Ihre Trüffelschweine im fränkischen Einheitsbrei

Für Kinder und über Kinder

Zwei Filme starten diese Woche in deutschen Kinos, die sich um Kinder drehen: der eine, „Tori & Lokita“ von den Dardenne-Brüdern erzählt über zwei junge Flüchtlinge. Der andere, „Die langweiligste Schule der Welt“, ist die Verfilmung des gleichnamigen Romans der Kinderbuchautorin Sabrina J. Kirschner. Spoiler: nur einer der beiden Streifen ist lohnend. Aber dafür richtig.

Lokita ist mit dem minderjährigen Tori nach Europa geflohen. Über Italien sind sie jetzt in Belgien gelandet. Die beiden haben sich auf dem Boot während der Überfahrt kennen gelernt und sind seitdem unzertrennlich, sie passen gegenseitig auf sich auf, träumen von einer gemeinsamen Zukunft, dass sie in einer richtigen Wohnung wie eine kleine Familie zusammenleben dürfen und Lokita als Haushaltshilfe arbeitet und für beide sorgt. Während Tori wegen seinem Alter, seiner Geschichte als “Hexenkind” und seinem Herkunftsland Benin von den Behörden nichts zu befürchten hat, sieht das bei seiner vermeintlichen Schwester anders aus. Sie soll beweisen, dass Tori wirklich ihr Bruder ist.

Ohne Aufenthaltsstatus darf sie offiziell nicht arbeiten. Dabei will besser gesagt müsste sie auch ihre Mutter in Kamerun finanziell unterstützen, damit ihre kleinen Brüder eine Schule besuchen können. Mit ihrem Wahl-Bruder – die beiden Protagonisten sind wirklich vertraut wie engste Familienmitglieder – arbeitet sie deshalb schwarz in einer belgischen Billig-Pizzeria, unterhalten deren Gäste auch mal mit Gesangseinlagen (namentlich dem sinnbildlichen “Alla fiera dell’est“ von Angelo Branduardi über eine kleine Maus) und in der Nacht verkaufen sie für den Koch Drogen. Das spärliche Geld, was dabei für die Kinder übrig bleibt, wird Lokita vom Chef eines Schleusernetzwerks abgenommen. Als die Ausländerbehörde mittels eines DNA-Tests die Verwandtschaftsfrage endgültig feststellen will, gehen die jungen Refugees mit dem Koch einen Deal ein: Lokita soll sich künftig um seine abgeschieden liegende, innerhäusige Cannabis-Fabrikation kümmern – im Gegenzug würde sie ordentlich Geld und vor allem “legale” Papiere bekommen. Der Zuschauer ahnt es bereits aufgrund der vorherigen Szenen: das Ganze wird für Tori & Lokita immer brenzliger. Auch weil klar ist, dass die Beiden ein längeres getrennt-voneinander-sein nicht so ohne weiteres wegstecken können. Aber der deal ist klar, nur das Mädchen darf an dem geheimen Ort arbeiten, der Junge soll tunlichst nicht auch noch abtauchen. Zumal er ja weiterhin für die kleinen Botengänge gebraucht wird…

Für ihren neuen Film über moderne Sklavenarbeit und vor allem die innige Freundschaft zweier Kinder, die sich nichts sehnlicher als ein menschenwürdiges Leben wünschen, haben Jean-Pierre und Luc Dardenne schlichtweg hervorragende Laiendarsteller gefunden: Joely Mbundu und Pablo Schils. Die vielfach ausgezeichneten Regisseure („Zwei Tage, eine Nacht“, „Rosetta“, „Das Kind“) sind für ihre humanistischen, sozialen Themen bekannt. Die Geschichte der jungen Flüchtlinge liegt schwer im Magen. Sei es die tatsächlich betont unbarmherzige Behörde, der Lokita, die ohnedies unter Panikattacken leidet, ihre Fluchtgründe darlegen muss; der kriminelle Koch, der die ausweglose Situation des Teenager-Mädchens auch auf sexuelle Art ausnutzt; dessen kaltblütige Schergen; der pseudojoviale Schleuser oder auch die Mutter des Mädchens, die nicht glaubt, dass ihre Tochter das Geld nicht für sich selbst ausgibt, sondern von den Menschenschmugglern abgenommen bekommt. Dem Gegenüber stehen die Momente der bedienungslosen Liebe zwischen Lokita und Tori. In manchen Momenten meint man es mit einer sehr modernen, extrem freien Hänsel-und-Gretel-Inspiration zu tun zu haben, auch weil man ahnt, dass ein Märchen wie dieses nicht gut ausgehen wird. In jedem Fall ist das zwölfte Werk der Dardennes für unsere Redaktion der mit meilenweitem Abstand wichtigste und beste Film des laufenden Monats.

 

Ganz anders verhält es sich mit der ebenfalls am 26.10.2023 in Deutschland startenden Leinwandumsetzung von Sabrina J. Kirschners Kinderbuch „Die langweiligste Schule der Welt“, die Autorin schrieb selbst das Drehbuch für den gleichnamigen Film: 

Es geht um Maxe (Lucas Herzog), dem sein Schulalltag gehörig auf den Geist geht. Wo man hinsieht, überall stehen und hängen Verbotsschilder. Es herrscht Uniformpflicht, die Farbe ist – klar – braun. Der Junge, der dafür verschrien ist bei jedem Schritt und Tritt kleine bis mittelgroße Katastrophen zu verursachen, ist vor allem Schuldirektor Schnittlich (Max Giermann) ein Dorn im Auge. Der will nämlich sein „Regelwerk der Verbote“ von der Schulbehörde geadelt wissen, und damit Maxe nicht rein zufällig das anstehende Schulfest ruiniert, wird die ganze Klasse kurzerhand, unter der gestrengen Aufsicht von Lehrerin Frau Penne (Felicitas Woll) auf einen Ausflug irgendwo in den Wald geschickt. Als die Kinder des Direktors wahnwitzige Pläne durchschauen, wollen sie sie durchkreuzen, haben aber die Rechnung ohne Hausmeister Traufe (Oliver Korittke) gemacht. Wie gut, dass ihnen Rasputin Rumpus (Serkan Kaya), Inspektor der Behörde für Langeweilebekämpfung, zur Seite steht…

Es hätte auch auf der Leinwand einfach eine witzige, leichtverdauliche Geschichte werden können. Oder gar ein zwischen den Zeilen tiefergehender Abgesang auf Konformität. Regisseur Ekrem Ergün („Hördur“ über die Freundschaft zwischen einem Mädchen und einem Pferd) weckt mit namhaften Schauspielern Lust auf seinen neuen Spielfilm, doch selten hat man so viel Aufgesetztes und Uninspiriertes und zu allem Übel auch noch von allen Erwachsenen lieblos abgespultes in einer einzigen Produktion versammelt wie hier. Jede unterdurchschnittliche Schulaufführung hat meilenweit mehr Anziehungskraft als dieser zumindest visuell manchmal witzige Kinderfilm. Aber auch in puncto Ausstattung und Effekte erscheint dann unterm Strich vieles bei nationalen und internationalen Werken für die junge Zielgruppe billig abgekupfert.

 

 

 

 

 

 



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