Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Harry Potter ist ziemlich tot

Nein! Es ist wahrlich kein Spoiler, wenn wir zum Filmstarter “Swiss Army Man” erzählen, daß der einstige “Harry Potter” Daniel Radcliffe eine Leiche spielt. Man weiß es, wenn man das Plakat sieht, vor allem steht es seit Wochen überall geschrieben. Der Spiegel meint, der Streifen sei “Ein langer Furzwitz”, auch die Zeit ätzt besonders laut – wir sind da gänzlich anderer Meinung: sehenswert!

siwss_army_manZunächst möchten wir uns aber für unsere Überschrift und unseren Teaser entschuldigen. An beiden Stellen erwähnen wir zu der doppelbödigen Geschichte über eine sehr besondere Männerfreundschaft die Marke “Harry Potter”. Dabei ließ sich Daniel Radcliffe, der einst den kleinen Zauberlehrling mimte, für “Swiss Army Man” doch einmal mehr ganz gezielt gegen sein Image besetzen. Und es gelingt nun tatsächlich: mit (Brachial-)Gewalt ist diese Rolle im doppten Wortsein ein Freischwimmen. Für die Filmfigur und eben den Darsteller selbst. Denn, und nun müssen wir dann leider doch ein klitzeklein wenig spoilern: Radcliffe, der zu Beginn des teils makaber anmutenden Leinwandabenteuers an Land gespült wird – just in dem Moment, als sich der offenbar schon länger gestrandete Hank (Paul Dano, bekannt u.a. auch “Little Miss Sunshine”), ungelenker als es angeblich (!) Jaber al-Bakr dieser Tage getan haben soll, das Leben nehmen will – wirkt im weiteren Verlauf alles andere als starr. Er bricht vielmehr mit nahezu allen Klischees, die eine Gesellschaft wie die unsere (die über andere Kulturen, die ihre Toten beispielsweise einige Tage zuhause aufbahren, perfiderweise oftmals verächtlich die Nase rümpft) so von einem Verblichenen hat.

Diese Robinsonade ist alles andere als ein ärgerlicher Streifen. Dass sich Medien wie “Spiegel” (Oliver Kaever, der es neben der eingangs erwähnten Abtörnüberschrift sogar noch nötig hat, ein “Tja” in einen eineinhalbzeiligen Teaser einzubauen) und “Zeit” (David Hugendick) hier besonders ereifern, und so tun, als ginge es um nichts als zahllose Blähungen (die, zumal bei Wasserleichen wie hier, ohnedies tatsächlich entstehen können) und nicht wenigstens auch ein ganz weites Stück um eine mit gängigen Sehgewohnheiten brechende Auseinandersetzung mit elementarsten Grundbedürfnissen des Menschseins, ist schlichtweg lächerlich.

Mal abgesehen davon, dass man sich für den deutschsprachigen Markt durchaus einen anderen Titel hätte überlegen können, denn nicht jeder ist mit der militärischen Beliebtheit eines gemeinhin als schnödes Taschenmessermultitools bekannten Produkts vertraut, macht der Film eine Menge richtig. Er rutscht nie zu lange am Stück ins Klamaukige. Vor allem hält er zum Ende hin mehr als eine absolut überraschende Wendung parat. Aber da wir wirklich nie ernsthaft spoilern wollen, nochmal zurück zum Titel: Der Charakter von Radcliffe ist so vielseitig wie ein echtes “Victorinox” – es handelt sich bei ihm sozusagen um eine “Multifunktionsleiche”. Okay, wir geben es zu: kein wirklich guter Filmtitel, oder? Wie auch immer – eingedeutscht ist ohnedies nicht immer der Weisheit letzter Schluss: Hank kann mit dem angespülten Toten jedenfalls Jetski fahren, er dient ihm – nachdem er mühsam aufgesammeltes Regenwasser verschüttet – als kleiner Trinkbrunnen, also auch als Durstlöscher. Und wenn sein neuer Buddy sichtbar erregt ist, vermeintlich auch noch als Kompass…

Der Verleih selbst wirbt zu der Koop der Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert („Daniels“) neben Assoziationsketten zum “historischen” Robinson Crusoe sowie zu „Cast Away – Verschollen“ (“Er hat weder einen ‘Freitag’ zur Ablenkung noch einen Volleyball zur Ansprache…”) mit der Umschreibung “unkonventionelles Buddy-Abenteuer”. Das trifft es in jedem Fall. Und glücklicherweise zielen erigierte Kompass”nadeln” und feurige Fürze eben nicht immer auf Schenkelklopfer. So unvorstellbar es klingt, wenn man eben nur von Radcliffes Penis und Darmwinden weiß: “Swiss Army Man”, in dem übrigens auch Mary Elizabeth Winstead (Scott Pilgrim, Fargo) mitwirkt, ist ein mitunter regelrecht melancholischer Film, der bei allen eingebauten Späßchen eine Menge über “unsere” Zivilisation sagt und einem am Ende gar ein wenig ratlos zurücklässt. Denn die Geschichte spielt auch mit der Frage, was passiert “wirklich” und was letztlich “nur” im Kopf des sich nach dem Leichenfund nicht mehr allein fühlenden Hanks.



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