Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Kriegsspiele aus Bavaristan und eine Geschichte über Hänsel&Gretel 2.0

Ein Afghane und ein Deutscher sind mit Turban und Kalaschnikow sowie optischen Anklängen an das bayerische Brauchtum unterwegs: “Die kleinste Armee der Welt” berichtet über ein fulminantes Kunst- und Kulturprojekt ohne Netz, aber mit doppeltem Boden zum Themenfeld Krieg und Migration. “We are the Flesh” – ein laut Eigenwerbung “surrealer” Film, den wir von den weiteren Neustarts ebenfalls beleuchten, erzählt auf den ersten Blick von einem Einsiedler, der zurück in Mamis Schoss möchte und zwei Geschwister nach seiner Pfeife mehr als nur tanzen lässt.

kleine-Armee-KinoDie päpstliche Schweizergarde gilt gemeinhin als kleinste Armee der Welt – zählt sie doch “nur” ein bisschen mehr als 100 Mitglieder. Insofern könnte der Filmtitel allein einige in die Irre führen. In “Wahrheit” ist die kleinste Armee der Welt, um die es hier geht, nämlich in Bayern stationiert. Und jeder, der wirklich mal im selbsternannten “Freistaat” gelebt hat, und nicht völlig weltfremd ist, weiss, dass die Uhren hier sprichwörtlich anders ticken. Im Speziellen: dass zahllose Stammtische, Schützenvereine und viele andere, übrigens – von wegen “der Muselmann” hält “sein Weib” gern daheim bzw. klein – gemeinhin von Männern dominierte bayerische Brauchtümer, auch wenn man sich nicht explizit unter CSU-Bannern trifft, häufig die übelsten rassistischen Klischees wiederkäut. Seit vielen Jahrzehnten. Tagein, tagaus. Doch konkret zu Hamon Tanin und Marcus Hank, einem in Afghanistan geborenen, und seit er neun Lenze zählt in Deutschland lebenden Politwissenschaftler und einem “Münchner Aktivisten”, der in Interviews so schöne Sätze wie “Ist es nicht an sich Klamauk, wenn Gotteskrieger jedweder Art in die Luft schießen? Das machen die bayerischen Gebirgsschützen in ihren Lederhosen genauso wie die afghanischen Taliban in ihren traditionellen Gewändern” von sich zu geben weiss. Die Beiden sind Dreh- und Angelpunkt in Martin Gerners Dokumentation und tragen dabei zumeist durchaus echt aussehende Munitionsgürtel und Maschinengewehrattrappen und kleidungstechnisch unter anderem gleichzeitig Lederhosen und Turban!

Sie taten das die vergangenen Jahre erfreulicherweise nicht nur auf der Bühne in gezielt verstörenden “Mitmach”-Programmen – schließlich ist man sich bewusst: “Die Heimatabende allein wären feige, da man im geschlossenen Raum einer Theateraufführung alles machen kann.” Und so waren Trachtenvereine, CSU-Mitglieder, Bundeswehrangehörige und andere Menschen mit konservativ(st)en Einstellungen auch oft unvermittelt open-air an allen möglichen und unmöglichen Orten ins Visier genommen. Konkret heißt es seitens Tanin und Hank: “Wir wollen diesen Menschen zeigen, dass das Alpenland zwar eine schöne Gegend ist, man durch deren Schönheit aber schnell in eine weltabgewandte Einstellung abrutschen kann.” Dazu dient unter anderem die Kunstfigur des “Omar Müller” der in “Bavaristan” die internationale “Vereinigung der gottesfürchtigen Bergvölker” durchsetzen will – was auch irgendwie naheliegend ist. Denn wie am Hindukusch in Afghanistan ist es ja auch in Bayern tatsächlich kaum anders: Berge und Bärte, Kopftücher (nicht nur bei katholischen Ordensfrauen), Waffen und Fundamentalisten gibt es hier wie dort.

Der Film über die “Bavarian Taliban” selbst zeigt leider zu wenig (auch wenn natürlich klar ist, dass in rund neunzig Minuten ohnedies stets Dinge nur angerissen werden können, manches gänzlich unerwähnt bleiben muss) von der Vielfalt und vor allem zu wenig von der Tiefe dieser soziokulturellen Experimente der beiden Provokateure. Selbst die Verstörungen, die die Begegnungen mit den bayerisch-afghanischen Kalschnikow-Trägern in der Öffentlichkeit auslösen, wird nicht so richtig greifbar. Erst recht nicht die Doppelzüngigkeit vieler Bio-Deutscher (und Österreicher), deren Rassismus, den viele Einheimische vorzugsweise dann verbreiten, wenn sie unter sich sind (wir wissen: von H&M Broder bis Pegida und Co ist das inzwischen/wieder anders) oder einzelnen Migranten gegenüberstehen und diese einschüchtern, klein machen wollen – vor allem aber, wenn keine Kamera in der Nähe ist (dann rutscht einem angedenk der Kleidung außereuropäischer Bergvölker eher nur mal das Wort Fetzen heraus, was dann flugs in Tücher “verbessert” wird)…

Leider wird durch die Leinwandarbeit, die mehrfach zeigt, wie Polizei aufläuft, wenn Tanin und Hank in freier Wildbahn auftreten, nicht mal so recht klar, dass alle Aktionen der Beiden “als Informationstisch oder Fotoshooting angemeldet” sind und es wohl nur deswegen zu keinen Verhaftungen kommt. Leider vermittelt der Film auch kaum wie launig die Künstler und Wissenschaftler im eigenen Projektblog etwa mit dem “Propheten und Märtyer” Franz Josef Strauß oder dem Integrationsgesetz von “Mullah Horst” verfahren. In “Die kleinste Armee der Welt” klingt nur ganz kurz an, dass Tanin und Hank auch mit den Massenmedien und ihrer Rezeption zu spielen verstehen. Ohnedies ist es sehr schade, dass die Kinoproduktion nicht schon vor zwei, drei Jahren ins Kino kam und dem Kunst- und Kulturprojekt in seiner Hochphase zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen konnte. Trotzdem gibt es auch auf der Leinand einige Momente und Schlaglichter, die absolut sehensweert sind, beispielsweise unaufgeregt die latente Kriegslüsternheit in nicht geringen Teilen der Bevölkerung der BRD erahnen lassen. Am stärksten ist jedoch ein “Kapitel”, das einen der Protagonisten gar nicht kostümiert, sondern bei seiner eigenen dokumentarischen Arbeit über die Schulter blickt: als Marcus Hank über die öffentliche, feierliche Verabschiedung Berchtesgadener Gebirgsjäger Richtung Hindukusch und die für Pazifisten (wie ihn) schlicht pervers anmutende Stimmung in der örtlichen Bevölkerung sinniert. Über den der gebürtigen Münchner erfährt der Zuschauer generell recht viel, etwa über seine Aktivistenrolle zu Zeiten des ersten “Golfkriegs”. Schön wäre es gewesen auch wenigstens zwei, drei Minuten direkte Einblicke oder zumindest Berichte aus Hamon Tanins’ Arbeit in Rosenheim gegen Menschenrechtsverletzungen auf dem Rücken von Kriegsflüchtlingen, die von Behörden wie der Bundespolizei aber auch den Jugendämtern hierzulande oftmals alles andere als mit Samthandschuhen angefasst werden, etwa wenn es darum geht, “sie” in jenes Land “zurückzuführen”, in dem sie erstmals “das Hoheitsgebiet der Union” betraten. Immerhin darf der “Ausländer” unter den beiden Portaitierten im Film sehr deutlich anklingen lassen – wie das für Zugezogene leider eher die Regel denn die Ausnahme ist – hier nie wirklich ankommen zu dürfen, für viele ewig der Fremde zu bleiben.

Auch wenn der Streifen unterm Strich also nicht als herausragend bezeichnet werden kann, so ist es eben bezeichnend, dass
“Die kleinste Armee der Welt” übrigens wieder einer dieser Filme ist, die vom Mainstream geflissentlich “übersehen” werden, und dabei könnte der Streifen, formal betrachtet, kaum aktueller sein. Die BRD spricht sich einmal mehr selber frei in Sachen Kriegsverbrechen (Stichwort Bundeswehroberst 2009 nahe Kunduz, aktuelle “Entscheidung” des Bundesgerichtshofs: Deutschland muss keinen Schadensersatz zahlen), der unsägliche Steinmeier (der sich nicht nur an Murat Kurnaz – Stichwort “bremer Taliban” und Guantanamo – versündigte) könnte tatsächlich nächster Kriegstreiberpräsident werden, nicht nur im Spiegel wird in noch homeopathischen Dosen getrommelt, im noch dummdreisteren Stern redet Hans-Ulrich Jörges dazu gar schon explizit “Klartext”…

Ehe wir weiter abschweifen, gleich zu Film Nummer zwei:

We are the Flesh

We-are-the-FleshEr trägt in der Eigenwerbung zur Frage nach dem Genre die Information “Surreal”. Neben dem Kurzinhalt (“Irgendwann, vielleicht nach der Apokalypse: Einsiedler Mariano haust in einer Ruine. Die Geschwister Lucio und Fauna finden bei ihm Unterschlupf, jedoch nur unter der Bedingung, sich Marianos Gesetz zu unterwerfen. Schritt für Schritt werden Grenzen überschritten und Tabus gebrochen. [… Emiliano Rocha Minter debütiert mit einem transgressiven Mindfuck-Endzeit-Drama, visionär, extrem, berauschend. Kino für Fortgeschrittene.) wirbt der Verleih mit einem Zitat (“Ein orgiastischer, allegorischer Bildersturm.”) des “Fantasy Filmfest”, das vor Jahren – heute eher unvorstellbar – neben Thriller-, Horror- und Science-Fiction-Vertretern gleichberechtigt so poetische Filme wie die Welt der zauberhaften Amelie im Programm hatte. Nun gut! Um es vorweg zu nehmen: Von der im Werbewaschzettel angedeuteten Apokalypse irgendetwas genaueres zu erfahren, namentlich irgendeinen Einblick auf die Außenwelt des “Einsiedlers” zu erhaschen: darauf wartet man bis Filmende im Grunde vergebens. Zwar erscheinen sowohl das Geschwisterpärchen als auch Menschen, die irgendwann später in Marianos Kosmos auftauchen, mehr oder minder gezeichnet vom Leben, auch wird dem Zuschauer vermittelt, dass es wohl generell (wo auch immer, Handlungsort Mexiko wird nicht explizit) unter anderem Nahrungsprobleme geben könnte, aber mindestens 70 % der Gesamtgeshichte könnten “einfach” auch nur “zeitlos” in einem abgefuckten Haus eines durchschnittlichen Horrorfilmirren spielen. “Draußen” könnte also theoretisch eine “paradiesische” Stimmung herrschen und die beiden jungen Menschen hier eben nur zufällig “verirrt” haben.

Ähnlich verhält es sich mit der von den Filmfestfantasten erwähnten indirekten Aussage: auch das Metaphorische bleibt weitgehendst auf der Strecke, geschweige denn, dass es eine Personifikation geben würde: denn daran, woran “Hänsel&Gretel 2.0” mit mal mehr, mal noch mehr Druck des Einsiedlers (“Marianos Gesetz”) sprichwörtlich zu werkeln haben, soll ja explizit einen Geburtskanal für den komischen Kauz darstellen, der immer mal wieder vom Schoss der Mutter fabuliert und dann – Achtung! Spoiler! – tatsächlich nach “schrägen” Vorkommnissen deutlich verjüngt auf der Bildfläche erscheint.

Um es abzukürzen, wer verstörende Bilder (die hier aber fraglos sehr kunstvoll, sehr stimmig inszeniert wurden), dazu auch einige explizite Sexszenen und ein wenig Schaudern und im-Nebel-stochern für ein tragfähiges Filmkonzept hält, der wird das Eintrittsgeld nicht bereuen. Wer es allerdings als künstlerischen Tabubruch im Jahr 2016 bezeichnet, dass erigierte (und teils ejakulierende) Penisse oder teils bluttropfende Mösen in Großaufnahme zu sehen sind, oder – um auf die inhaltliche Ebene zurückuzukommen – dass der “Einsiedler” die Geschwister nötigt, vor seinen Augen ficken, was diese wiederum keine riesige Überwindung zu kosten scheint, sollte ggf. noch mal in der Filmgeschichte blättern und in jeder Hinsicht tiefergehendere, anspruchsvollere und eben wirklich “allegorische” Plots ausgraben. Wobei gerade jene Inzest-Szene hier dann doch etwas hat: nach unverblümt pornografischem Auftakt des Verkehrs zwischen Lucio und Fauna wechselt das Geschehen für den Zuschauer in Wärmekamera-Ansicht. Mehr solch auch filmästhetische Spielereien hätten dem Projekt gut getan. So aber bleibt das Gefühl: dieser mexikanische Film hätte als szenischer Halb- bis Dreiviertelstünder, in konzentrierterer Videoclip-Manier weit mehr Kraft entfalten können, als in seinen knapp 90 Minuten.



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