Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Kammerspiel um eine Notgemeinschaft

Den Krieg vor der eigenen Haustür und letztlich auch eine vermeintlich typische Begleiterscheinung gar unmittelbar in den eigenen, eigentlich verbarrikadierten vier Wänden erleben in “Innen Leben” acht Menschen – darunter eine junge Mutter – sprichwörtlich hautnah. Auch wenn “Innen Leben” das im Grunde in der gesamten Filmdauer nicht erwähnt: die Geschichte spielt in Syrien.

Die offiziellle Filmbeschreibung des deutschen Verleihs ist kurz und knackig: “Während draußen der Krieg tobt, verwandelt die resolute Oum Yazan ihre kleine Wohnung in einen sicheren Hafen für Familie und Nachbarn. Verzweifelt versucht sie, zum Schutz der Gemeinschaft den Alltag aufrechtzuerhalten und das Geschehen außerhalb auszublenden. Doch früher oder später muss auch sie die Tür öffnen und die Wirklichkeit hereinlassen.” Und das Versprechen von “Weltkino” an den Zuschauer lautet, der Streifen – der, das sollten wir an dieser Stelle wohl unbedingt unterstreichen keine Doku ist, sondern ein Film mit zumindest was die drei Hauptrollen angeht, internationalen, professionellen Schauspielern – ziehe hinein “in die Kriegswirklichkeit der einfachen Menschen, für die das einst traute Heim zum Gefängnis wird und jede noch so kleine Entscheidung über Leben und Tod bestimmen kann.” Entsprechend sei “Innen Leben” als “ein universelles, humanistisches Plädoyer von großer Dringlichkeit” zu verstehen.

Der Originaltitel “InSyriated” verrät zweifelsfrei in welchem Land das Kammerspiel angesiedelt ist. Der Film selbst lässt dazu wie der unnötig psychologisierendes erwarten lassende deutsche Titel “Innen Leben” wenig Rückschlüsse zu. Doch relativ zu Beginn ist die Rede davon, dass eine junge Familie alsbald nach Beirut flüchten will, also in die Hauptstadt des Libanon – entsprechend ist die Assoziation Syrien zumindest implizit. Das Positive an diesem Streifen ist zugleich sein größtes Manko: Er will wie eingangs erwähnt erklärtermaßen eine universelle Geschichte erzählen, vermeidet es denn tatsächlich erfreulicherweise über weiteste Strecken irgendwelche positiven oder negativen Wertungen, ebenso auch “nur” implizite Zuschreibungen zu irgendwelchen am Syrienkrieg beteiligten “Parteien” , “Seiten”, “Regierenden” und oder gar nicht so außenstehende dritte Staaten, wie USA, Russland, Türkei oder Israel zu treffen. Zu letztgenanntem Land berichtet der Spiegel übrigens tagesaktuell, dass es “syrische Rebellen auf den Golanhöhen offenbar systematischer” unterstützt, als bislang bekannt. “Die Uno ist alarmiert.” Auch diese vorgeblich friedensstiftende Institution kommt in diesem Kinofilm nicht vor.

“Innen Leben” ist bis auf eine kurze Sequenz im letzten Drittel ein reines Kammerspiel. Eines, das auch bei den Blicken aus den Fenstern der Wohnung kaum eigentliche Kriegshandlungen zeigt, aber viel mit entsprechenden Geräuschen – etwa Lärm von Hubschraubern, dazu Schüsse und Explosionen – arbeitet. Und mit der Assoziationskraft des Zuschauers wenn dieser etwa zigfach eine Haustür sehen muss, die nicht nur mit mehreren, speziellen Sicherheitsschlössern ausgestatt ist, sondern auch mit zwei schweren, quer eingehängten Holzbalken zusätzlich gesichert wurde. Diese kurzfristig abzunehmen, wenn jemand in die Wohnung soll oder kurz raus muss, ist eine der vornehmlichsten Aufgaben der Haushaltshilfe Delhani (Juliette Navis). Sie ist es auch, die relativ zu Beginn des Films bei einem der Blicke aus dem Fenster mitbekommt, dass der Mann der gerade Mutter gewordenen Halima (Diamand Abou Abboud) – die drei Personen sind unlängst  in der sehr geräumigen Wohnung ihrer Nachbarn untergekommen, weil ihre eigene offenbar erst vor wenigen Tagen vom Krieg zerstört worden war -, kurz nachdem er das Haus für ein paar wichtige Erledigungen verlassen hat, in den Rücken geschossen wurde und nun hinter einem Mauervorsprung liegt. Mutmaßlich tot. Die Frau des Hauses (Hiam Abbass), die hier mit ihrem Schwiegervater, ihren drei Kindern und ihrem Mann lebt – letzterer ist aber gerade nicht anwesend – verhindert nachdrücklich, dass ihr Dienstmädchen Halima von dem schrecklichen Ereignis berichtet. Auch verhindert sie, dass man nachschaut, ob man dem Schussopfer noch helfen könnte – die Luft draußen ist ja tatsächlich schlichtweg bleihaltig, jeder Gang vor die Tür also tendenziell lebensgefährlich. Deshalb hat auch der Freund der Ältesten von Oum Yazans Töchtern in ihrer Wohnung temporär Zuflucht gefunden. Unter anderem wird der Zuschauer darüber hinaus auch noch zwei Eindringliche zu sehen bekommen, die eigentlich entweder zum Ausrauben oder für einen “guten Platz” als Heckenschütze gekommen scheinen, sich dann aber, als sie einen ersten Überblick über die Menschen in der Wohnung haben, an Halima vergehen wollen. Und man wird immer wieder – wie beiläufig eingestreut – erfahren, dass die Menschen in dieser Schicksalsgemeinschaft nicht nur kaum eine Chance haben, vor die Tür zu treten, sondern, dass sie unter anderem auch mit Wasserknappheit zu kämpfen haben.

Da es ja eben einerseits keine Produktion ist, die sich betroffene Syrer, oder Menschen aus den Nachbarländern der sogenannten “Krisenregion” “ausgedacht” haben, sondern ein Film eines Belgiers, namentlich von Philippe Van Leeuw, der zuvor unter anderem ein Kamera-Studium (!) am American Film Institute absolviert hatte und dann zunächst rund um Dokumentarfilme und in der Werbung tätig war, und andererseites erklärtermaßen “universell” wirken soll, muss sich “Innen Leben” deutlich an letztgenanntem Anspruch messen lassen. Nicht, dass man uns gleich falsch versteht: Der Film ist keineswegs ein schlechter. Er versprüht eine einerseits fesselnde, andererseits beängstigende, zum Mitleiden einladende Atmosphäre, verwendet eindringliche, aber überhaupt nicht voyoristische Bilder. Und die meisten Darsteller wirken, trotz zahlreicher holzschnittartiger Dialoge, weitgehend authentisch. Aber ein großer, unbedingt sehenswerter Film ist es leider trotzdem nicht. Richtig mutig wäre es gewesen, einem westlichen Publikum, auf das der Streifen ja zuvörderst abzielt, so eine klaustrophobische Geschichte aus von Kriegsgräueln betroffenen Ecken in beispielsweise Gaza oder Afghanistan aufzutischen. Oder eben zumindest denn wirklich einen Film zu präsentieren, der nicht anhand von Fluchtzielen, Blicken aus dem Fenster, Schauspielergesichtern oder sonstigen Indizien letztlich doch in einer ganz konkreten Region verhaftet ist.



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