Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Das große Ganze in 75 Minuten?

Die Dokumentation „Fairness – Zum Verständnis von Gerechtigkeit“ will nach eigenem Bekunden als eine von mehreren zentralen Fragen beantworten, warum wir Ungleichheit und soziale Ungerechtigkeit auf so vielen Ebenen akzeptieren. Gelingt dies? Gibt es gar eine Anleitung zum Ausstieg aus dem Hamsterrad?

Ungleichverteilungen scheinen inzwischen so selbstverständlich geworden zu sein, dass sie von vielen (erwachsenen) Menschen gar nicht mehr wahrgenommen, zumindest nicht mehr in Frage gestellt werden. Dass dies keinesfalls ein angeborenes Verhalten ist, zeigt Alex Gabbays Film recht deutlich, indem er unter anderem Studien mit Kleinkindern beleuchtet, denen in Puppenspielsituationen von sich aus egomansich auftretende Charaktere oder Figuren vorgeführt werden, denen ohne erkennbaren Grund, extreme Vorteile gegenüber anderen zu teil werden. Die Sympathie vom Nachwuchs haben diese Gewinnler sehr rasch verspielt. Dies sind für sich betrachtet durchaus beeindruckende Szenen, wenngleich sie mancher so oder so ähnlich bereits aus der Doku “Alphabet” des Österreichers Erwin Wagenhofer kennen dürfte, die das Prinzip, dass Menschen systematisch zu gut funktionierenden Rädchen einer arbeitsteiligen Produktionsgesellschaft ausgebildet werden, wie Leistungsdruck erzeugt wird, wie Reiche ihre Besitzstände für ihre Nachkömmlinge über viele weitere Generationen zu sichern suchen, fulminant darlegte.

Die Filmemacher von „Fairness – Zum Verständnis von Gerechtigkeit“ nun sprachen ihrerseits mehr mit Soziologen, Wirtschaftswissenschaftlern und Verhaltensforschern, als dass sie die wirklichen Mechanismen der “freien” Marktwirtschaft bloß stellen. Sie benennnen zwar an vielen Stellen, dass es Menschen gibt, die mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel geboren wurden, sich also wirtschaftliche Vorteile gegenüber der Mehrzahl ihrer Artgenossen keineswegs mit Fleiß, noch nicht einmal mit Talent “verdient” haben, sich also ggf. zu un-recht etwas darauf einbilden. Aber unter’m Strich werden letztlich plakativ nur ein paar sattsam bekannte Konzerne wie Amazon und Google gedisst. Wobei es ein durchaus nettes Kapitel ist, wenn man einem älteren Mann bei seiner schon fast kindlichen Freude zusehen darf, die er entwickelt, wenn er aus Protest gegen de-facto-Steuerfreiheit, die diesen und anderen “Unternehmen” beispielsweise auch in Luxemburg oder Irland gewährt wird, gezielt bei dem mal als virtueller Bücherhändler gestarteten Inzwischen-absolut-alles-Versandhaus-und-nebenher-auch-noch-TV-Anbieter Dinge bestellt, die er keinesfalls haben will, nur um sie umzutauschen, und Amazon damit Unosten – denn Rückversand ist gehmeinhin für den “Kunden” kostenfrei – zu bereiten. Damit die Botschaft dort auch ankommt, wird jeder Karton der retour geht, mit einem Steuergerechtigkeitshinweis-Großaufkleber verziert. Dass das in besagtem Konzern wahrscheinlich nicht mal die Tagelöhner juckt, die im Schichtbetrieb die Rücksendungen ein- und auspacken müssen, geschweige denn die Chefetagen interessiert, interessiert den Film wiederum nicht. Der Anschein, dass etwas bewegt wurde, muss genügen.

An anderer Stelle tauchen Experimente mit Kapuzineräffchen auf oder eher feist anmutendes, aber keinesfalls kritisch eingeordnetes Geschwurbel eines gewissen Jonathan Haidt. Und irgendwann werden Costa Rica und Island, als Beispiel angeführt, “wie ganze Nationen und ganze Volkswirtschaften auf ein faireres Miteinander ausgerichtet” sein können. Nur, wie das dort jeweils vermeintlich funktioniert, wird nicht ansatzweise ernsthaft angerissen – es wird nur behauptet. In Island sogar einzig Zeit verwendet, um mit gleich zwei Vertretern der Piratenpartei getrennt befragt über einen vom Volk abgesägten Politiker zu sprechen, der vordergründig schön tat, dann aber – wie die so genannten “Panama-Papers” enthüllt haben wollen – selber im “Offshore”-Sektor profitiert habe.

Auch auf Fallbeispiele für wirklich gravierende Ungerechtigkeiten wird außer mit einem Blick nach Indien, wo das Kastensystem manchen Frauen, die niedersten Dienste quasi in die Wiege legt, verzichtet. Als netter Einfall darf gleichwohl gelten, ein soziales Experiment einzufangen, bei dem Probanden erst eine Aufgabe zu lösen und danach innerhalb Zweierteams den Lohn dafür zu verteilen haben: Jene die vermeintlich weniger leisteten als Andere, neigten tatsächlich dazu, sich selber beim Gehalt zu kasteien. Ebenfalls lobenswert: dass der Film beim Thema Gerechtigkeit “nur” an finanzelle Fragen denkt, sondern etwa auch ein kleines Kapitel zum alltäglichen Rassismus der amerikanischen Polizei gegen People-of-Color bereit hält.

Außerdem ist zu erfahren, dass es in Oregon Eltern gibt, die ihren teils erst 11jährigen Nachwuchs dazu gebracht haben, formal in ihrem eigenen Namen “eine Klage gegen die amerikanische Regierung” einzureichen, die jedoch ohnedies einzig auf das “Recht auf eine intakte Umwelt” abzielen, “da der Anstieg des CO2-Ausstoßes durch Regierungsentscheidungen immer weiter angestiegen sei”. Dass sich Gerichte in den Staaten teils wohlwollend damit beschäftigen, wird von der Doku wieder als ziemlich großer Erfolg verkauft: genauso wie es allen Ernstes die meisten Mainstreammedien machen, wenn irgendwelche Staatschefs in unschöner Regelmäßigkeit durch die Welt jetten, und auf irgendwelchen Klimagipfeln bedeutungsschwanger halbgare Absichtserklärungen für gefühlt den Sankt-Nimmerleins-Tag abgeben.

Und obwohl es sich bei „Fairness – Zum Verständnis von Gerechtigkeit“ – auch was die “Filmkunst” angeht – um alles andere als einen großen Wurf handelt, schlicht zuviele “Talking Heads” aneinandergereiht sind, dazu teilweise nervige Sound- und Musikeffekte eingesetzt werden, ist es kein Reinfall diesen Film zu sehen. Aber für Menschen, die bereits halbwegs sensibilisiert durch’s Leben gehen, schlummert leider in keiner einzgen “Faser” irgendein Erkenntnisgewinn, geschweige denn ein Geheimtipp zum Ausstieg aus dem Hamsterrad. Es ist eher ein Feel-Good-Movie für Feierabendrevoluzzer, die sehen wollen, dass neben Kleinkindern oftmals auch ältere Kinder noch nicht verdorben sind (etwa wenn es darum geht, einem fies spielenden Versuchsleiter und seiner mit guten und bösen Hebeln ausgestatteten, hölzernen Apparatur zu unterbinden, Süßigkeiten ungerecht zu verteilen) oder irgendwo irgendwelche NGOs Tropfen auf heiße Steine schütten, etwa wenn es um die Frage von Frauenrechten geht. Die Parole, dass noch nicht jede Hoffnung verloren ist, ist keine falsche – sonst bräuchte man ja tatsächlich gar nicht mehr glauben, dass irgendewin Tun oder Lassen zumindest mittelbar oder mittelfristig etwas bewirken kann. Ein antikapitalistisches Plädoyer aber sieht bei weitem anders aus, als beispielsweise eine ehemalige Investmentbankerin als weiteres leuchtendes Beispiel zu inszenieren, weil sie “Menschen mit geringem Einkommen durch Kochkurse dabei hilft, sich bei Kosten von weniger als einem Pfund pro Mahlzeit gesünder zu ernähren”.

Ach ja, eine Antwort auf die sich selbstgestellte Frage, warum Menschen Ungleichheit und soziale Ungerechtigkeit auf so vielen Ebenen akzeptieren, gibt Alex Gabbays Film tatsächlich. Sogar ziemlich zu Beginn. Besser gesagt, der norwegische Wissenschaftler Alexander Kappelen gibt die Antwort: “Menschen sind bereit, jede Ungerechtigkeit zu akzeptieren, wenn sie es als Ergebnis eines Wettbewerbs sehen”. Und in einem solchen leben wir ja, tagein, tagaus. Spätestens in der Schule wird die Bereitschaft sich diesem zu stellen – oder eben mehr oder minder unterzugehen – quasi antrainiert. Doch hierzu, zur Arbeitswelt als solches, gibt es denn eben im Dokuverlauf nur ein paar Allgemeinplätzchen wie Einblicke in eine Londoner Gesprächsgruppe, deren Mitglieder zwar diese und jene un-faire Punkte gut zu benennen vermögen, aber offenbar nur regelmäßig im eigenen Saft kochen oder noch schlimmer, für die Kommune als Fiegenblatt dienen, weil ja freundlicherweise von Staats wegen erkundet würde, ob die Bürger ihre Großstadt als gerecht empfinden. Wer dafür Forschungsgelder braucht, hat den sprichwörtlichen Schuss nicht gehört – oder steht eben auf Placebo.



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