Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Anatomische und Hipster-Probleme

Von den diversen Neustarts der Woche beleuchten wir diesmal mit “Was hat uns bloß so ruiniert” eine Geschichte aus Österreich um drei recht wohlsituierte, heterosexuelle Paare, die mehr oder minder gleichzeitig Nachwuchs erwarten und “Scarred Hearts” (“Vernarbte Herzen”), der die Krankengeschichte des rumänischen Schriftstellers M. Blecher erzählt. Beides sind Spielfilme.

Gefangen in einem zunehmend verfallenden Körper: das war in den späten 1930er Jahren wohl Alltag für einen Fabrikantensohn, dessen Vorname offenbar nicht als gesichert gelten kann. Die Deutsche Nationalbibliothek gebe dem Vernehmen nach gleich drei Verweisungsformen an: Mihail, Marcel und Max. Die Rede ist von einem rumänischen Künstler, der all seine Bücher ausschließlich unter dem selbst gewählten Autorennamen M. Blecher veröffentlichte und die letzten Lebensjahre in einem Sanatorium verbrachte, weil er an Knochentuberkulose litt. Seine schriftstellerische Sprache wird gemeinhin als schmerzlich kühl und intensiv beschrieben – im mehr als zwei Stunden langen Film, der Impressionen seiner Leidenszeit, aber auch seinen hellen und kritischen Geist zeigen will, redet die Hauptfigur die Blechers Alter Ego (Emanuel – dargestellt von Lucian Teodor Rus) verkörpert, nicht nur in den scheinbar banalsten Alltagssituationen durchweg geschliffen (oft mit einer gehörigen Portion Galgenhumor), es werden auch regelmäßig Textauszüge seiner in der Tat sehr originären Prosa auf schwarzen Schrifttafeln eingeblendet, was aber nicht so recht als Kapitelblende funktioniert.

Das was auf der Leinwand passiert, spielt sich erwartungsgemäß größtenteils rund um Krankenbetten ab und ist trotzdem selten tröge, wenngleich punktuell doch langatmig geraten. Emanuel selbst kriegt recht bald den gesamten Rücken eingegipst, zwei Leute vom Personal der medizinischen Einrichtungen bugsieren ihn nicht nur innerhalb der Klinik, etwa aus dem fahrbaren Krankenbett auf den Behandlungstisch und umgekehrt, sondern – weil der Vater des Patienten hier und da üppige Taschengelder verteilt – , auch bei teils amourösen Ausflügen umständlich von A nach B. Überhaupt geht es, wenn nicht gerade entweder von Kunst und Philosophie oder den näher rückenden Gräueln des Hitler-Regimes bzw. vom wohl auch in Rumänien seinerzeit ohnedies grasierenden Antisemitismus die Rede ist, fast ausnahmslos um das Zwischenmenschliche: geschiente Beine oder wie bei der Hauptfigur ein quasi Ganzkörperkorsett hindern hier wenig an sexuellen Aktivitäten. Regisseur Radu Jude (für “Aferim!” vor zwei Jahren auf der Berlinale ausgezeichnet), ebenfalls ein Rumäne, liefert hier nicht “nur” ein Biopic, das in seinen besten Momenten Lust weckt, den hierzulande trotz einiger Suhrkamp-Wiederveröffentlichungen relativ unbekannten Schriftsteller M. Blecher zu “erlesen”, sondern in gewisser Weise auch ein respektvolles Stück (Nahaufnahmen sind die absolute Ausnahme, somit musste kein Darsteller künstlich schmerzverzerrte Blicke abspulen) über Langzeitpatienten. Es herrscht aber auch eine Menge übertrieben wirkendes Namedropping, so dass sich selbst kunstbeflissene Zuschauer oftmals fragen werden, ob sie bisher sträflicherweise von diesem oder jenem keine Notiz genommen haben oder auch viele der Personen, über die hier geredet wird, in Westeuropa zumindest in der Gegenwart schlichtweg in Vergessenheit geraten sind oder nie weiter bekannt waren.

Was hat uns bloß so ruiniert?

Weitaus weniger Sitzfleisch braucht es für einen Neustart made in Austria. Auch hier wird vergleichsweise viel geredet, weniger allerdings über Kunst und Philosophie oder gar Weltpolitsches – dafür eine Menge, was als wohldosierte Watschn auf einen sehr ich-bezogenen, hipster-mäßigen Teil heutiger irgendwas-um-die-30-Typen letztlich gut aufgeht. Gleich zu Beginn lässt Regisseurin Marie Kreutzer Stella (Vicky Krieps) und Markus (Marcel Mohab) zwei befreundeten Pärchen mitteilen, dass sie alsbald ihren ersten Nachwuchs erwarten, was doch tatsächlich einen der beiden Männer und eine der beiden Frauen, die nicht miteinander liiert sind, selber recht intensiv ausmalen lässt, wie es wohl für sie selber wäre. Spießig, zickig oder zumindest irgendwie regelmäßig heuchlerisch erscheint bereits jetzt jeder Einzelne des Sextetts (Pheline Roggan, Andreas Kiendl, Pia Herzegger, Manuel Rubey sind auch mit von der Partie) – und da ist deren Leben irgendwo zwischen Bio-Gläubigkeit und Apple-Abhängigkeit noch gar nicht so breit vor dem Zuschauer ausgestellt.

Nach und nach wird es herrlich tragikomisch – für die Außenstehenden, also zuvörderst die Kinobesucher: eine Mutter beschließt ihr Kind nicht zu “vergewaltigen” indem es ihm Windeln aufnötigen würde, ein Mädchen wird Elvis getauft, im Vorfeld einer Geburt wird es zur Glaubensfrage, ob trotz gesunder Ernährung eine Periduralanästhesie (PDA) zur schnerzfreien Niederkunft statthaft ist, das erste Pärchen trennt sich, der Verlassene landet mit der Frau seines Kumpels im Bett, ein Kind beißt wild um sich – und lieber Leser: keine Sorge, trotz dieser relativ vielen Aufzählungen wird es für Sie beim Kinobesuch ganz sicher nicht langweilig. Denn das Ensemble harmoniert so dermaßen gut – authentisch und unaufgeregt -, dass der Witz im Zuschauen und nicht im Wissen liegt. Fazit: Es ist ein kurzweiliger Film über die Aberwitzigkeit einer ganz bestimmten Krabbelgruppenpolitik und ein Abgesang an jenen Eltern-Typ, der sein im Zweifelsfall ganz normales Kind glaubt bereits in der ersten Klasse, neben dem “freiwlligen” Erlernen der dritten Fremdsprache auch noch zum Voltigieren zu schicken und oder selbst jede peinliche Tyrannei, wie das Ausräumen ganzer Supermarktregale als gesunden Spieltrieb abzutun. Gleichwohl der Streifen durchaus sehenswert ist und passend zum Filmtitel in den Anfangsminuten im Hintergrund das entsprechende Lied von “Die Sterne” ertönt – exestentielle Sorgen hat hier aber eben niemand, es geht einzig um Luxusprobleme – hätte vieles, was westeuropäische Spießerseelen heutzutage so unerträglich macht, noch böser karikiert sein können. Übrigens enthält diese Produktion auch nützliche^^ nebenbei Hinweise zur Bereitung eines kindgerechten Müslis: “…Rosinen sind Gift. Rosinen sind pures Gift. Das ist Zucker, dann kann man gleich Nutella…”



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