsten Tagen: Auftritte von Abdelkarim, Sven van Thom, Dirk Stermann, Josef Hader, Ulan und Bator, Wolfgang Buck sowie last but not least Dota Kehr.

 

Abdelkarim19.10 Abdelkarim – Schlachthof

Ein Marokkaner aus Bielefeld der sein Programm “Zwischen Ghetto und Germanen” tauft und im kleiner gedruckteren mit “Ostwestfälischer Humor mit Migrationsvordergrund” wirbt – einigen Ausschnitten nach zu urteilen, die wir bereits kennenlernen durften, ist das nicht nur lustig, sondern immer wieder richtig bitterböse gut! Mitunter durchaus doppelbödig, so dass bei einem “durchschnittlichen” Publikum immer wieder einige ins Grübeln kommen, ob sie jetzt wirklich lachen “dürfen”. Eventuell hilft Ihnen so Sie von Abdelkarim bisher noch keine einzige Sekunde erlebt haben die Programmbeschreibung solche Zweifelsfälle gleich von Anbgeinn an zur Seite zu schieben: “In seinen unfassbar süßen Träumen ist er mal berufstätig, mal hat er einen deutschen Pass oder er spricht einfach mit einem Germanen. Diese glorreichen und glamourösen Träume sind ihm komischerweise nicht zu Kopf gestiegen. Abdelkarim ist auf dem Boden geblieben. Im wahrsten Sinne der Wörter. Als fester Bestandteil der Unterschicht und Parallelwelt meistert er seinen Alltag. Ob im virtuellen Netzwerkwahn oder real mit original Kunstlederjacke – der Marokkaner hat immer (k)eine Lösung parat. Oder sein Vater. Oder sein bester Freund des Grauens: Straßenflüsterer Ali.”

 

TSM21.10. Sven van Thom – Substanz Club

Heute Abend müssen Sie sich bei einem Besuch im Substanz Club in der Ruppertstraße 28  auf so ziemlich Alles gefasst machen, denn: Tiere streicheln Menschen – die Actionlesung steht auf dem Spielplan. Und weil wir gerade einfach nur Nicken konnten beim Lesen des PR-Textes und insgeheim hoffen, dass der der in den kommenden Zeilen als Zweiter genannt wird mit seinem Publikum unter anderem auch wieder den Spatz und den Junkie tanzen wird, wollen wir Ihnen selbigen – also den Werbesprechtext – nicht vorenthalten: “Einer liest, einer singt und Du wirst lachen! Martin “Gotti” Gottschild ist seit Jahren auf den Lesebühnen unseres niedlichen Landes unterwegs. GOTTI liest Geschichten über Menschen, die es wirklich gibt und andere, die eher nicht so… Seine Spezialität sind zudem umwerfend komische “Diavorträge” – absurde Geschichten, die er sich zu nostalgischen Familien-Dias, ausdenkt, die er auf Flohmärkten findet. Sven van Thom hingegen sorgt für kurzweilige Unterhaltung mit wunderbaren Songs,die einen zwischen Melancholie und aberwitzigem Humor hin und her werfen. Nach dem Erfolg seines Debüt-Albums „Phanthomschmerz“ präsentiert der ‘Glöckner von Stolzenhagen’ (offizieller Kosename) Lieder aus seinem neuen Album ‘Ach!’.Und das ist noch witziger und noch viel trauriger, als das davor. Wirklich wahr.”

 

 

dota_kern22.10 “Kleingeldprinzessin” Dota Kehr – Ampere

Gemeinhin wird sie von Journalisten gern in die Schublade der “Protestsängerinnen” gesteckt – und wenngleich sie diese Art Lieder wirklich modernisiert, ist ihr Repertoire weitaus breiter: Die Geschichten der selbsternannten “Kleingeldprinzessin” Dota Kehr und ihrer Band “Die Stadtpiraten” drehen sich um den hektischen und hastigen, süchtig machenden Zeitgeist, um eine Kaulquappe, die lieber im Wasser bleibt und statt Frosch zum Wal werden will, um Erinnerungen an die Liebe oder etwa auch das schlechte Gewissen und „das schwarze Geld in weißen Händen“. Ihre von Binnenreimen übersäten, aber keine Spur Sentimentalitäten versprühenden Lieder sind voller Wortwitz und erzählen plastisch, treffend beobachtete Alltagssituationen. Die in Europa und Südamerika als Straßenmusikerin erprobte Sängerin und ihre jazzigen Begleiter wissen entsprechend seit Jahren mit ihrer ganz speziellen Mischung aus Chanson, Samba und Bossa ein immer größer werdendes Publikum zu begeistern. Dabei sind ihre Lieder viel mehr als nur Retro. Sie klingen nach fein strukturierten Songperlen von heute, bei denen viele Klangquellen elegant ineinander fließen, aber gezielt auch Brüche und Schnitte zu hören sind. Von brasilianischer Fröhlichkeit bis hin zur Melancholie eines zu langen Berliner Winters reicht die Spannbreite der Stimmungen. Dotas klare und angenehme Stimme und damit inhaltlich große und verstrickte Gefühle sowie Lieder von Überwachungswahn und der Desillusion nach dem Rausch der Verliebtheit vom herrlichen Live-Album “In anderen Räumen” gibt es im Ampere, der kleineren Veranstaltungshalle des Muffatwerkes zu hören. Und natürlich auch einiges von der brandneuen CD “wo soll ich suchen?”

 

dirk_stermann24.+25.10. Dirk Stermann – Lustspielhaus

Hinter dem deutsch-österreichischen Anarcho-Duo Christoph Grissemann und Dirk Stermann verbergen sich zwei unserer liebsten (auch weil sie sich selbst nicht ausnehmen beim Alles und Jeden hemmungslos Beschimpfen) Zyniker – die Beiden, die gerne mal von 20.000 Litern süchtig machender Flüssigkeit, einer Kur in Shanghai, Blutegel mit Alkoholvergiftung, einem Kurschatten in Form einer Pandabärin und Kakteen als Phallus-Symbol erzählen, sind immer ein Garant für recht intelligente und vor allem bissige Unterhaltung, sei es im Rundfunk oder auch live auf der Bühne. Und obwohl das aktuelle Programm “Stermann” heißt können Sie beim Gastspiel im Lustspielhaus beide Herren live und in Farbe erleben. Also warum dann der irreführende Titel? Die offizielle Ankündigung verrät es: “Dirk Stermann ist der beliebteste Deutsche in Österreich. Mit seinem letzten Programm ‘Die deutsche Kochschau’ trat er bis jetzt exakt 1000 Mal vor insgesamt 825.000 glücklichen und begeisterten Zuschauern auf. Seine Fernsehsendung „Willkommen Österreich“ ist so erfolgreich, dass er als einziger Fernsehschaffender freiwillig auf die Auszeichnung „Romy“ verzichten kann. Er ist das Aushängeschild des ORF und der Bundesrepublik Deutschland und seiner Wahlheimat Wien. Im Herbst 2010 wurde er zum ‘Duisburger des Jahres’ gewählt. Kollegen und das Feuilleton verneigen sich vor ihm: ‘Irre gut!’ (maschek.); ‘Dass ich ihn fürs Fernsehen wiederentdeckt habe, ist wahrscheinlich meine allergrößte Lebensleistung!’ (Alfred Dorfer); ‘Ich hab ihn mir ganz genau angeschaut. War mir aber ne Nummer zu hoch!’ (Roger Willemsen); ‘Als er von der Bühne ging, brachen Welten zusammen. Wozu Scheinwerfer, wenn es nicht er ist, der angestrahlt wird?’ (Bielefelder Bote, Regionalteil); Jude Law hält ihn für den ‘sexiest man alive’. Wie macht Dirk Stermann das? Erste Antworten gab es in kleinen Club-Gigs vor einem ausgewählten, nicht menschlichen Publikum. In ‘Tieren Witze erzählen’ brachte Stermann im Frühjahr 2011 Paviane, Gnus, Bisons und Wasserschildkröten im Tierpark Schönbrunn zum Lachen und Weinen, im Frühsommer 2011 machte er im ‘Haus des Meeres’ mit ‘Fisch-Deutsch/Deutsch-Fisch’ Haie, Quallen und Schalentiere sprachlos. Da leider kein Mensch anwesend war, weiß man nicht einmal durch Hörensagen, was genau an diesen Abenden passiert ist. Aber jetzt ist der Ausnahmekünstler Dirk Stermann bereit, mit einem neuen Programm für Menschen alle wichtigen Fragen rund um seine Existenz zu beantworten. Seine eigene Mutter hat mitgeschrieben. Das Programm hat einen Titel, der Herzen höher schlagen lässt: ‘STERMANN.’ – Wie schon in den letzten Programmen in einer kleinen Nebenrolle: Christoph Maria Grissemann.” Sagen Sie also nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt 😉

 

26.+27.10. Josef Hader – Audimax

Hader spielt Hader ist ja nichts Besonderes. Das macht Josef Hader ja eigentlich immer. Sogar wenn er andere Figuren spielt. In seinem Best-of-Programm, das er in diesen Tagen im Audimax zum Besten gibt jedoch probiert der österreichische Kabarettist und Schauspieler etwas, was viele Kollegen machen, er normalerweise aber nicht: Nummern spielen und dazwischen Lieder singen. Wenn Hader Hader spielt, dann ist eines jedoch gewiss: Der Humor wird so morbide sein wie man es von ihm eben gewohnt ist, denn mit seinem szenischen Kabarett hat er sich bereits seit Jahren in die Champions League der Kleinkunst gespielt.

 

29.+30.10. Ulan und Bator – Lach&Schiess

Gleich an zwei Abenden in Folge beehren die Ulan & Bator Träger des Deutschen Kleinkunstpreises 2011 die Lachundschiess. DIe Ankündigung zu ihrem aktuellen Programm “Wirrklichkeit 2013” liest sich vertraut, aber da bei den beiden Männern die einen Abend im traditionellen Grau starten und dann kurioserweise und auch für sich selbst nicht ganz nachvollziehbar in ihren Hosentaschen Mützen finden steht bekanntermaßen die Kunst der Improvisationen im Vordergrund, so dass die angeblich oft gestellte Frage sind sie Insassen einer Anstalt oder erleuchtete Clowns eindeutig mit letzterer Option beantwortet werden dürfte.  Ob alle Zuschauer merken, wenn nebenbei auch mal Schiller, Sophokles und Domian aufblitzen? Man wird sehen, was Sebastian Rüger und Frank Smilgies, trommelnde Schauspieler, die sich der Legende nach beim Studium an der Folkwang Hochschule Essen kennenlernten, für das Münchner Publikum so alles aus dem Hut – pardon aus den Mützen zaubern.

 

wolfgang_buck30.10. Wolfgang Buck – Schlachthof

Wolfgang Buck, der Mann hier links im Bild, hat schon Auftritte im Vorprogramm von Hubert von Goisern und Joan Baez vorzuweisen und ist eigentlich in erster Linie als evangelischer Pfarrer in Trabelsdorf bei Bamberg tätig. Und dann heißt seine aktuelle CD auch noch “Genau underm Himml”. Doch der Schein trügt: Sie erwartet bei diesem Konzerttipp kein verkappter Gottesdienst, sondern feinste Liedermacher- und Kabarettkunst, vorgetragen in unverkennbar fränkischer Mundart. Nebenbei sollen gewichtige Fragen “Was hat ein Schweinebraten mit dem Yin und dem Yang zu tun? Warum hat Hänsel gegen das Mastprogramm einer fränkischen Hexe keine Chance? War Dürer schwul? Wofür soll Multi-Tasking gut sein und warum besteht Musik nicht nur aus Noten, sondern auch aus Pausen?” nachgegangen werden.



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